Barfußimpressionen aus Winterthur (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Tuesday, 19.02.2008, 18:28 (vor 6057 Tagen)

Von meinem barfüßigen Besuch im Technorama in Winterthur am 9.2.2008 habe ich ja berichtet. Die Öffnungszeit ist von 10 bis 17 Uhr, also "mitten am Tag". Daher entschied ich mich, vor dem Technorama-Besuch noch die Winterthurer Altstadt barfuß zu erkunden, diese beginnt in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Die flachen Steine in der Fußgängerzone sind wirklich barfußfreundlich. Die Winterthurer Altstadt ist im Vergleich zur Gesamtgröße der Stadt erstaunlich klein, nur etwa doppelt so groß wie die Zofinger Altstadt. Die Winterthurer Stadtkirche hat doppelt so viele Türme wie die Zofinger, auch die Turmformen ähneln einander. Soll das das etwa auch heißen, daß Winterthur doppelt so spießig wie Zofingen? Und die Polizei doppelt so restriktiv? Vielleicht war ich am Abend schlauer.

Als ich am Morgen barfuß, in kurzer Hose und mit Sommerjacke durch die noch kalte Stadt ging, waren noch nicht viele Leute dort. Etliche starrten mich an, wie wenn ich von einem anderen Planeten stammte. Aber keiner der Leute machte extra einen Bogen um mich. Prozentual starrten mich wohl deutlich mehr als doppelt so viele Leute an wie in Zofingen unter vergleichbaren Bedingungen. In Zofingen kennt man mich halt, während ich in Winterthur bisher nur einmal barfuß war, und das nur am Bahnhof und bei deutlich höheren Temperaturen.

In der Nähe der Winterthurer Stadtkirche, die ich nicht barfuß betreten konnte, weil deren Öffnungszeiten kürzer waren als beim Technorama, fragte mich ein Mann mit südländischer Abstammung freundlich, ob er mir mit Schuhen und einer langen Hose aushelfen könnte. Ich aber lehnte ab und meinte, daß es gesund sei, barfuß zu laufen.

Um weiter zum Technorama zu kommen, benutzte ich den TROLL-eybus. Der Name dieses Fahrzeugtyps erinnert zwar an die ärgsten Feinde des Barfußforums, jedoch hatte ich hier nicht den Eindruck, als ob es anders war als in den Verkehrsmitteln anderer Schweizer Städte. Viel lieber hätte ich ein anderes elektrisch betriebenes Nahverkehrsmittel, dessen Namen ich wegen off-topic nicht nennen möchte, anstelle des Trollbusses benutzt, aber das verschwand vor etwa einem halben Jahrhundert aus dem Winterthurer Stadtbild.

Der Trollbus brachte mich zum Bahnhof Oberwinterthur. Anstatt auf den Anschluß-Dieselbus zum Technorama zu warten, ging ich zu Fuß, und war doch ein paar Minuten zu früh dort. Ein Mann auf dem Fahrrad fragte mich, ob ich aus gesundheitlichen Gründen barfuß laufe, was ich bejahte. Er fand es gut, daß es in der heutigen Zeit noch Leute gibt, die sich auf diese natürliche Weise fortbewegen. Er selber habe Probleme mit rauchen und wäre auf Medikamente angewiesen. Gerne würde er auf Medikamente verzichten. Darauf entgegnete ich: "Ich bin nur Chemiker, kein Arzt. Daher kann ich nicht sagen, ob man durch Barfußlaufen weniger Medikamente benötigt, um vom Nicotin wegzukommen. Aber sicher schadet es nicht." Als ich ihm noch erzählte, daß ich schon öfters massiven Ärger mit der Polizei bekommen hätte, weil ich barfuß und weniger winterlich gekleidet war als andere, meinte er: "Ich habe schon immer gewußt, daß die Schweizer Polizei feindlich gegenüber allem eingestellt ist, was nur geringfügig von der Masse abweicht. Und wenn es nur fehlende Schuhe sind. Das ist genauso schlimm, wie wenn man einen Menschen verfolgt, nur weil er Jude ist." Dann wechselte er zum Thema Batterieentsorgung, das ich hier nicht weiter aufführen werde. Wegen dieser Unterhaltung kam ich doch glatt erst 5 Minuten zu spät ins Technorama.

Nach Technoramaschluß wanderte ich zuerst zur Kirche St. Arbogast im alten Dorfzentrum von "Oberi", wie man Oberwinterthur liebevoll nennt. Dort stieß ich auch auf Reste römischer Mauern. 4 Jugendliche lungerten vor der Kirche und rauchten. Als sie mich sahen, meinte einer von denen: "Habt ihr den gesehen, wie der rumläuft? Ohne Schuhe!" "Und in Hot Paints!" entgegnete eine junge Frau. Die andere junge Frau meinte, als ich schon weiter weg war: "Ich möchte so gerne einen Minirock tragen und Sandalen, aber das ist einfach zu kalt."

