Mein Mail an Pinakothek wegen Rauswurf (Hobby? Barfuß! 2)

Andi35 @, Stammposter, Thursday, 19.08.2004, 21:29 (vor 7345 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Hallo Lothar,
folgendes Mail habe ich gerade ans Sekretariat und and die Infostelle der Pinakothek verschickt.

"Sehr geehrte Frau Losch,
ich bin Entwicklungschemiker in einem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen in Zofingen in der Schweiz. Im Nebenamt bin ich Leiter der dortigen Firmenbibliothek. Völlig überrascht war ich, als ich einen Artikel in der Münchner Abendzeitung las, in dem geschrieben stand, daß ein 5-jähriger Junge aus der Neuen Pinakothek geworfen wurde, weil er keine Schuhe trug. Da ich selber nicht dabei war, kann ich nicht beurteilen, was tatsächlich geschehen war. Daher möchte ich hier etwas prinzipielles sagen:
Grundsätzlich unterscheidet sich die Neue Pinakothek nicht von anderen Kunstmuseen, Stadtbibliotheken oder Firmenbibliotheken. Überall werden Dinge aufbewahrt, die von unschätzbarem Wert sind. Der ideelle Wert ist häufig um eine Vielfaches höher als man mit Geld bezahlen kann. Deshalb ist es auch die Pflicht eines jeden Erdenbürgers, diese Werte zu erhalten. Obwohl unsere Firmenbibliothek nur klein ist und nur Fachbücher verwaltet, so besitzen sie einen hohen Wert. Der Wert kommt jedoch erst zum Tragen, wenn diese Bücher auch benutzt werden, während die Gegenstände in der Pinakothek allein durch die bloße Existenz einen Wert besitzen. Damit in unserer Firmenbibliothek die Werte erhalten bleiben, wird von den Benutzern der Bibliothek auch die Einhaltung gewisser Regeln verlangt. So ist etwa das Rauchen, Essen, Trinken und Schlafen sowie das Abhalten von Sitzungen im Bibliothekssaal strengstens verboten. Durch derartige "Unsitten" könnte der Bibliotheksbestand Schaden nehmen bzw. ein seriöses Arbeiten verunmöglicht werden. Unter die Verbote fällt aber nicht der barfüßige Aufenthalt, was den Bibliotheksbereich anbelangt. In anderen Bereichen der Firma (Chemielabor, Fabrikation) ist das Tragen von Schuhen sowie Schutzbrillen selbstverständlich ein Obligatorium. Im Labor lassen sich Scherben, die teilweise noch Chemikalienreste enthalten könnten, nicht vermeiden. Für unsere Bibliothek trifft das nicht zu. Dort werden keine Chemikalien gelagert. Also darf dort sich jeder seiner Schuhe entledigen, soweit er das Verlangen danach hat.
Wie sieht es bei Ihnen in der Pinakothek aus? Die Gefahr einer Verletzung der Besucher durch Glas ist sicher ausgeschlossen, da die Räumlichkeiten ja immer hervorragend gereinigt werden.
Die Übertragung von Fußpilz dürfte bei Ihnen kein Problem sein. Wer Angst vor Fußpilz hat, der kann ja seine Schuhe anbehalten, dann passiert nichts. Prinzipiell sind diejenigen Leute am stärksten fußpilzgefährdet, die fast nie barfuß laufen. Und diese Leute würden vermutlich in der Pinakothek nie die Schuhe ausziehen.
Zum Thema "Beschädigung des Fußbodens": Zweifellos ist der Fußboden der Pinakothek wertvoll. Sicher würde es keinem Bauarbeiter einfallen, mit zementverschmierten Arbeitsstiefeln die Pinakothek zu besuchen. Oder einem Schornsteinfeger in Arbeitskleidung. Wenn diese Aufmachung unerwünscht wäre, dann hätte ich Verständnis dafür. Wie sieht es aber mit Damen aus, die in eleganten, wenn auch unbequemen Schuhen mit Pfennigabsätzen in die Pinakothek kommen? Dürfen die hinein? Ein derartiger Absatz kann einem Parkettfußboden erheblichen Schaden zufügen. Und wie sieht es mit bequemen Schuhen mit weicher Gummisohle aus? Schwarzer Gummi enthält Ruß, Gummiabrieb auf Parkett ist nur schwierig zu entfernen. Weiterhin besteht die Gefahr, daß sich draußen Steinchen oder Glassplitter in der Gummisohle festbeißen und mit ins Gebäude geschleppt wird, dort würden die Partikel den wertvollen Fußboden zerkratzen. Wer barfuß läuft, der verschleppt keine Steine und Glas in die Pinakothek. Und gegenüber Schäden durch harte Partikel sind angebliche Schäden durch Fußschweiß wirklich "Peanuts". Körperschweiß besitzt chemisch die gleiche Zusammensetzung wie Fußschweiß, werden auch Maßnahmen getroffen gegen Leute, die schwitzen? Was das Tragen von Socken ohne Schuhe anbelangt: Aus hygienischen Gründen sind nur frisch angezogene Socken dem Barfußlaufen gleichzusetzen. Von Socken, die bereits einige Stunden in Schuhen getragen wurden, werden mehr Mikroorganismen übertragen als von nackten Füßen.
Wenn also wirklich die Nichtbeschädigung des Fußbodens im Vordergrund stünde, dann gäbe es nur eine Möglichkeit: Die Räume dürften nicht mit demselben Schuh- bzw. Fußwerk betreten werden, das auch draußen auf der Straße verwendet wurde. Eine Möglichkeit wären Überschuhe aus Filz, wie sie etwa im Verkehrshaus Luzern in einem Raum getragen werden müssen, dort ist die Schweiz auf dem Fußboden abgebildet, die Oberfläche besteht als glasähnlichem Material. Mitgeschleppte Steinchen würden diese verkratzen. Allerdings sind Filzüberschuhe unbequem bei längerem Gebrauch. Eine andere Möglichkeit wären Spezialsocken mit dünner Gummisohle, die man am Eingang gegen die Schuhe eintauschen müßte. Dieses gäbe allerdings ein logistisches Problem: Bei dem Andrang müßten diese Socken in den verschiedensten Größen vorrätig gehalten werden. Aus hygienischen Gründen dürften sie auch nur einmal getragen werden, danach entweder entsorgt oder gereinigt. Die Kosten wären erheblich höher wie die Reinigungs- und Unterhaltungskosten des Fußbodens heute, egal ob bei beschuhten oder unbeschuhten Besuchern.
Noch etwas allgemeines zum Barfußlaufen. Barfußlaufen ist gesund, speziell dann, wenn der Untergrund dazu geeignet ist. Das trifft besonders für Kinder zu. Wer als Kind häufig barfuß läuft, hat als Erwachsener weniger Rücken- und Knieprobleme. Auch ist man weniger anfällig gegen Erkältungskrankheiten. Leider sind sich viele Leute diesem nicht bewußt und stecken ihre Kinder viel zu früh und zu oft in enge Schuhe. Später führt es zu Erkrankungen. Kein Wunder, daß die Krankenkassen Probleme haben. Und unter hohen Krankenkassenprämien müssen am Ende wir alle leiden. Darum ist es endlich Zeit, dem gegenzusteuern. Und dazu kann, ja muß jeder einzelne beitragen. Auch die Pinakothek kann und soll etwas dazu beitragen, indem sie Leute, egal ob Kinder oder Erwachsene, nicht am barfüßigen Besuch der "heiligen Hallen" hindert.
Noch etwas anderes: Falls ich selber mal in den Ferien nach München kommen sollte und das Verlangen hätte, die Pinakothek zu besuchen, dann weiß ich, was ich benötige: Schuhe! Im Zeitungsartikel war von "ungebührlich gekleidet" die Rede. Ich wäre gern daran interessiert, ob es noch anderen Beschränkungen gibt. Werden auch erwachsene Männer in kurzen Hosen eingelassen oder nur Frauen und Kinder? Ist das Tragen von Sandalen ohne Socken erlaubt oder ist bereits dort die Kontamination des Fußbodens zu groß? Es wäre für mich wichtig zu wissen, ob ich im Urlaub meine "Dienstkleidung" mitnehmen soll oder nicht.
Ich möchte mich dafür entschuldigen, wenn ich Ihre kostbare Zeit beanspruche für den Fall, daß nicht Sie für derartige Angelegenheiten zuständig sind, sondern jemand anders. Bitte leiten Sie dann mein Mail an die zuständige Stelle weiter. Besten Dank."

