Vierter Urlaubstag: Lautertal - Neustadt/Orla (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Friday, 03.08.2007, 08:30 (vor 6259 Tagen)

Montag, 9.7.2007: Ich hatte eine Nacht im Schlafsack im Lautertal in einem Wald verbracht. Da es heftig geregnet hatte und ich darauf überhaupt nicht vorbereitet gewesen war, war alles durchnäßt. Im Fußbereich des Schlafsacks hatte sich sogar eine Pfütze gebildet. Die Haut um die Füße war etwas schrumpelig geworden, wodurch meine Füße empfindlicher geworden waren. Das Radeln auf dem matschigen Waldweg war unangenehm, daher bemühte ich mich, so schnell wie möglich wieder auf die nächste Teerstraße zu kommen.

Es regnete immer noch, als ich die ehemals nahezu unüberwindbare Grenze passierte, von der heute nur noch ein vergammelter Turm und ein Schild "Freistaat Bayern" auf der einen und "Freistaat Thüringen" auf der anderen Seite zeugen. Die nächste Stadt war Eisfeld, ich wollte in einem Aldi-Laden einkaufen. Ich fand auch einen Aldi-Nord-Laden (gehört Thüringen etwa zu Norddeutschland?). Kein Kunde war im Laden, und auch vom Verkaufspersonal nahm niemand Stellung zu meinen nackten Füßen, kombiniert mit kurzen Hosen und Regenjacke.

Der kurvenreiche Weg nach Neuhaus/Rennsteig war mühsam zu befahren. Manchmal recht fiese Steigungen, und dann noch die vielen Lastwagen, die einen überholten. Vielleicht hat "die Sache mit Aldi-Nord/Norddeutschland" doch ihre Berechtigung, denn plötzlich las ich etwas von "Werraquelle" auf Wanderwegweisern. Die Wässer, die hier entspringen, fließen also via Werra und Weser in die Nordsee, vorbei an Nordenham, wo Descalzar wohnt. Ich kam an einen Parkplatz in einer Kurve, wo die Werra als schmaler Graben floß. Daraus entsteht der mächtige Weserstrom? Was heißt hier EIN Graben? Dank der heftigen Regenfälle floß überall Wasser, auch das Gras war naß. Obwohl das Wetter nicht gerade einladend war, unternahm ich ein paar Schritte durchs Gras und über Waldboden. Laut Wanderwegweiser gab es nicht nur eine Werraquelle, sondern dergleichen mehrere. Also fuhr ich weiter, um nach wenigen hundert Metern zur "offiziellen" Werraquelle zu gelangen, nämlich dieser:

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Eine richtige Quelle ist das aber nicht, denn vor der Einfassung fließt auch ein Graben. Ich radelte weiter nach Neuhaus/Rennsteig. Anstatt den direkten Weg nach Saalfeld zu nehmen, wählte ich eine Abzweigung nach Cursdorf. Obwohl diese Nebenstraße auch nicht gerade eben ist, empfand ich die Steigungen weniger anstrengend als auf der Hauptstraße. In Cursdorf fand ich einen Umgebungsplan. Ich wollte wissen, wo mein genaueres Ziel ist. Auf einem Parkplatz stand ein Omnibus mit Kennzeichen "IZ" (Itzehoe, Kreis Steinburg). Die Reisegruppe war ausgestiegen und betrachtete mich, wie ich den Plan studierte. Jeder aus der Gruppe war deutlich winterlicher angezogen als ich, dabei war es bei mittlerweile trocknem Wetter mit ca. 12°C zwar einige kälter als am Vortag (ca. 26°C), jedoch von Winter kann wirklich keine Rede sein. Einer schien mich wohl mit einem barfüßigen Hippie zu vergleichen, zumindest fing er mit wirklich schöner Bariton-Stimme an zu singen: "Wir sind die Blumenkinder!" Sicher haben sie nicht geahnt, daß ich in der Gegend aufgewachsen bin, aus der der Reisebus kam.

