Erwiderung (Hobby? Barfuß! 2)

Markus U., Stammposter, Wednesday, 11.06.2003, 17:36 (vor 7781 Tagen) @ Kai (WN)

Hi Kai!

Ich bin der Meinung, daß man sich den Bekleidungssitten anderer
Länder grundsätzlich anpassen sollte, hinsichtlich barfuß aber
insofern ein Kompromiß gefunden werden sollte, daß man zwar barfuß
geht, ansonsten aber anständig und sauber gekleidet sein sollte. Wo
ein solcher Kompromiß allerdings nicht möglich oder tunlich sein
sollte, bleibt nur noch eine Möglichkeit: die betreffenden Länder
radikal meiden und ihre Produkte boykottieren!

mir ist das Kennenlernen fremder Kulturen wichtiger, als partout überall barfuß laufen zu dürfen. Was ein Boykott von Produkten damit zu tun hat, ist mir unklar. Mit welchem Recht willst Du Deine Werte und persönlichen Wünsche einem anderen Land aufzwängen?

Ich zwinge niemandem etwas auf, bin aber auch nicht verpflichtet, alles zu billigen und stillschweigend gutzuheißen. Ein Boykott ist im übrigen ein gewaltloses, aber probates Mittel, um Mißbilligung auszudrükken. Man kann auch sagen: Boykott ist zielgerichtetes Nichthandeln oder auch Kampf gegen Unrecht durch absichtsvolles Unterlassen. Im übrigen zeigt das Unterlassen des Besuches von Ländern, in denen Barfußlaufen in der Öffentlichkeit verpönt ist, durchaus Respekt vor deren Sitten. Indem ich nicht hinfahre, vermeide ich den Konflikt und laufe statt dessen hierzulande barfuß, wo ich es darf und auch allermeist konfliktfrei prakztiziere.

Die Begegnung mit anderen Kleidungssitten und den damit zumeist
verbundenen Moralvorstellungen in anderen Weltengegenden sollte uns
einladen, unsere eigene Art der Bekleidung, die leider bei sehr
vielen Zeitgenossen zahlreiche Abirrungen vom guten Geschmakke
aufweist, kritisch zu hinterfragen.

Was nun? Barfuß forever, oder höre ich jetzt ein Plädoyer für die Übernahme der Schuhsitten anderer Länder bei uns heraus. So ganz schlau machst Du mich nicht.

Es ist natürlich ein Plädoyer für Barfüßigkeit und nicht etwa für die Übernahme der Schuhsitten anderer Länder, schon gar nicht solcher, in denen Barfüßigkeit als verpönt gilt (etwa Korea, Japan oder auch Spanien). Da es aber Kleidung für die meisten Körperteile gibt, bezog sich das Zitat vor allem auf die Bedekkung des Oberkörpers und der Beine. Hier kann man durchaus von anderen Kulturen lernen, was keine unkritische Übernahme des Fremden um der Exotik willen bedeutet.

Der "Gute Geschmack" ist etwas sehr zeitgebundenes, wie der Blick in diverse Manierenbücher (Knigge, "Der gute Ton", etc. - ich habe davon eine ganze Sammlung im Schrank stehen) überdeutlich zeigt. Läufst Du heute noch mit Hut in der Öffentlichkeit herum (wie in den 50er Jahren für Herren üblich)? Trägst Du am Strand einen langen Badeanzug?
Alle Sprüche vom "Guten Geschmack" fallen letztendlich auf Dich als Barfußläufer zurück, da Du genau damit eben nicht dem sogenannten "Guten Geschmack" der Mehrheit hierzulande entsprichst.

Ausgesprochen negative Kommentare habe ich als Barfu0läufer selten erlebt, zumal ich eben darauf achte, immer sauber und geschmackvoll gekleidet aus dem Hause zu gehen, und da ich mich auch ansonsten nicht auffällig verhalte, werden etliche Mitmenschen vielleicht nicht einmal bemerken, daß ich barfuß bin. Es ist jedenfalls schon längere Zeit her, seit ich den letzten diesbezüglichen Kommentar gehört habe.

Wenn Dir persönlich Shorts nicht gefallen ist das Deine persönliche Meinung, die ich gerne respektiere - aber nicht teile.

Du hast es erkannt! Shorts gefallen mir tatsächlich nicht, zumal sie mit allem möglichen Schhwerk und ziemlich oft sogar mit Sokken kombiniert werden. barfüßige träger von Shorts sehe ich auch in München so gut wie nie, obgleich ich in den letzten Tagen einigen Barfüßern begegnet bin. Diese trugen freilich ebenso wie ich lange Hosen, zwei Frauen auch lange, weite Rökke.

Bei uns sind durch
Säkularisierung, Hedonismus und Permissivität sämtliche Werte
zerstört worden, und wenn diesbezüglich nicht bald energische
Aufbauarbeit geleistet wird, wird die europäische Kultur bzw. was
davon noch übrig geblieben ist, für immer untergehen!

So ein Schmarrn!!! Sämtliche Werte zerstört... Diese kulturpessimistischen Sprüche kenne ich sonst nur von alten Rechten.

Sich für die Bewahrung von Kultur und die Wiederherstellung von Werten einzusetzen hat nichts mit einer bestimmten pölitischen Einstellung zu tun. Es ist aber nun mal so, daß um 1968 hierzulande eine Art Kulturrevolution stattgefunden hat, infolge derer viele Werte zerstört und gewissermaßen in den Gulli getreten worden sind. Heute herrscht die Generation, die dieses Zerstörungswerk zu verantworten hat (die heute 50 - 60jährigen), und unser Land geht endgültig den Bach runter.

Welche Kultur wurde denn zerstört? Die der Leibeigenschaft? Die des Absolutismus? Die des Obrigkeitsstaates? Die der Massenarmut, die auch (später) berühmte Künster verhungern ließ? Die des 12 Stundentages an 6 Tagen die Woche, die auch für 14jährige galt? Die des wilhelminischen Kaiserreichs? Die des Nationalsozialismus? Die der restaurativen 50er Jahre?

Frühere Epochen waren nicht durchweg schlecht. So wurden etwa in der wilhelminischen Zeit die Anfänge der sozialstaatlichen Ordnung (welche derzeit besonders munter zerstört wird) gelegt, und es war eine Blütezeit Deutschlands und der deutschen Sprache. Deutschland war auf fast allen Gebieten, besonders was Kunst und Wissenschaft betrifft, führend (das gerade Gegenteil ist heute der Fall). Die 1950er Jahre wurden von einer großartigen Aufbauleistung geprägt; aus Trümmern und Ruinen wurde binnen weniger Jahre ein wirtschaftlich blühendes Land aufgebaut. Jahrzehnte später war man nicht in der Lage, aus der früheren DDR, welche anders als Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkriege nicht in Trümmern lag, die von Helmut Kohl versprochenen "blühenden Landschaften" zu machen.


Wenn es diese Kulturen waren, dann bin ich heilfroh für deren Zerstörung. Kultur ist nicht nur Hochkultur, sondern besonders auch die Lebensverhältnisse aller Einwohner eines Landes.

Da hast Du in gewisser Weise recht, aber gerade diese Lebensverhältnisse werden in unserem Lande von Tag zu Tag schlechter, und vor diesem Hintergrunde - zusammen mit der infolge Zerstörung kultureller Werte eingetretenen Orientierungslosigkeit gerade der Jugend - nimmt die Kriminalität einschließlich rechtsradikaler Gewalttaten zu.

Barfüßige Grüße,
Markus U.


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