Abschied aus der "Sonnenstube" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 27.09.2004, 13:19 (vor 7306 Tagen)

Es war Sonntag, der 26.9.2004. Die Nacht war vorbei, Hochnebel lag über dem Maggiadelta. Ich schlüpfte aus dem Schlafsack, es war recht frisch. Schnell hatte ich T-Shirt und Hose angezogen, den Schlafsack im Rucksack verstaut, und los ging's, barfuß, wie es sich für einen "vernünftigen" Menschen auch gehört. Der Sand war kalt, das Gras naß. Ich unterquerte die Brücke der "Autobahn", bei der nächsten Brücke verließ ich die Maggia, um die Straßen von Losone unsicher zu machen. Aber niemand nahm Anstoß an meiner Barfüßigkeit, kein Mensch, kein Hund. Die Menschen redeten auch italienisch, die Hunde kläfften wohl auch entsprechend. Zu so früher Stunde sind die "Deutschen" noch nicht auf der Straße. Ich folgte der Straße nach Ascona und betrat dort als erstes den Friedhof, der wirklich schön angelegt ist. Vom britischen Commander der Royal Navy über den deutschen Baron von Oppenheim haben hier etliche mehr oder weniger bekannte Leute ihre letzte Ruhe gefunden. Namen, die überwiegend deutsch bzw. deutschschweizerisch klangen, auch hier die italienischen Namen eher in der Minderheit. Von den wenigen Leuten, die an den Gräbern arbeiteten, störte sich keiner an meiner Barfüßigkeit. Und die unter der Erde? Die sollen doch froh sein, daß ich mit meinem leisen Gang ihre Ruhe nicht störe, anstatt sie mit schweren Stiefeln, spitzen Absätzen oder klappernden Flipflops zu traktieren. Oder gehe ich mit diesen Gedanken zu weit? Sorry Sir! Entschuldigung, Herr Baron!

Ich verließ den Kirchhof und wanderte Richtung Altstadt. Allmählich wurde die Gäste wach, ein Auto nach dem anderen überholte mich, rasch waren dei Tessiner Autokennzeichen in der Minderheit. Einige Fahrer und Beifahrer sahen mich erstaunt an. Ich versuchte herauszufinden, ob diese erstaunten Blicke in irgendeinem Zusammenhang mit den Autokennzeichen standen. Ich glaubte zu erkennen daß die erstaunten Blicke mehr aus deutschen Autos kamen als aus Schweizer Auto. Am erstauntesten schienen Leute zu sein, die aus einem Bezirk aus der ehemaligen DDR stammten. Was Schweizer anbelangte, so kamen keinerlei erstaunte Blicke aus Fahrzeugen aus innerschweizer Kantonen, auch die Berner nahmen es gelassen, während Solothurner, Aargauer und Zürcher schon erstaunter dreinblickten. Sicher nicht allzu repräsentativ. Aus den Fenstern der Restaurants sah ich ebenfalls einige erstaunte Blicke, aber nicht mehr. Am Schiffsanleger warteten zwei Paare trotz dicker Kleidung frierend auf das nächste Schiff. Während die Männer so "vernünftig" waren und fette Halbschuhe trugen, waren die Frauen so leichtsinnig und trugen nur Flipflops. "Ein hitziger Cheib," sagte einer der Männer. Es dauerte nicht mehr lange, da besiegte die Sonne den Hochnebel, und rasch wurde es wärmer. Ich marschierte Richtung Freibad, auf dem Weg dorthin kamen mir etliche Leute entgegen, aber keinem störte meine Aufmachung.

Noch war nicht viel los im Freibad, Badegäste waren nicht allzu viele vorhanden. Das Wasser war doch deutlich kälter als das im Zürichsee vor einer Woche. Außerdem wehte es zügig. Auch wenn ich recht lange im Freibad verweilte, so war ich doch die wenigste Zeit im Wasser. Viele Leute kamen auch und dachten nicht daran, Badekleidung anzulegen. Aber etliche zogen wenigstens Schuhe aus, vor allem Kinder. Das sieht vielleicht etwas merkwürdig aus, wenn einige Kinder die Spielgeräte in Badekleidung benutzen, andere aber barfuß in Kombination mit Wollpullover, Jacke und langer Hose. Ich beobachtete, wie auf dem Parkplatz ein Auto mit Berner Kennzeichen anhielt, Eltern und 3 Kinder stiegen aus. Sofort zogen die Kinder ihre Sandalen aus, warfen sie wütend auf den Boden, sammelten sie auf, taten es wieder. Als der Vater den Kofferraum öffnete, warfen sie die Schuhe dort hinein. Die Eltern nahmen die Kinder als Vorbild und entledigten sich ebenfalls ihrer Schuhe, mit dem Unterschied, daß sie die Schuhe in den Kofferraum legten, nicht warfen.

Gegen 17.30 Uhr verließ ich das Schwimmbad und wanderte zunächst durch die Altstadt von Ascona. Eine junge Frau lief barfuß über die Piazza, es viel gar nicht auf, da ihre schwarze Hose weit war und sich von der Farbe der Fußsohlen kaum unterschied. Einzig die Tatsache, daß sie ihre unbequemen Schuhe in der Hand trug, könnte sie verraten. Ein Kind rief in der Fußgängerzone: "Der Mann, barfuß!" Auf dem Weg zum Bahnhof von Locarno sprach mich keiner an, nur hier und da erstaunte Blicke.

Im Zug nach Bellinzona war kein Mensch ohne Schuhe, Wanderstiefel waren Trumpf - und irgendeine Form von Deutsch! Die meisten Fahrgäste wechselten in einen Intercity nach Basel, der bereits ziemlich voll war, voll von anderen Wanderern und Leuten, die das Vaterland verteidigen müssen. Schließlich fand ich auch einen Sitzplatz. Niemand störte sich an meiner Barfüßigkeit, kein Schaffner, kein Soldat, kein Wanderer. Zwei Tramper (vermutlich Studenten), von denen einer mit Hut unterwegs war, fanden es sogar toll, endlich mal eine Abwechslung. Vor dem Gotthardtunnel leuchtete die kilometerlange Lichterkette der im Stau stehenden Autos auf der parallel verlaufenden Autobahn, oben schien der Mond. Ade, letzter Sommertag! Nach dem Tunnel ein völlig anderes Bild: Nebel, nasse Straßen. Mit Sommerkleidern oder leichter Wanderkleidung gingen die Leute reihenweise auf die Toilette, um dann dicker vermummt wieder herauszukommen. In Arth-Goldau verließen etliche den Zug, um in Richtung Zürich umzusteigen, die meisten aber verließen ihn in Luzern. Dort stiegen andere Fahrgäste zu. Die meisten schienen erstaunt zu sein, wo ich wohl herkäme, immerhin regnete es draußen. Etwa eine halbe Stunde später war ich in Zofingen. Als ich ausstieg, sagte eine ältere Frau, die einsteigen wollte: "Nein!" Hier regnete es nicht mehr, der Mond schien sogar, aber die Straßen waren noch naß und die Temperatur war mit 8°C auch nicht gerade so, daß barfuß, leichtes T-Shirt und kurze Hose nicht unüblich sind. Aber für einen Kilometer Radfahren ging es doch!

Mit freundlichen Grüßen

Michael aus Zofingen


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