Barfüßiger Abendspaziergang in Köln (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 02.11.2004, 18:17 (vor 7270 Tagen)

Samstag, 30.10.2004. Um ca. 20 Uhr verließ ich die Straßenbahn am Kölner Hauptbahnhof. Während ich die provisorische Treppe hinauf zur Domplatte als ausgesprochen angenehm unter meinen nackten Füßen empfand, starrten mich etliche Leute an. Speziell japanische Touristen trauten ihren Augen kaum. Bemerkungen wie "der Sommer ist vorbei", "dem hat man die Schuhe geklaut" oder auch "Bläck Föös" bzw. "Jesus Christ" bekam ich häufiger zu Ohr als noch tagsüber. Auch die Domplatte selbst war angenehm zu begehen. Als ich mich über ein Gemälde auf den Platten beugte, glaubte ich zu hören: "Der ohne Schuhe ist sicher der Maler. Die spinnen sowieso alle!" Speziell Kinder starrten mich fassungslos an. Je "kalenderkonformer" die Kinder gekleidet waren, desto fassungsloser waren sie. Diejenigen, die zumindest einigermaßen temperaturgerecht angezogen waren (ich sage "einigermaßen", da wirklich temperaturgerecht kein Kind angezogen war), schienen weniger erstaunt. Schuld an der Sache sind nur die Eltern. Kein Wunder, daß heute so viele junge Leute krank werden. Und wer sich nicht nach dem Kalender richtet, gilt als Sonderling. Die schlimmsten Bemerkungen machte nicht etwa Jugendliche, sondern Leute, die in der Fußgängerzone vor den Hauseingängen saßen und bettelten. Richtig böse wurden die, wenn sie meine Barfüßigkeit registrierten. "Kannst du dir keine Schuhe kaufen! Das ist doch kalt! So was tut kein anständiger Mensch!" Befürchteten diese etwa, daß ich ihren "guten" Ruf ruiniere, wenn ich nur das mache, was mir Spaß bringt. Wenn sie selber schon keinen Spaß mehr am Leben haben (was ich nachvollziehen kann), dann sollen die gefälligst diejenigen anpflaumen, die Schuld an deren Misere sind und nicht mich.

Ich gelangte zur Severinsbrücke, die ich nun überquerte. Ab und zu kamen mir Leute entgegen. Ich dachte schon, was wohl passieren würde, wenn mir gerade jetzt eine Gruppe von ca. 10 Skinheads entgegenkommen würde. Für die wären doch Barfüßer genauso wie Bettler, Ausländer, Homosexuelle, Juden usw. ein gefundenes Fressen. Und ein Barfüßer ist relativ einfach als solcher zu erkennen, was für die anderen Personenkreise nicht immer zutrifft. Wie einfach wäre es, einen einfach über das Geländer in den Rhein zu werfen. ich kann zwar schwimmen, aber mit dem riesigen Rucksack ist das sicher nicht angenehm. Und hoch ist es auch. Und das Wasser ist kalt. Und außerdem ist es Skinheads sicher egal, ob sie einen Barfüßer dort übers Geländer werfen, wo das Wasser tief ist oder wo es flach ist. Aber keiner wollte mich in den Rhein werfen.

Hinter der Severinbrücke war ein das Gelände mit dem Kölner Herbstvolksfest, mit Riesenrad, Achterbahnen usw. Ich inspizierte den Untergrund und empfand, daß sich die Scherben in Grenzen hielten, also ging ich hinüber. Daß hier viel gelästert und geglotzt wurde, überrascht wohl nicht mehr. Mich aber störte es nicht, ich konnte nur grinsen. An eine barfüßige Benutzung der Fahrgeschäfte war nicht zu denken. Nicht etwa, weil ich Angst hatte, daß einer von den "Türstehern" den "Amerikaner herauskehren" würde (und auch nicht, weil meine Tageskarte zwar für Eisen- und Straßenbahnen, nicht aber für Achterbahnen gültig war), sondern weil ein großer Rucksack hinderlich ist und ich diesen "Riesensiech" niemandem anvertrauen wollte.