Mein Ziel in Cursdorf war der Bahnhof, den ich dank des Umgebungsplans auch fand. Ich eilte auf den Bahnsteig, um zu sehen, wann der nächste Zug kam und holte meine nicht-malo-konforme Billig-Papierbildkamera aus meiner Satteltasche. Keiner der Leute auf dem Bahnsteig nahm Anstoß an meiner Barfüßigkeit.

Und dann kam der Triebwagen, nämlich so einer:

Zum barfüßigen Spaziergang durchaus geeignet, das Schieben eines schwer bepackten Fahrrades ist weniger schön, da die Stadt nicht gerade topfeben ist. Zu so früher Stunde, noch dazu am Sonntag, war in dieser Stadt jedoch noch nicht viel los.

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Da parallel zum Gleis ein Wanderweg führte, nahm ich mir vor, auf diesem bis zum Bahnhof Lichtenhain zu radeln. Allerdings zweigte der befahrbare Wanderweg bald vom Gleis ab. Ein Trampelpfad führte aber weiter. Dieser war zwar nicht befahrbar, da zu matschig, dafür aber ideal barfuß begehbar (selbst wenn man ein Fahrrad schiebt). So kam es, daß der Zug, der in Cursdorf Kopf gemacht hatte, mich wieder überholte. Das Phänomen der sich drehenden Köpfe wie in den Düsseldorfer Straßenbahnen bei einem Barfußtreffen wiederholte sich hier nicht, mangels Fahrgästen. Aber auch der Trampelpfad endete auf einer Wiese bzw. führte über die Gleise und dann durch Gestrüpp bergab. Das wollte ich weder meinen Füßen, noch meinem Rad antun, also schob ich zurück zum nächsten Fahrweg, um dann nach Lichtenhain zu fahren.

Am Lichtenhainer Bahnhof kommen zwar keine "Straßenbahn-Pufferküsser" (für die gibt es den Endhalt "Lichtenhainer Wasserfall" der Kirnitzschtalbahn, Namensähnlichkeit wohl eher zufällig) auf ihre Kosten, dafür aber die "Bergbahn-Pufferküsser". Hier ist nämlich Umsteigestation zwischen der elektrischen Bahn von Cursdorf und der Standseilbahn von der Obstfelderschmiede unten im Tal. Auch ansonsten ist die Bahnanlage interessant. Um den "echten" Bergbahnwagen, der gerade hinauffuhr, so zu fotografieren, daß er gut ins Bild paßte, mußte ich ausgerechnet auf einem Eisenrost Stellung beziehen.
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Zum Fotografieren ging es noch, aber ich möchte nicht kilometerweit barfuß über solche Eisenroste gehen. Weder von den Fahrgästen, die aus dem Bergbahnwagen ausstiegen, noch von den fett beschuhten Wanderern nahm jemand Stellung zu meiner Barfüßigkeit. Ich wartete die Abfahrt des Seilbahnwagens ab und noch die des "Gegenzuges". Währenddessen war eine Familie angekommen, die wohl ins Tal hinunter wollte. Die Tochter rief entsetzt: "Der ist ja barfuß!", während ich bereit war, weiterzuradeln.

Es führte auch eine Straße ins Tal, diese ist recht steil. Ich mußte kräftig die Bremsen benutzen, auch kühlte ich ziemlich stark aus bei der Geschwindigkeit (meine Füße aber blieben warm). Ich war froh, als ich in Mellenbach-Glasbach das Schwarzatal erreichte. Durch dieses Tal führt auch eine "richtige" Eisenbahn, die in Katzhütte ihren Endpunkt hat. Ich folgte dem Schwarzatal, aber nur bis zum Bahnhof Obstfelderschmiede, wo Anschluß an die oben erwähnte Bergbahn besteht. Es dauerte nicht lange, da kam der "unechte" Bergbahnwagen in Sicht:
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Es handelt sich um eine "Gegengewicht" mit aufgesetztem Personenwagen. Weitere Details möchte ich hier nicht erwähnen. Wer will, kann hier weiterlesen:
http://images.google.ch/imgres?imgurl=http://touristik.freepage.de/cgi-bin/feets/freepage_ext/41030x030A/rewrite/ameb/BgB3.jpg&imgrefurl=http://touristik.freepage.de/cgi-bin/feets/freepage_ext/41030x030A/rewrite/ameb/bergbahn.html&h=565&w=388&sz=103&hl=de&start=19&tbnid=FpMhcW7kELVKsM:&tbnh=134&tbnw=92&prev=/images%3Fq%3Dobstfelderschmiede%26gbv%3D2%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26sa%3DG

