Es war einmal : der SZ - Artikel (Hobby? Barfuß! 2)
Hallo zusammen,
in unserer Medienecke gibt es zwar eine Besprechung des ausführlichen Artikels "Endlich auf freiem Fuß" in der Süddeutschen Zeitung vom Mai 2000 (genauer : SZ - Magazin vom 19. 05. 2000, S. 34 - 39), aber keine Textauszüge.
Länger schon hatte ich es mir schon vorgenommen, jetzt endlich habe ich es mal geschafft, den Beitrag einzuscannen und per Texterkennung umzuwandeln. Hier die Auszüge :
Es gab da mal Ende der achtziger Jahre ein Mädchen, das vom Land in die Stadt New York zog und dort ganz groß herauskommen wollte. Sie machte es anders als die anderen Mädchen, die dasselbe im Sinn hatten. Sorglos hopste sie von Casting zu Casting, von Party zu Party und bald erkannten die Leute sie wieder; denn das Mädchen trug niemals Schuhe und die Menschen in der großen Stadt liebten sie für ihren unbekümmerten Landmädchencharme. Heute ist sie eine der berühmtesten Schauspielerinnen der Welt. Sie könnte jeden Tag in ein anderes Paar zarter Pumps von Manolo Blahnik schlüpfen, einem der teuersten Schuhdesigner überhaupt, und sie am Abend wieder fortwerfen - so reich ist sie. Aber nach wie vor geht dieses Mädchen am liebsten barfuß, ins Restaurant, zu Filmpremieren, zum Agententreffen.
Julia Roberts heißt die Schauspielerin, und wenn ihr jemand blöd kommt, so sagt sie unschuldig: »Barfußlaufen ist ein Relikt aus meiner Kindheit; als kleines Mädchen ging ich immer barfuß und ich fühle mich immer noch am wohlsten ohne Schuhe.» Allerdings kommen Julia Roberts heutzutage nicht mehr allzu viele Leute blöd.
Auch die Schauspielerin Drew Barrymore gibt zu, dass sie mehr Zeit in ihrem Auto verbracht hat als in ihren Schuhen. Helen Hunt und Cindy Crawford sind ebenfalls bekennende Barfüßlerinnen.
Generell lässt sich sagen: Glücklich ist, wer hübsche Füße hat. Denn jetzt kommt der Sommer und die Schuhe werden immer kleiner. Soll heißen: Heutzutage, geht schon eine Sohle mit ein paar kleinen Riemchen als Schuh durch, eine Sandalette oder ein Pantoffel. Und wer weiß, wenn das Straßenpflaster nicht so hart und die Sitten andere wären - vielleicht würde auch Manolo Blahnik bald ganz auf die Sohle verzichten. Und seinen Kundinnen lediglich, ein paar glitzernde Bändchen um die Füße schlingen.
Bevor jedoch Prominente und Moderedakteure nackte Füße wieder als fein ausriefen, genoss das Barfußlaufen einen eher zweifelhaften Ruf. Zu lange hatten verlotterte Hippie ' s oder verbohrte Studenten das Barfußlaufen zu einem ihrer letzten Tabubrüche gemacht.
Einer von ihnen, ein barfüßiger Student in der Mensa der Universität Bonn, wurde einst freundlich darüber aufgeklärt, »dass es die Gastronomie - Hygienevorschriften verbieten, einen Barfüßigen zu bedienen«. Eigenartig, denn schließlich wollte der Student ja nicht mit den Fügen, essen. Als er sich trotzig bei der Mensaleitung erkundigte, stellte sich, heraus, dass die, Gastronomie - Vorschriften zwar von Köchen verlangen, mit geschlossenen Schuhen zu arbeiten, zum Thema Gästefüße aber schweigen. [...]
Schuhe sind eine Erfindung der Antike, vordem liefen alle Menschen barfuß. Ebenso wie ihre Götter : Die Füße der Hindu - Gottheit Shiva etwa werden vielfach als Symbole der kosmischen Ordnung dargestellt und auch Hermes, der griechische Götterbote, brauchte keine Schuhe,. um seine Nachrichten zu verbreiten; er hatte kleine Flügel an den Füßen.
Die Vorstellung, dass nackte Füße eine Zumutung sind, stammt aus der Neuzeit. Im sittenstrengen Preußen galt es schon als unschicklich, wenn Kinder einen Bach barfuß durchwateten. Und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stand jemand, der keine Schuhe trug, im Verdacht, entweder arm zu sein oder verrückt - wenn nicht beides.
