Noch ein TV-Filmtip (Hobby? Barfuß! 2)

Ralf, Thursday, 02.01.2003, 21:49 (vor 7939 Tagen) @ TeWe

Hallo,

da muss ich wohl doch noch ein paar Worte zu dem Film schreiben, obwohl hier eigentlich off topic. Ich hoffe, das wird mir nachgesehen. Es soll auch keine Belehrung sein, einfach ein paar Infos.

Natürlich sind die Leute, die in dem Film das Hotel bewohnen, alle ein bisschen verrückt. Davon lebt ja der Film zum großen Teil. Das Wort "Geistesgestörte" sollte man aber heute wirklich nicht mehr verwenden, es entstammt dem Vokabular des dritten Reichs.

Eloise, von der du sprichst, hat sich selbst weitgehend aufgegeben und lebt nur in und mit ihren Büchern. Sie gibt sich Männern hin, ohne nach ihren eigenen Worten je etwas für einen empfunden zu haben (eben bis Tom Tom sie für sich entdeckt). Natürlich ist sie fertig, wahrscheinlich tief traumatisiert, sie zeigt neurotische Auffälligkeiten ... aber geistesgestört würde ich das nicht nennen.

Das Million Dollar Hotel gibt es wirklich in Los Angeles. Bono von U2 "entdeckte" es bei der Produktion eines Musikvideos vor ein paar Jahren und es - bzw. seine Bewohner - inspirierte ihn zu der Geschichte (von U2 ist auch die Filmmusik). Das Hotel war einmal das höchste Gebäude in LA und eines der ersten Häuser am Platz, diverse US-Staatsgäste haben dort z. B. genächtigt. Wie man unschwer erkennen kann, ist es aber inzwischen ein bisschen heruntergekommen. Die Leuchtreklame ist z. B. seit 70 Jahren defekt, für den Film wurde sie nachträglich im Studio am Computer wieder "repariert".

Unter der Reagan-Administration wurden in den USA konsequent Hilfsprogramme für benachteiligte Menschen zusammengestrichen. Entsprechend sammeln sich die von der Gesellschaft nicht so gern Gesehenen oder die nicht so leistungsfähigen Menschen nun größtenteils in solchen Absteigen oder anderen "Reservaten" (sofern sie noch leben). Allein im Million-Dollar-Hotel leben kontinuierlich rd. 800 Menschen! Wenders selbst sagt, die eigentlichen Bewohner hätten sich während der Dreharbeiten manchmal wundersamer benommen als die Figuren des Drehbuchs.

So ist der Film sicher auch wieder Teil der Auseinandersetzung von Wenders mit der US-Filmindustrie, wie schon "Der Stand der Dinge" von 1982. Er zeigt einfach das "andere" Los Angeles, die Kehrseite von Hollywood.

Aber gefallen muss der Film natürlich trotzdem nicht jedem. Leichte Kost ist er wohl eher nicht.

Beste Grüße, Ralf

P.S.: Die auf dem Dach abgestellten Buchstaben R und W der Leuchtreklame sind übrigend ein Tribut Wenders' an Rainer Werner Fassbinder.


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