Ich überquerte den Rhein über den Fußgängersteg der Hohenzollernbrücke. Dieser eiserne Steg ist wirklich angenehm barfuß begehbar. (Bei richtig heißem oder kaltem Wetter hätte ich sicher etwas GANZ anderes geschrieben). Hinter der Brücke folgte eine Klinkerpassage und ich ging die Treppe hinunter zum Rhein. Ich setzte mich auf eine Bank, um etwas zu essen. Ein etwa dreißigjähriges Paar kam vorbei. Die Frau fragte, ob es nicht zu kalt wäre. Sie meinte auch, daß sie Socken dabei hätte und diese könnte sie mir geben. Aber ich lehnte ab. Was soll ich mit Socken, wenn ich keine Schuhe habe. In diesem Forum wurde doch mal behautet, daß das Rumlaufen in Socken ohne Schuhe "bescheuert" aussehe. Dann doch lieber mit Sandalen und Socken herumlaufen und als "Blödmann" angepflaumt zu werden. Also blieb ich barfuß, wie es sich gehört. Ich ging weiter, wo "Schrotti" gerade Musik machte. Bei dem Lied "Marina" fiel mir auch wieder das Forum ein. Ununterbrochen barfuß seit März, mohrig schwarze Fußsohlen, Spezialparcours aus extra gehärtetem Gerresheimer Glas, oder wie war es noch? Vergangene Zeiten!

Ich aber bin kein Traumtänzer, sondern blieb auf dem Boden nacktfüßiger Tatsachen und schritt wieder zum Hauptbahnhof. Wieder fragte mich jemand, ob ich eine Jacke oder Socken haben wollte (Schuhe wollte mir keiner andrehen). Ein letztes Mal für diesen Tag ging ich zum Neumarkt, ich war müde. Ich wollte "die 7" nach Zündorf benutzen, mußte aber feststellen, daß dorthin so spät nur noch Omnibusse verkehrten. Als "linientreuer Zeitgenosse" entschloß ich mich, in die Gegenrichtung zu fahren. An der Universtitätstraße stieg ich aus, ich spürte das kalte Gras unter den Füßen. Zielstrebig schritt ich auf den ausgewählten Schlafplatz zu. Aber was war das? Irgendein "schräger Siech" ging immer auf und ab. Nicht mit mir! Ich ging zurück zur Haltestelle, mußte ca. 20 Minuten auf das nächste Tram Richtung Frechen warten. Ich hielt mich unmittelbar neben dem Haltestellenhäuschen auf, so daß vorbeifahrende Autofahrer meine doch nicht gerade winterliche Aufmachung registrieren würden. Zu so später Stunde wollte ich eine Zusammenkunft mit der Polizei in jedem Fall vermeiden. Endlich kam das Tram, ich fuhr zum Stüttgenhof, an dieser einsamen Haltestelle stieg ich aus, und mit mir 4 Leute, die ich für Polen oder Tschechen hielt und auch nicht gerade einen sympathischen Eindruck machten. Ich täuschte vor, daß ich noch den Fahrplan studierte, während die anderen sich langsam entfernten, in eine Richtung, die ich nicht einschlagen wollte. Sie schienen sich für mich nicht zu interessieren. Also überschritt ich die Bahngleise, ging über nasses Gras neben dem steinigen Weg zur nächsten Abzweigung, bog ab in den Wald und breitete meinen Schlafsack in der Nähe eines Holzstapels aus. Das trockene Laub fühlte sich angenehm unter den nackten Füßen an, jedoch lagen einige Äste herum. Die Nacht war ruhig, nur wenige Straßenbahnen fuhren noch vorbei. Zwar wachte ich ab und zu auf, aber ich empfand die Mondnacht als angenehm. Ein einsamer Wald, und das auf Kölner Stadtgebiet!

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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