In Bayern dagegen, traditionell erdverbunden, stand für den katholischen Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 - 1897) das Barfußlaufen in der Natur keineswegs im Widerspruch zur Moral. In seinem Werk Wasser - Kur von 1892 nennt er als wichtigste Abhärtungsmittel:
1. das Barfußgehen;
2. das Gehen im nassen Grase;
3. das Gehen auf nassen Steinen;
4. das Gehen im neu gefallenen Schnee;
5. das Gehen im kalten Wasser;
6. das Kaltbaden der Arme und Beine (Füße);
7. den Knieguss (mit und ohne Oberguss).
Dass Barfußlaufen natürlich und gesund sei, zeige schon das Verhalten kleiner Kinder, argumentiert Kneipp: »Ohne alle Menschenrücksichten werfen sie die lästigen, die Füße quälenden Schuhe und Strümpfe von sich und sind ganz glückselig, besonders zur Frühjahreszeit, wenn man sie frei herumpusseln lässt. Die Kinder tun dies ganz instinktiv, einem gewissen Naturtriebe folgend, den wir alle auch verspüren würden, wenn die überfeinerte, schablongierende, Schraubstockdienst thuende, alles Natürliche wegdrechselnde Bildung uns nicht vielfach den gesunden Sinn genommen hätte.«
Das Barfußlaufen erfüllt Kneipp zufolge einen medizinischen Zweck. Ein dosierter Kältereiz rege die Wärmeproduktion des Körpers an und stabilisiere den Kreislauf. Barfußlaufen beuge der Bildung von Blasen vor, Druckstellen, Überbeinen, Hühneraugen, Krampfadern, Fußpilz und tauben Beinen.
Nach diesen Kneipp - Zitaten wenden sich die Autoren des Artikels Erklärungsversuchen für den erkannten Trend zur Barfüßigkeit zu :
Woher nun aber die erneute Konjunktur des Barfußlaufens? Ganz einfach: Seit den achtziger Jahren herrscht in den Industrienationen dieser Welt der Körperkult. Nach Fitnessstudios und Sonnenbänken eröffnen nun allerorten Nagelsalons. Die Vorzeichen haben sich geändert, zuallererst die Vorstellung von Mode und Ästhetik; so kann es kommen, dass Vogue - Models plötzlich nackte Füße zu Galliano - Roben tragen und dass ausgerechnet nackte Füße heutzutage sogar den Verdacht entkräften, ein verarmtes, verlottertes, verrücktes Leben zu führen. Wenn sie so gepflegt sind wie der Rest des Körpers, ist das ein Zeichen des modernsten aller luxuriösen Lebensstile, nämlich: Zeit zu haben. Natürlich nur, wenn nicht gerade an jedem zweiten Zeh drei bis fünf Ringe stecken; was möglicherweise wieder, rmit negativen Reminiszenzen an die Hippie - Hochburg Height Ashbury in San Francisco zusammenhängt.
Natürlich gibt es da auch noch das andere Lager: die überzeugten Barfußläufer. Ob aus Fetischismus, Langeweile, Religiosität oder Naturverbundenheit - in den Vereinigten Staaten gibt es mittlerweile mehr als vierzig Vereinigungen, die das Barfußlaufen fördern. Die bekannteste ist die Dirty Soles Society (DSS). Die Gesellschaft der schmutzigen Sohlen setzt sich für das Recht ein, barfuß Auto fahren zu dürfen, listet barfußfreundliche Geschäfte auf und kämpft für das Recht, öffentliche Gebäude auch ohne Schuhe betreten zu dürfen. »Mit der Evolution wandte sich der Blick des Menschen vom Boden weg«, heißt es in den Statuten der Dirty Soles Society, »nur der Kontakt der Füße zum Boden verbindet uns noch mit unserem Planeten.«
Barfuß Auto fahren, barfuß essen gehen und barfuß am Schulsport teilnehmen - all das ist völlig legal. Nach Auskunft der Barmer Ersatzkasse sind Barfußsportler in Turnhallen und »sportüblichen Räumen« versichert. Als »grob fahrlässig», gelten lediglich das Barfußturnen auf Dielenböden mit lockeren Nägeln oder das Fußballspielen ohne Schuhe.
Selbst Auto fahren mit baren Füßen ist nicht unbedingt verboten. Bei einem Unfall zahlen die Versicherungen nur dann nicht, wenn sich herausstellt, dass der Fahrer barfuß am Steuer saß ...
Einspruch ! Hier stellen die Autoren eine nachgewiesenermaßen unzutreffende Behauptung auf, die im übrigen auch im logischen Widerspruch zum nachfolgenden Satzteil steht :
... aber kein deutsches Gesetz sagt, dass man nur in Schuhen Auto fahren darf. Ähnlich ist es in den USA, wo das »Führen eines Fahrzeuges durch einen Fahrer mit nackten Füßen« in den meisten Bundesstaaten erlaubt ist. Besondere Vorschriften gibt es nur für Motorradfahrer.
