Barfuß in Bellinzona (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Tuesday, 11.09.2007, 14:57 (vor 6284 Tagen)

Samstagnachmittag, 8.9.2007: Ich befand mich im Interregio von Erstfeld in Richtung Bellinzona, selbstverständlich barfuß. Ich hatte den "Erstfelder Teil" dieser hochgradig "off-topicen" Veranstaltung (oder wie lautet es in richtigem "Deutsch"?) abgehakt:

http://66.102.9.104/search?q=cache:ITjO-Eqa7_EJ:mct.sbb.ch/mct/reiselust/freizeit/messen_events/events/reisen-gottardo/reisen-publikumsanlass_attraktionen.htm+pers%C3%B6nlcih+drs+biasca&hl=de&ct=clnk&cd=3&gl=ch

Biasca sollte am nächsten Tag folgen. Da die Sonderfahrkarte (für Besitzer eines Halbpreisabos 25 SFr) auch zu anderen Zielorten im Tessin galten, beschloß ich, "über das Ziel hinaus" zu fahren. Ich war bisher einmal barfuß in Bellinzona gewesen, und das war im Februar. Damals mußte ich darauf verzichten, barfuß über die grasbewachsene Stadtmauer zu wandern. Nicht auf wandern mußte ich verzichten und auch nicht auf barfuß, sondern auf Gras, dieses war damals nämlich mit Schnee bedeckt. An diesem Tag wollte ich es nachholen.

Bevor ich aber dort war, durfte ich noch die Fahrt in den Süden genießen. Bei Wassen griffen viele Fahrgäste zur Kamera. Berühmt ist die dortige Bahnschleife, von wo man dreimal an der Kirche von Wassen vorbei kommt, jeweils in verschiedenen Ebenen. Diesmal war die Kirche "extra für die Pufferküsser" mit einer roten Plane verpackt. Das reißt manch einen von der Sitzbank. Wie oft sieht ein Fahrgast ein solches Ereignis? Barfüßer sieht man sicher häufiger im Zug, das ist doch nichts Außergewöhnliches.

In Bellinzona angekommen, merkte ich, daß es dort tagsüber erheblich wärmer gewesen sein mußte als in Erstfeld. zwar war keiner barfuß auf der Straße, aber viele Leute trugen statt geschlossener Schuhe Flipflops oder andere Sandalen, meist ohne Socken. Aber auch sonst war die Kleidung deutlich sommerlicher als auf der Alpennordseite. Ich begab mich zur Festung inmitten der Altstadt und benutzte den Lift hinauf. Dann überquerte ich den Rasen des Innenhofes und wollte zur Mauer. Aber auch diesmal war mir es verwehrt, das Gras der Mauer unter den nackten Füßen zu spüren. Diesmal war es aber kein Schnee (hätte mich auch sehr gewundert), sondern die Tatsache, daß die Mauer ab 19 Uhr geschlossen wird, der Grund.

War aber nicht so tragisch. Ich setzte mich auf den Rasen vor der Festung, um was zu verzehren. Ein junges Paar hatte sich dort auf einer Decke bequem gemacht. Beide hatten sich ihrer Schuhe entledigt, die Frau war barfuß, der Mann in Socken (in solchen, mit denen man beim Tragen von Schuhen Sockenlosigkeit vortäuschen kann). Als sie den Platz verließen und zum Weg hinaufsteigen mußten, zog die Frau erst oben ihre hochhackigen Sandalen an. Ob sie mit diesen Schuhen nicht steigen konnte oder das Verlangen hatte, den Rasen so lange wie möglich unter den Füßen zu spüren, sei mal dahingestellt.

Auf der Festung, die auch ein Restaurant beherbergt, war offensichtlich auch eine Festlichkeit. Ab und zu kamen "gut" gekleidete Leute, bei denen die Männer wieder einmal (aus meiner Sicht) benachteiligt waren. Alle Männer trugen fette Halbschuhe mit Socken, noch dazu teure Anzüge, und das bei der warmen Witterung. Die Frauen dagegen hatten es besser: Zwar waren deren Schuhe mit hohem Absätzen alles andere als gesund. Aber die wenigen Riemchen ließen doch reichlich Luft an die Füße. Wie war ich doch froh, daß ich zumindest zu diesem Zeitpunkt an keinerlei Bekleidungsvorschriften gebunden war.

Ich ging hinunter in die Stadt, wo gerade eine Art Jahrmarkt war, mit Ständen usw. Glasscherben fand ich dort aber keine. Dort war ich der einzige Barfüßer. Es gab einige Leute, die mich dort anstarrten, speziell Kinder, obwohl sie selber kaum winterlicher gekleidet waren als ich. Als ich wieder zum Bahnhof kam, es war schon nach 21 Uhr, hörte ich Töne von Jugendlichen, die ich für Lästern hielt (ich kann kein Italienisch).

Bellinzona war nicht mein Endziel an diesem Tag, sondern ein Ort, der sich zum Schlafen eignet und nicht allzu weit von einem Bahnhof entfernt war. Ein Platz bei Melide bot sich an. Also bestieg ich die nächste S-Bahn (TILO) und fuhr nach Melide. In diesem Zug gab es auch keine Barfüßer, dafür aber etliche lärmende Jugendliche. So ganz geheuer war mir die Sache nicht, aber sie schienen sich nicht an meiner Barfüßigkeit (oder überhaupt an meiner Anwesenheit in "ihrem" Zug zu stören). In Melide verließ ich den Zug, wanderte über den Seedamm nach Bissone und stieg dann einen Weg hinauf zu einem wohlbekannten Schlafplatz. Die letzten Meter Weg waren nicht mehr asphaltiert. Es lagen Steine dort und auch Brennnessel wuchsen dort, was ich im Dunkeln natürlich nicht sehen konnte. Unmittelbar vor dem Schlafplatz trat ich noch voll in eine Brennnessel, oder waren es Disteln? Auf jeden Fall recht schmerzhaft. Die Nacht war sternenklar, aber der Untergrund war recht hart. Ab und zu erwachte ich in der Nacht, aber im großen und ganzen fand ich einen ruhigen Schlaf.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen

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