Barfuß bei einem Vortrag über Jugendgewalt (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Friday, 01.06.2007, 08:49 (vor 6387 Tagen)

In diesem Forum wurde ja schon über Gewalt gegenüber Barfüßern berichtet, ebenso von Jugendlichen, die irgendwo rumlungern und alles, was anders ist, anpöbeln oder zumindest darüber lästern. Gestern Abend fand in Olten Vortrag über Jugendgewalt statt, und zwar im Bildungszentrum für Gesundheitsberufe (BZG). irgendwie interessierte mich das Thema, also radelte ich dorthin, selbstverständlich barfuß. Obwohl ich meine Barfüßigkeit auch nicht gerade durch Tragen allzu bedeckungsreicher Kleidung tarnte, schien sich keiner der anwesenden Zuschauer oder der Vortragenden daran zu stören. Dabei waren zumindest zwei dieser Vortragenden in Berufen tätig, die nicht unbedingt als "typisch barfüßerfreundlich" gelten.

Der erste Vortragende war ein Arzt aus der Klinik Königsfelden, er erzählte, welche Arten von Gewalt es gibt. Es gibt weit mehr als die körperliche Gewalt, auch Mobbing, Bullying, Drohungen usw. gehören dazu. Das Thema bezog sich aber in erster Linie auf Gewalt von Jugendlichen gegenüber anderen Jugendlichen und gegenüber Lehrern oder Eltern, nicht aber gegenüber fremden Erwachsenen (und natürlich auch nicht gegenüber Barfüßern). Wohl aber wurde der auch hier im Forum erwähnte "Druck der Gruppe" erwähnt. Wer sich nicht anpassen kann oder will, wird ausgegrenzt. Der Arzt brachte das Beispiel von zwei ausgegrenzten Jugendlichen: Der eine stank nach Fisch, weil seine Eltern einen Fischladen hatten, der andere war Sohn einer allein erziehenden und arbeitslosen Mutter, die nur "Second-Hand-Ware" kaufen konnte. Ein Kind, das am liebsten barfuß laufen würde, würde also auch ausgegrenzt werden.

Der Arzt erwähnte auch den Einfluß der Eltern auf jugendliche Gewalt. Nicht überraschend war, daß in verkrachten Elternhäusern auch die Kinder zu Gewalt neigen. mehr hat mich überrascht, das auch aus Elternhäusern, in denen die Kinder "verhätschelt" werden, die Gewalttätigkeit häufiger im jugendlichen Alter auftritt. Er erwähnte Eltern, die die Kinderzimmer ohne harte Ecken eingerichtet haben, die weichsten Plüschtiere kaufen, mit dem Kind wegen jedem Wehwehchen zum Onkel Doktor gehen und viel zu warm anziehen. Ganz nebenbei erwähnte er, daß derart verwöhnte Kinder nicht nur häufiger zur Gewalt neigen, sondern auch im späteren Leben häufiger an Krankheiten leiden. Von Prävention durch Barfußlaufen erwähnte er nichts.

Auch erwähnte der Arzt das Thema sexuelle Gewalt. Jugendliche, die diese Gewalt ausüben, sind nicht selten Einzelgänger, körperlich nicht allzu stark und eher schweigsam. Auch unterwerfen sie sich nicht dem allgemeinen Modetrend. Nicht selten sind sie übervorsichtig, sie schlagen erst zu, wenn sie glauben, absolut unbeachtet zu sein. Es habe auch schon Fälle gegeben, daß die Neigung zwar immer vorhanden war, jedoch es erst im erwachsenen Alter zum Ausbruch kam. Wenn es nicht gelingt, diese Menschen bis zum 27. Lebensjahr umzustellen, gelingt es nicht mehr. Er erwähnte aber auch, daß längst nicht jeder Mensch, der diese Eigenschaften hat, den Hang zur Gewalt hätte. Falle ich vielleicht in dieses Raster? Allein stehend, häufig allein unterwegs, eher mager als übergewichtig, in der Freizeit barfuß und oftmals leichter als die Allgemeinheit gekleidet, schweigsam. Vielleicht ist das alles zusammen der Grund für die Tatsache, daß ich so oft von der Polizei kontrolliert werde.

Der zweite Vortragende war ein Polizist der Jugendpolizei Solothurn. Diese Polizeitruppe arbeitet im Zivil und will in erster Linie präventiv wirken. zwar würde sie eingreifen, wenn Drogen gehandelt werden, nicht aber, wenn ein Jugendlicher im Dunkeln mit dem Velo mit nicht funktionierendem Licht davonfahren würde. Also droht einem erwachsenen Barfüßer von dieser Polizeitruppe keine Gefahr. Dieser Polizist sagte übrigens auch nichts zu meiner Barfüßigkeit.

Zuletzt stellte eine Rotkreuz-Mitarbeiterin das Projekt "Chili" vor:
http://www.chili-srk.ch/

Sie brachte auch Bilder, auf denen Kinder und Jugendliche barfuß zu sehen waren. Und zwar Gruppen, in denen barfüßige und fett beschuhte Kinder nebeneinander zu sehen waren. Die Barfüßigkeit der Kinder war demnach freiwillig. Jungen und Mädchen waren unter den Barfüßern auch etwa gleichmäßig verteilt.

Zuletzt gab es noch eine Diskussion. Ich meinte, daß die Erwachsenen vielfach abgestumpft gegenüber Vandalismus von Jugendlichen seien, während sie bei anderen Dingen übersensibilisiert seien. Wenn etwa Jugendliche verbotenermaßen im Tram rauchen, würden andere Fahrgäste sich in den anderen Zugteil begeben und auch der Fahrer nicht einschreiten aus Angst vor größeren Zerstörungen. Wenn aber Erwachsene ohne Schuhe und in kurzen Hosen in der Straßenbahn sitzen, würde schon eher die Polizei verständigt. Die Rotkreuz-Mitarbeiterin beantwortete dieses damit, daß es nicht speziell Jugendliche seien, die in Zügen Abfälle hinterlassen, sondern auch Erwachsene. Am Tag zuvor hätte sie einen Offizier im Zug darauf aufmerksam gemacht, seine Abfälle nicht liegen zu lassen, worauf dieser sie anschrie: "Und was geht Sie das an?" Natürlich befriedigte mich die Antwort nicht, aber andere wollten auch noch Fragen stellen.

Als die Veranstaltung zu Ende war, lächelte die Rotkreuz-Mitarbeiterin mir zu. Offensichtlich fand sie es nicht schlecht, daß ich barfuß erschienen war. Dann bot sich mir noch die Gelegenheit, die "eisernen Pedalen" barfuß bei Nässe zu testen. Es hatte geregnet, nun aber fielen lediglich ein paar Tropfen, so daß ich die vorsorglich mitgenommene Regenjacke nicht benötigte. Ich hatte bewußt mein Mittelstreckenvelo genommen anstelle meines Alltagsvelos. Dieses jedoch deswegen, weil der Dynamo des Alltagsvelos manchmal bei Nässe versagt. In Aarburg stand tatsächlich die Polizei, sie hatte einen Autofahrer herausgewunken, bei dem nur ein Scheinwerfer brannte. Einer der Bullen sah mir nach, wie ich da barfuß und nur in Träger-T-Shirt und kurzen Hosen, dafür aber mit funktionierendem Licht vorbeiradelte. Eine Schadenfreude kam bei mir auf. Die Beamten konnten doch nicht einfach auf die Buße für den fehlbaren Autofahrer verzichten, um mir nachzujagen.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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