Konformisten, Reaktionäre und Individualisten (Hobby? Barfuß! 2)

Descalzar, Stammposter, Tuesday, 18.09.2007, 10:56 (vor 6277 Tagen) @ Jens aus HH

Hi Jens,
ich kann deinem Beitrag im vollsten Umfang beipflichten.

wie "stabil", "gefährlich", "freundlich", "unterstützend" die Gruppe ist. Das machen wir an verschiedenen Dingen fest, aber auch an bestimmten Erwartungshaltungen, die wir an Menschen richten. Dadurch entsteht der vielzitierte "soziale Code" - Ansammlungen von Dingen, die "man macht". Je mehr ich mich mit einer anderen Person auf so einen Code einigen kann, desto beruhigender ist es für den anderen - denn er muss keine "bösen Überraschungen" fürchten, sondern kann darauf vertrauen, dass ich bestimmte Spielregeln befolge.
Es gibt jetzt drei große Extrempositionen:
1. Der Konformist.
Der Konformist ist jemand, der, aus welchem Grund auch immer, sich fast ausschließlich am sozialen Code orientiert und nur das absolute Minimum an Individualität offenbart. Überhaupt zeigt er wenig Individualität. Dieser Mensch wird schnell verwirrt, wenn er in eine Gruppe mit einem anderen sozialen Code kommt und reagiert häufig mit Ablehnung ("Das tut MAN doch nicht!"). Im "richtigen" Code verschwindet er im Hintergrundrauschen, denn durch seine mangelnde Eigenidentität gibt es nichts herausragendes an ihm zu entdecken. Unter genetischen oder entwickelten Eigenheiten an ihm, auf die er keinen Einfluß hat, die aber die Konformität einschränken, leidet er Höllenqualen, denn er kann sich in diesen Aspekten nicht anpassen.
Der Konformist ist Opportunist. Er ist zu allen Zeiten der Liebling der Regierungen gewesen. Er macht keinen Aufstand, führt ein langweiliges Leben und vertraut darauf, dass ihn seine Konformität vor allem Übel bewahrt.

Da kann ich aus Erfahrung sprechen. Wenn ich mir z.B. meine Arbeitskollegen genauer betrachte, kann man diese Leute der ersten Gruppe zuordnen. Langhaarige Bombenleger sind ihnen generell suspekt. Wenn man dann noch keinem Verein angehört, ein anderes Auto, als einen VW oder Opel fährt und dann zu allem Übel noch barfuß läuft, ist man ganz außen vor. Ich lebe aber sehr gut damit, daß ich mich nicht der Masse angepaßt habe.
Ich lebe auch damit, daß ich manchmal irgendwelchen dummen Sprüchen oder Anspielungen ausgesetzt bin. Denn ich weiß, daß mich so mancher "angepaßter" Kollege insgeheim bewundert oder gar beneidet.
Aber diese Menschen führen lieber ein "langweiliges" Leben, als irgendein Risiko einzugehen. Diesen Menschen haftet zum großen Teil auch ein vorauseilender Gehorsam an.Das gefällt den Vorgesetzten natürlich besonders. Sie mögen diese "menschlichen Roboter", denn bei ihnen sind sie vor Überraschungen sicher.

2. Der Reaktionär.
Der ist das exakte Gegenteil. Während der Konformist immer darauf bedacht ist, sich an die Regeln zu halten, will der Reaktionär sie alle brechen. Wenn alle Hüte tragen, trägt er keinen. Wenn alle keine Hüte tragen, trägt er einen. Er will provozieren, er will Reaktionen sehen, er will Leuten zumindest ideell Ohrfeigen verpassen. Erstaunlicherweise ist er damit genausowenig indivuell wie der Konformist, denn eine Regel bestimmt auch immer ihr Gegenteil. Damit orientiert sich auch der Reaktionär an den Regeln und seine Individualität entfaltet sich nur daran, das Gegenteil der Regeln auszulegen.
Diese Extremposition ist seltener, aber zum Beispiel sind Christentum - Satanismus oder Raucher - militante Nichtraucher Beispiele für reaktionäre Bewegungen.
Der Reaktionär ist immer erstmal dagegen und wettert wie ein Rohrspatz gegen die aktuelle Tagesmeinung, egal wie die aussieht. Wenn die Revolution kommt, ist er als erstes auf den Barrikaden.