Die Familie, die ich oben auf der Bergstation gesehen hatte, stieg nun in der Talstation aus. Das Mädchen rief diesmal: "Schon wieder einer mit barfuß!" Worauf der Vater antwortete: "Das ist doch derselbe. Der ist mit dem Fahrrad gekommen." In umgekehrter Richtung wäre ein solches Ereignis wohl kaum möglich gewesen: Während die Seilbahn bergauf und bergab gleich schnell fährt, trifft es für Radfahrer überhaupt nicht zu.

Herrlich war die Straße durchs Schwarzatal nach Bad Blankenburg. Dagegen war die Strecke nach Saalfeld hoffnungslos überlastet und nicht radfahrerfreundlich. Saalfeld hat auch ein paar schöne Gebäude, z.B. das Blankenburger Tor:
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Ich schob mein Velo durch die Innenstadt, die meist barfußfreundlich war, lediglich im Bereich der Mauerringe lag baustellenbedingt recht viel "Mist". Die meisten Leute reagierten nicht auf meine Barfüßigkeit, nur ein paar Jugendliche lästerten. Den Vogel abgeschossen hat ein Pärchen, das auch nicht gerade unauffällig gekleidet war. Der Mann trug lange zerrissene Jeans, Turnschuhe, eine schwarze Lederjacke und eine Baseballmütze, die Frau eine enge schwarze lange Hose mit roten Flicken, eine kurz geschnittene braune Lederjacke. Zwischen Jacke und Hosengürtel quollen "Speckröllchen" und ein Nabelring hervor. Ihre Haare waren unnatürlich gefärbt und ihren Füße steckten in hochhackigen Stiefeln aus Krokodilleder (oder Krokodillederimitation). Der Mann wies mit dem Finger auf mich und sagte: "Schau dir den ohne Schuhe an. Das ist doch Erregung öffentlichen Ärgernisses." Worauf die Frau rief: "Das ist Körperverletzung. Wieso greift da die Polizei nicht ein?" Manchmal wundere ich mich, wie "fundiert" die juristischen Kenntnisse mancher Zeitgenossen sind.

Weiter radelte ich über Pößneck in Richtung Neustadt/Orla, wobei ich teilweise den Orla-Radwanderweg benutzte. Auch Neustadt/Orla ist sehenswert:
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Da es trübe war am Abend, war in der Stadt nicht viel los. Nur ein paar Penner lästerten über meine Barfüßigkeit. Ich wollte schon weiterradeln, da setzte heftiger Regen ein, es gab auch Gewitter. Ich mußte die Regenjacke überziehen. Der Regen wurde nicht weniger. Da erinnerte ich mich an eine Brücke vor der Stadt, auf der die Umgehungsstraße das Orlatal überquerte. Ich radelte dorthin auf dem Radwanderweg, mittlerweile dämmerte es. Ich schob mein Velo über eine Wiese bis hinter den nächsten Brückenpfeiler. Nun war ich vom für den motorisierten Verkehr gesperrten Weg nicht mehr sichtbar. Hier konnte ich also übernachten, ohne daß mich der Regen störte. Der Boden war trocken. Strohballen, die man sicher auch zum Schutz vor Nässe unter der Brücke gelagert hatte, boten einen zusätzlichen Sichtschutz. Auch breitete ich feuchte Sachen (z.B. die Regenjacke) auf dem Stroh aus in der Hoffnung, sie würden trockner. Bevor ich mich in den nassen Schlafsack verzog, ließ ich es mir nicht nehmen, noch einmal barfuß auf einen Strohballen (eine Rolle mit ca. 2 m Durchmesser) zu klettern. So etwas geht mit Schuhen weniger gut. Mein vierter Urlaubstag war um.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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