fremdbestimmtes Barfußlaufen (Hobby? Barfuß! 2)

Georg @, Saturday, 27.04.2002, 15:15 (vor 8252 Tagen) @ Christine

Hallo Christine,

Wenn einer aus Zwang oder Armut barfuß laufen muß, ist das sicher kein Spaß.

Das gilt sicherlich nicht für das Barfußlaufen, sondern nahezu immer, wenn man etwas aus Zwängen heraus tun muss - Armut ist ja auch ein solcher. Als Kind z. B. aus solchen Zwängen heraus arbeiten zu müssen - wie früher es bei uns und heute in anderen Ländern der Fall ist - macht wohl auch wenig Laune.

Als Beispiel nenne ich nur die Geschichte meiner Großmutter, die in der Endphase des zweiten Weltkriegs als Schulmädchen von Westdeutschland nach Bayern in eine Gastfamilie "zwangsevakuiert" wurde. Dort war barfußlaufen für Kinder wirklicher Zwang von Mai bis August (buchstäblich, die Schuhe wurden am ersten Mai weggeschlossen), aber nur für Kinder: Männer trugen immer Schuhe, erwachsene Frauen liefen in Haus und Hof meistens auch barfuß (hübsches Klischee?!), hatten aber irgendwelche meist ziemlich kaputten Treter zum Einkaufen oder ähnliches.

Sicher werden hier Klischees deutlich - und wir lesen sie hier auch nicht zum ersten Mal.
Interessant wäre eine wissenschaftliche Untersuchung über die Hintergründe solcher Strukturen und die Kontexte, die zusammenspielen, wie zum Beispiel : Tragen Männer Schuhe, weil man als Mann nicht barfuß geht, während das zur Frau ja ganz gut passt - oder gibt es in den wiederkehrenden Arbeitsabläufen der Männer eher als in denen der Frauen Veranlassung dazu, die sich dann verselbständigt hat ?
Gehen Kinder barfuß, weil sie das Geld für Schuhe nicht Wert sind - oder gibt es (zumindest auch) in der Tradition von Pfarrer Kneipp u. a. eine Denktradition, dass Barfußlaufen für Kinder im Sommerhalbjahr gesund ist?
Diese Art Fragen ließe sich durchaus noch fortsetzen.

Die Kinder, die aus fremden Gebieten in Gastfamilien kamen,hatten zwar Schuhe zur Verfügung, wurden von den einheimischen aber, wenn sie im Juni beschuht rumliefen, derart hart verspottet, daß sie sich bald nicht mehr dazu trauten: Eine Art von "Ehrenkodex" in bitterer Armut?

Im März - Pressespiegel hatten wir einen Beitrag über ein Buchprojekt in St. Gallen / Schweiz mit dem Titel "Die Barfüssler" über Schuljungen in der Kriegszeit, für die ihr Barfußlaufen eine "Ehrensache" war.
Im übrigen war es vielleicht einfach nur eine gute Gelegenheit, die "Fremden" an einer "wunden Stelle" - der fehlenden Fähigkeit zum Barfußlaufen - zu treffen ?

Für die neuankommenden war das, bis man sich daran gewöhnt hatte, gewiß kein "Barfußvergnügen", zumal damals die Schulwege kilometerweit waren.

Das kann man sich leicht vorstellen - und dass diese Erinnerung haften geblieben ist auch. Vielleicht gibt es aber (zumindest auch) eine Erinnerung an schöne Barfußtage auf Wiesen und an Bächen, von denen man jedenfalls im Pressespiegel auch immer wieder lesen kann ?
Wir können jedenfalls froh sein, dass uns auf Schul- und anderen Wegen eine grundsätzliche Wahlfreiheit bleibt, weil unsere Einkommen höher und Schuhe zudem billiger geworden sind.
Ob der soziale Druck, den Du oben beschrieben hast, heute nicht unter umgekehrten Vorzeichen - jedenfalls in weiten Teilen der Republik - mindestens gleichgroß ist, steht dann auf ein anderes Blatt geschrieben.

Gruß aus Köln
von Georg


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