In vielen amerikanischen Geschäften und öffentlichen Gebäuden wird Barfußläufern mit dem Schild »shirt and shoes required« der Zutritt verwehrt. Grund für diese Maßnahme ist angeblich eine Vorschrift der Gesundheitsbehörden. Das Gesundheitsamt des Staates New York teilt auf Anfrage mit, dass es keine Vorschrift zum Dresscode in Geschäften und Büros erlassen hat. Der Gesundheitsbehörde war allerdings auch nicht bekannt, dass ein derartiges Gesetz in anderen Staaten existiert.
In der »Barfussbar« in Zürich, die während der Sommermonate geöffnet hat, gehören schwarze Füße zum guten Ton. Die alten Holzdielen des Lokals dürfen nur barfuß oder mit Strandschuhen betreten werden. Mittwochs gibt es kulturelle Veranstaltungen, ebenfalls nur für Barfüßler.
Hier zu Lande jedenfalls treffen sich Überzeugte Barfuß - Gänger in Barfuß - Clubs und Barfuß - Bars, diskutieren im Internet in Barfuß - Foren [...]
Sie unternehmen gemeinsame Barfuß - Wanderungen und legen Barfuß - Erlebnisstätten an. In Dornstetten im Nordschwarzwald gibt es einen Barfußpark, im Hunsrück zwischen Bad Sobernheim und Staudenheim einen 3,5 Kilometer langen Barfußpfad.
Das Barfuß - Forum empfiehlt Einsteigern, vier Grundregeln zu befolgen:
1. Nicht schlurfen - den nackten Fuß senkrecht aufsetzen, abrollen und weit genug anheben.
2. Immer den Weg im Auge behalten - wenn es etwas zu sehen gibt, lieber stehen bleiben.
3. Richtig abrollen und das meiste Gewicht eher auf den Ballen halten, wo es beser abgefedert werden kann.
4. Wenn du fühlst, dass du auf etwas Unangenehmes trittst, solltest du schnell genug reagieren und woanders hintreten. Wichtig für Anfänger sei auch die geschickte Wahl des Untergrunds: Schotter ermüdet schnell, Gras, Sand und Erde sind genau richtig.
Nun wird noch der religiöse Aspekt des Barfußlaufens angesprochen :
Seit Jesus, dem Neuen Testament zufolge, barfuß über das Wasser wandelte, fühlen sich fromme Menschen ohne Schuhe näher bei Gott. Nackte Füße stehen im christlichen Glauben für Weisheit, Demut und Souveränität. Der christliche Kirchenvater Ambrosius schreibt in seinem Sechstagewerk über den »Dienst der Füße«: »Der Fuß bringt im Kniefall die demütige Gesinnung und in der Fortbewegung die emsige Dienstbeflissenheit zum Ausdruck.« Kniefall und Dienstgang, am besten barfuß, » machen die Schritte der Seele kräftiger«.
Auf der irischen Wallfahrtsinsel Station Island unterziehen sich die Pilger einem harten Ritual, dem »St. Patrick's Purgatory«. Sie laufen drei Tage lang barfuß und nehmen nichts außer Tee und trockenen Keksen zu sich. Laut Wallfahrtsdirektor Monsignore Richard Mohan hat das weniger mit Sünde und Buße zu tun als mit der dadurch gesteigerten Möglichkeit, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden: » Barfuß und ohne die Annehrnlichkeiten des heutigen Lebens findet man den Weg zum eigenen Ich und den persönlichen Prioritäten leichter. « Auch Buddhisten und Asien - Touristen lassen ihre Schuhe vor dem Tempeleingang stehen (was ungläubige Einheimische gelegentlich dazu verführt, sich die flotten Nike - Turnschuhe westlicher Reisender anzueignen).
Und der südamerikanische Poet Jorge Luis Borges erkannte gegen Ende seiner irdischen Existenz, dass diese unbeschuht möglicherweise freier verlaufen wäre: »Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte«, schreibt er, »würde ich von Frühlingsbeginn an bis in den Spätherbst barfuß gehen. «
Dem Fazit, zu dem die Autoren gelangen, muss man sich ja nicht zwingend anschließen :
Bleibt die Frage: Wo ist Barfußgehen heute wirklich angebracht? Sagen wir so: nicht inmitten von Aktenordnern und Anzugträgern. Nicht aus Sentimentalität oder Provokation. Nicht als Akt der Befreiung - die Zeiten sind vorbei. Achten Sie lieber auf einen Moment, der so romantisch ist wie Pretty Woman, so unbekümmert wie das Lachen von Julia Roberts.
Und: Achten Sie auf einwandfreie Pediküre !
Soweit die Textauszüge. Sie wandern jetzt in das Hobby? Barfuß! - Best of - also dahin, woher die Autoren nachweislich viele ihrer Informationen bezogen hatten.
Serfuß Georg