Mit der S-Bahn fuhr ich eine Station zum Hauptbahnhof, dessen Bahnsteige im Gegensatz zu denjenigen des Bahnhofs Oberwinterthur nicht fies gesplittet waren. Wieder ging ich in die Altstadt, und merkte, daß demnächst ein Fasnachtsumzug stattfinden sollte. Überall Leute mit Fasnachtskostümen, Masken usw. Viele Menschen, speziell Kinder, machten große Glotzaugen. Eine Gruppe Jugendlicher kam auf mich zu. Einer fragte, ob es nicht zu kalt war. Ich mußte antworten, da ich das "Nein, es ist nicht zu kalt!"-Schild, das ich eine Woche vorher in Olten getragen hatte, nicht dabei hatte. Sie konnten nicht begreifen, daß so etwas überhaupt möglich war. Dann fragten sie mich, ob ich ihnen am Stand hochprozentigen Alkohol besorgen könnte. Auf die Frage, warum sie das nicht selber könnten, meinten sie, sie hätten keinen Ausweis dabei, mit dem sie beweisen könnten, daß sie schon 18 waren. Meine Interpretation: Sie waren noch keine 18. Darauf entgegnete ich: "Ich habe auch keinen Ausweis dabei. Und wenn ich barfuß und in kurzen Hosen an den Stand gehe, wird man mir auch nichts verkaufen. Weil jeder Spießer glaubt, daß nur kleine Kinder so rum laufen. Und selbst wenn ich einen Ausweis dabei hätte, dann würde man den für gefälscht halten."

Ich ließ sie stehen. Niemals würden ich für Jugendliche, die ich nicht kenne, hochprozentiges Zeug besorgen, auch dann nicht, wenn ich "normal" gekleidet wäre. Wobei ich in normaler Kleidung wohl ohne weiteres Schnaps bekommen hätte, während ich mir für die Jahreszeit zu leichter Kleidung nicht sicher wäre. Vielleicht hätte man mich auch näher beobachtet. Und wenn man dann gesehen hätte, wie ich den Jugendlichen den Alkohol gegeben hätte, wäre ich dran gewesen. Es war übrigens gelogen, daß ich keinen Ausweis dabei hatte. Kurze Zeit später brauchte ich ihn wirklich, obwohl ich nichts alkoholisches kaufen wollte, einfach nur so, völlig ohne Grund. Offensichtlich wollten die Winterthurer Stadtväter nicht, daß an der dortigen Fasnacht etwas ähnliches passiert wie in Locarno (ein Jugendlicher wurde zu Tode geprügelt), daher mußten Polisten präsent sein. Und als Barfüßer in kurzen Hosen an der Fasnacht gilt man in einer Spießerstadt wie Winterthur als hochgradig verdächtig.

Aber ganz so schlimm wie in Renens waren die Winterthurer Stadtpolizisten nicht. Etwa fünf Minuten dauerte die Kontrolle, dann durfte ich weiter. Die Beamten (4 an der Zahl) wünschten mir noch viel Spaß bei der Fasnacht. Dann ging es los. Musikgruppe folgte auf Musikgruppe, Wagen nahmen nicht an dem Umzug durch die dunkle Stadt teil. Schön schräge Guggemusik! Da paßte ich als "schräger barfüßiger Siech" doch hin. Ich war halt als "Dr. Sommer" ver- bzw. entkleidet. Irgendwie fand ich es aber doch bedenklich, daß Leute, die als Cowboys verkleidet waren und sogar Waffen trugen, von der Polizei unbehelligt blieben, während ich zwar nicht gerade schikaniert, zumindest aber kontrolliert wurde. Ging von mir etwa eine Gefahr aus? Ein Cowboy mit einer echten geladenen Waffe wäre gar nicht aufgefallen und hätte ein leichtes Spiel gehabt, wenn er was Böses im Schild geführt hätte.

Als ich mich nach dem Umzug in Richtung Hauptbahnhof begab, schüttete mir noch ein Clown einen Eimer Konfetti über den Kopf. Da ich es eilig hatte, um noch meinen Zug um 20.45 Uhr zu bekommen, hatte ich keine Zeit, vor Ort mich des Konfettis zu entledigen. Zwar laufe ich gerne barfuß über Konfetti, aber in der Kleidung habe ich diese Papierschnitzel gar nicht gerne. Und noch ekliger finde ich Konfetti in den Schuhen. Aber dieses Übel blieb mir zum Glück erspart. Noch lange würde mich die Konfettispur begleiten.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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