Italienischunterricht (Hobby? Barfuß! 2)

Federico @, Wednesday, 13.02.2002, 01:45 (vor 8325 Tagen)

Wenn ich einen Beitrag aus dem "Best of" ausgraben - wozu wären diese Beiträge sonst zu lesen? - und in Anbetracht ziehen darf, würde ich, wenn es mir eine kleine polemische Note erlaubt wird, Jörgs Gedanken über seine Urlaub am Gardasee wieder hervorheben und darauf einige Überlegungen anstellen.
Jörg freute sich nämlich, dass er überhaupt unauffällig und problemlos am Gardasee spazieren gegangen ist und, ich zitiere: "Überhaupt war die [...] Reaktion am Gardasee überraschend positiv, das heißt, es gab überhaupt keine Reaktion. Weder beim Einkaufen in [...] Supermärkten oder etwa beim Betreten von Museen hatte ich irgendwelche Probleme. Es gab von Seiten der Einheimischen noch nicht einmal überraschte oder schockierte Blicke. Offensichtlich ist die Bevölkerung dort angesichts der Touristenströme einiges gewohnt."
Ausdrücklich spielte Jörg auf die wenig eleganten "dickbäuchigen" Touristen an, an denen sich die italienische Bevölkerung gewöhnt habe. Doch weiter: "Das wichtigste zuerst: Barfußlaufen am Gardasee ist wie barfußlaufen in (Ober-) Bayern, da der See fest in deutscher bzw. bayerischer Hand ist... Auffallfaktor daher sehr gering!"
Eigentlich, als Italiener, der genau aus der Garda-Gegend herkommt, finde ich, mit Verlaub, eher unlogisch und ein bisschen lächerlich, dass Jörgs positive Erfahrungen in meinem Land nicht wegen einer offenen Mentalität der Einheimischen sondern Frucht der italienischen Tourismus-Gewöhntheit oder der hohen Anzahl der deutschen bzw. bayrischen Touristen sein sollten. Persönlich habe ich jeden Sommer viele Aufflüge und Urlaube am Gardasee oder an der Adriaküste fast komplett barfuß verbracht (abends eingeschlossen, im Gegenteil von Jörg!), und habe Spaß gehabt, ab und zu andere (auch italienische) Barfüßigen gesehen, und von den Landsleuten keine einzige negative, sondern entweder keine oder nur positive Äußerungen darüber gehört. Ich finde, das liegt doch an unserer einigen Kultur und nicht mit dem Tourismus zu tun. Würde der Tourismus wirklich unser Lebensstil beeinflussen, dann würden auch die Italiener eine Menge Bier und Würstel verzehren; das ist aber noch nicht geschehen.
Also, ich korrigiere: "dank der modernen italienischen Mentalität sind die meisten italienischen Uraubsorte alle barfuß-freundlich"!
Jörg bemerkt außerdem: "Die meisten dieser Städte wurden mittlerweile vom Autodurchgangsverkehr befreit und mit Fußgängerzonen versehen. Dadurch sind sie barfuß gut begehbar und auch relativ sauber, auf der anderen Seite auch steriler, touristischer und mit weniger italienischem Flair (keine knatternden Vespas). Überhaupt ist der Gardasee bzw. die Orte drum herum noch viel deutscher geworden...”
Ich liebe Deutschland, habe dort, vor allem in Bayern viele Freunde und bin mit Freude jedes Jahr wegen des Studiums über längeren Zeiten in München; trotzdem scheint mir, dass die Deutschen -und, wenn Gott es will, die sind nicht die einzigen! - an einer Art "Klassenbesten-Komplex" leiden, nach dem wenn ein Ort moderner wird, ist es "deutscher" geworden.
Die knatternden Vespas haben eigentlich die kleinen norditalienischen und "relativ sauberen" Städte und Gegenden niemals sinnbildlich dargestellt (Ferrara, mittelalterliche Stadt am Fluss Po ist, zum Beispiel, als die Stadt mit den meisten Fahrräder Europas dafür bekannt - dazu seht: http://www.italia-individual.de/Emilia/info/ferrara/ferrara2.htm).
Doch immer prägt sich in unserer Einbildung die eher außergewöhnliche und pittoreskeste Darstellung eines Landes bzw. eines Volkes, so verbinden die Deutschen mit Italien immer nur Süditalien; alles andere muss nicht typisch dieses Landes oder "deutscher" geworden sein.
Apropos Süditalien: letzten Sommer war ich im Urlaub auf der neapolitanischen Insel Ischia, wo ich niemals so viele Barfüßigen gesehen habe, überall, auch im Landesinnere durch Straßen und in Lokalen - war selbst sehr überrascht! Es waren viele deutschen Touristen, meistens Senioren da, während die meisten Italiener Jungens waren. Jedenfalls bin ich auf gar keinen barfüßigen Deutschen gestoßen, während ich manche italienischen Jungs nicht einmal zwei Wochen lang mit Schuhen an gesehen habe.
Ja, es stimmt schon, dass es in Deutschland generell mehr Barfüßigen als in Italien zu sehen sind. Bei den Italienern ist das aber, meiner Meinung nach, eher auf eine blöde ständige Sucht nach Eleganz zurückzuführen. Das norditalienische Wirtschaftswunder, das in der Nachkriegszeit Italien auf einmal zur fünften Macht der Welt geführt hat, hat leider folglich, vor allem im Norden des Landes, ein sehr starkes Konsumdenken beigetragen, nach dem das Geld einen Wert zu zeigen und die Kleidung bzw. Firmenkleidung ein Zeichen des Reichtum bzw. des "Geil-Seins", insbesondere unter meinen jugendlichen Gleichaltrigen geworden ist. Von Bestandteil einer Volkstradition hat sich die Kleidung in ein Erkennungszeichen einer gewissen Gruppe verwandelt, nicht zuletzt mit dem Umweg über eine immer stärkere "Nikeskultur". Schuhe können auf diese "wesentliche" Rolle nicht verzichten: Ja, je mehr sie gekostet haben, desto geiler man wird! Ja vielleicht bilden sie Pendant zu dem super-geilen T-Shirt, das für das neue super-geile Lokal auf der Strand gekauft wurde! So weit ich sehe, hat sich in Deutschland so eine Denkweise, dank einem größeren generellen Sparsamkeits- und Bescheidenheitsgefühl der Deutschen glücklicherweise viel weniger durchgesetzt - und hoffentlich wird es noch länger so bleiben! Immerhin ist es hierzulande überall nur Akzeptanz über das Barfußlaufen zu finden, auch unter denen Modensüchtigen, die wahrscheinlich unser Leben ohne solche Frustrationen beneiden werden. Und übrigens: Wenn mal auch die Touristen in Italien mehr barfuß laufen und weniger respektlos schmutzig machen würden, dann würden unsere Städte bestimmt noch "relativ" sauberer werden!

Ich hoffe, ihr seid für diese Überlegungen nicht zu böse auf mich, und dass ihr an nächstem Sommer mal wieder zum Garda-See und drum herum zu Besuch kommt! Dafür freue ich mich über - besonders jugendliche - Kontakte!

Gruß an alle!
Federico


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