Jugendlicher Sturm & Drang / Spießer (Hobby? Barfuß! 2)

Lotsi, Thursday, 11.01.2001, 13:41 (vor 8720 Tagen)

Hi Ihr! Diesmal ganz besonders Jörg, Lorenz und Georg!

Jungs,

... ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.

Erstmal: Jörg, Deine Kritik hat mich nicht verletzt oder gar in die Flucht geschlagen. Das war keine "Kopfwäsche" (wie Lorenz meint), obgleich ich mich schon etwas falsch verstanden fühlte und entsprechend irritiert war. Die Kritik war deswegen teilweise berechtigt, weil ich mich natürlich total pauschal geäußert habe, und zwar so pauschal, dass ich es nicht ganz verstehe, dass Du Jörg, Dich (und Deine Anverwandten) scheinbar persönlich angegriffen fühltest. Das wollte ich nicht. Ich habe mich zu pauschal geäußert, das hat zu Missverständnissen geführt.
Dir, Lorenz, danke ich wie immer für Deine Diplomatie und Deine ruhige, weise Art der Deeskalation (und vielen Dank für Deine Komplimente!!!). Doch sei unbesorgt: Beim Begriff "Radikalität des jugendlichen Alters" (so schrieb Jörg) denke ich derzeit eher an Joschka Fischer als an mich. Ich bin ja erst 22, Joschka war bei besagter, viel zitierter Szene schon 25!
Weiß Gott, ich bin keine Post-68erin. Alles um "68" war mir immer suspekt, diese naive Selbstgerechtigkeit usw. Ich wettere gegen kein "establishment", versuche wirklich nicht, als Revolzzerin rüberzukommen. Mein jugendlicher Sturm & Drang äüßert sich vielleicht in meinen oft lockeren Formulierungen, aber nicht in irgendeiner bewusst-provokanten Haltung. Ich versuche schon, meiner Umwelt möglichst nett zu begegnen und niemanden zu verletzen. Ich will niemanden persönlich wegen Zügen seiner Persönlichkeit angreifen. Und ich besitze gleichwohl "spießige" was-auch-immer Eigenschaften, ja, ich würde mir, wenn ich das Geld dazu hätte, vielleicht sogar einen Golf kaufen (naja...)
Was ich sagen will: Wenn ich den Begriff "Spießer" verwende, dann als unbestimmten Terminus, der wohl als Schimpfwort zu verstehen ist, aber nicht einen Typus per se angreift (z.B. alle Sparkassendamen dieser Welt oder alle Jurastudenten, die es gibt), sondern einfach ganz pauschal bestimmte Eigenschaften kritisieren soll, die mir nicht passen und Haltungen von Leuten, die mir nicht zusagen.
Ich habe kein schwarz-weiß Raster, Jörg, teile die Leute nicht ein in "Spießer" und "gute Menschen". Natürlich sind Konventionen wichtig. Wer Konventionen beachtet ist freilich nicht gleich ein "Spießer" oder was auch immer, da hast Du völlig Recht, Jörg.
Unter "spießig" verstehe ich einfach einen Fundus von Eigenschaften, die mich nerven oder über die ich - ganz arrogant - grinsen muss. "Spießer" sind für mich kein eigener Menschenschlag, sondern Leute mit einer gewissen, manchmal spürbaren Unsicherheit (in schlimmen Fällen: Borniertheit), auch mit Stil-Unsicherheit. Na, solche kennen wir doch alle (und sind es - verschieden gelagert - ja auch selbst!).
"Spießig" ist ein Attribut für Verhalten, keine Gesamtkategorie für Menschen. Ich verwende das Wort ja auf einer ganz banalen Grundlage: Für Leute, die ganz nett sind, aber beim Essen plötzlich die Semmeln über der Spüle aufschneiden, damit es keine Brösel gibt, Leute, bei denen alle Gäste tatsächlich die Schuhe ausziehen müssen (und wer barfuß kommt, welche anziehen muss! Mir schon passiert!), Leute die mit Liebe ihr Auto putzen und im Wohnzimmer Glastische stehen haben und wehe, man stellt ein Glas OHNE Untersetzer drauf!!! Leute, die es nicht wollen, wenn ich am Sonntag barfuß durch eine Bischofsstadt laufe. Oder Leute, die ihren Anteil an einem Gemeinschaftsgeschenk (das ich mühevoll besorgt habe!) auf den Pfenning genau ausrechnen und mir exakt 16,40 Mark in die Hand zählen usw.... Das verstehe ich - arrogant, zugegeben - unter "spießig".
Leute, die aus diffusen Antipathien z.B. gegen Ausländer, Sozis, Ossis oder was auch immer herziehen und allgemein stark zu Vorurteilen neigen, sind schon eher borniert als "spießig". Vor allem sind die wirklich schlimm. "Spießer" nach meinem Verständnis, sind eher harmlos-nett, aber halt ein bisschen lächerlich...
Du hast ebenso Recht, Georg: Natürlich hätte ich mich auf besagtem Fest auch mit Schuhen unwohl gefühlt, und sicher ist es gut, auch mal Kompromisse einzugehen. Ich habe zu diesen Leuten so und so nicht gepasst, aber ich musste halt hin (Kompromiss mit meinem damaligen Freund). Diese beschrieben Leute da haben sich, was das Schlimme war, in ihrem langweiligen Geplänkel auch noch prächtig amüsiert, ja, dies "Fest" durfte als gelungen gelten. Aber Ihr hättet die Leute mal sehen und hören sollen! Da kann man wirklich nur noch hilf- und wortlos stammeln "Spießer".
Sicher, unter Leutem, die jetzt nicht sofort als "sp." gelten dürfen, kann man barfuß auch zur Schau werden. So geschehen auf einem anderen Fest, das von angehenden Geisteswissenschaftlern dominiert wurde. Auch da war ich der Gegenstand steter Analyse. "Und du hast wirklich keine Schuhe dabei?", hieß es dauernd (wirklich: immer wieder!) ungläubig. "Ja, was machst du, wenn du wo reintrittst/ es zum Regnen anfängt / jemand was sagt / du wo barfuß nicht reindarfst / was sagen denn die anderen dazu / hast du dich schon verletzt / ist es jetzt am Abend nicht zu kalt" usw. usw. - das kennt Ihr ja. Also: Barfuß auffallen und zum Objekt der Betrachtung werden, das kann einem überall passieren. Nicht nur unter "Spießern". Einverstanden.
Ich hoffe, mein etwas wirrer Erklärungsschwall ist einigermaßen angekommen.
Nochmal: Jörg, nix für ungut! Ich hoffe, Du kannst meinen Standpunkt irgendwie nachvollzuiehen. Keine Sorge: Deine Kritik hat mich nicht zu hart getroffen. Das halte ich schon aus! Und auf den Mund gefallen bin ich ja auch nicht!!
Lorenz und Georg: Danke für Eure Vermittlung und netten Worte!
Und an Euch alle: Postet weiter munter auf diesem wunderbare Forum! Ich werde es auch tun. Wir sind wirklich alle in bester Gesellschaft!
Liebe Grüße
Lotsi


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