Und hier die Lesebestätigung:
Ihre Nachricht
An: losch@pinakothek.de
Cc: info@pinakothek.de
Betreff: 19.08.2004 08:15
wurde am 19.08.2004 08:43 gelesen.

Soweit mein Mail! Es enthält auch nach firmenspezifische Angaben, die ich hier nicht veröffentlichen möchte. Leider ist der Beitrag - wie üblich - etwas lang geworden. Aber wenigstens ist es mir gelungen, auf Worte wie "Blödmann" zu vezichten. Ich habe mich bemüht, sachlich zu bleiben, wie es sich für einen Bibliothekar geziemt.
In einem anderen Beitrag von Euch stellte sich die Frage, ob man gemeinsam gegen die Pinakothek vorgehen soll oder einzeln. Beides hat vor und Nachteile. Meine Vermutung:
Wenn viele einzeln und unabhängig voneinander und auch noch imk unterschiedlichen Schreibstil sich beschwert, dann würde man vielleicht erreichen, daß die Wärter ein Auge zudrücken, wenn jemand barfuß in der Pinakothek läuft. Die Anzahl an Barfüßern in der Pinakothek würde man durch Einzelaktionen nicht vermehren. Wenn man aber gemeinsam, mit Presse und allem vorgeht, dann wird die Allgemeinheit aufgewirbelt, aber die Pinakothek wird sich eher stur stellen. Vielleicht würden mehr Barfüßer versuchen, in die Pinakothek einzudringen, aber das sind vielleicht Leute, die an der Pinakothek selber nicht interessiert sind. Andererseits würden Leute, die gerne barfuß laufen, aber in der Pinakothek normalerweise Schuhe tragen ohne einen Gedanken zu verschwenden, daß sie was versäumen, die Pinakothek nicht mehr betreten. Was wollen wir? Meine persönliche Meinung ist, daß die Leute, die wirklich Interesse an der Pinakiothek haben, auch weiterhin diese benutzen, und zwar so wie SIE wollen (mit oder ohne Schuhe, mit oder ohne Hut, mit langen oder kurzen Hosen unabhängig von Alter und Geschlecht). Es kann nicht Hauptinteresse sein, die Pinakothek zu schädigen. Ich hoffe, daß mein Beitrag dazu beiträgt, daß man dort gegenüber Barfüßern toleranter ist. Sollte ich irgendeine Rückmeldung erhalten, so werde ich dieses mitteilen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael aus Zofingen

Hallo Michael!
Super geschrieben, ist Dir super gelungen!
Gruß von Andi!


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