Diese Menschen machen sich das Leben selbst sehr schwer. Interessant in dieser Hinsicht waren auch die Fernsehbeiträge über die RAF, die in den letzten Wochen über die Schirme flimmerten. Die knallharten Terroristen erschienen plötzlich in einem ganz andren Licht und waren in meinen Augen nur reaktionäre, arme Würstchen.

3. Der Individualist
Dem Individualisten sind die Regeln sch**ßegal. Er empfindet die Gesellschaft von anderen Menschen durchaus als angenehm, möchte sich aber nicht irgendwelchen Regeln anpassen - er wehrt sich aber auch nicht, wenn eine seiner Wesenszüge zufällig regelkonform ist. Er macht seine eigenen Verhaltensweisen, schreibt aber niemandem vor, danach zu leben. Er will einfach nur er selbst sein. Auf der Schattenseite sind diese Menschen häufig egozentrisch oder egoistisch veranlagt.

Diese Menschen versuchen aber auch nicht mit Gewalt, anderen ihre Meinung aufzuzwingen, sondernm tendieren eher dazu, andere zum Nachdenken anzuregen.

Wenn die Revolution kommt, sind diese Menschen irgendwo in einem Bunker und warten ab, bis die Reaktionäre und die Konformisten sich die Köpfe eingeschlagen haben.

Man kann vielleicht blumiger sagen, daß sie sich zwei Meinungen anhören, in Ruhe drüber nachdenken und dann eine Entscheidung fällen.

So welche kenne ich übrigens und sie sind sehr interessante Menschen - wenn auch etwas anstrengend von Zeit zu Zeit.
Normalerweise hat jeder von uns etwas von allen dreien und wir können selbst entscheiden, inwieweit wir konform, reaktionär oder individuell sind. Keine dieser drei Position ist "böse" oder "schlecht", aber jede hat andere Reaktionen zur Folge. Manchmal müssen wir konform sein. Manchmal müssen wir reaktionär sein. Manchmal müssen wir individuell sein. Aber meistens haben wir die freie Wahl.
Fakt ist: wenn wir barfuß draußen rumlaufen, verstoßen wir gegen eine dieser gesellschaftlichen Regeln. Die Frage ist nur: warum tun wir das oder mit welcher Idee? Wenn wir dies reaktionär tun, dann werden wir automatisch Leute damit provozieren, denn das ist der Grund, warum wir dies tun. Wir werden Leute gegen den Strich bürsten. Die Frage ist: ist das sinnvoll? Ich schließe mich da den anderen an, die sagen: Nein.
Für mich ist Barfußlaufen ein Ausdruck meiner Persönlichkeit, da bin ich Individualist. Wenn ich aber im Namen meines Chefs irgendwo unterwegs bin oder als mein eigener Chef, dann gebe ich eventuell für eine Zeit meine Individualität auf, wenn Konformität gerade wichtiger ist. Dies entscheide ich situationsabhängig und frage zur Not, ob mein Verhalten ok ist. Die Grenze ist individuell und die muss jeder für sich entscheiden.
So. Lange Rede, kurzer Sinn: statt dass wir uns gegenseitig anblaffen, lasst uns doch mal gegenseitig erzählen, wo wir die Grenze ziehen, das finde ich nämlich spannend.
Arno erzählte, dass er keine schwarzen Barfußspuren auf frisch gewischtem Boden hinterlassen möchte. Mir ist das zum Beispiel egal, wenn im Raum es auch ok ist, wenn Leute mit verdreckten Schuhen rumlaufen. Wie seht ihr das?

Das mit den verdreckten Schuhen sehe ich auch so. Aber so mancher macht sich ja schon ins Hemd, wenn Leute in Schuhen seine Wohnung betreten wollen. Ich frage mich, wie diese Fußbodenfetischisten reagieren, wenn man beim erscheinen keine Schuhe trägt. Muß man dann wieder Schuhe anziehen ?
Ich jedenfalls würde keine Wohnung betreten, wenn mich der Gastgeber vorher dazu auffordern würde, die Schuhe auszuziehen.

Gruß und Fuß,

Des


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