immer wieder Medienberichte (Hobby? Barfuß! 2)

Thomi, Tuesday, 24.04.2007, 14:34 (vor 6425 Tagen)

Das Thema Barfuss scheint in den Medien immer öfters Teil eines Themas zu sein. Fast gleichzeitig zum vorangegangenen Artikel kam noch folgender in einer Zeitung. Gut gibt es OCR- Softwares...sonst müsste ich alles abschreiben....

Das Geschäft mit den Plattfüssen

Schuheinlagen bei Kindern mit Knick-Senkfüssen sind fast immer unnötig

Von Birgit Herden
«Ihr Kind hat Plattfüsse, es sollte unbedingt Einlagen tragen», ermahnt der Schuhverkäufer häufig die erschreckten Eltern und schickt sie zum Orthopädietechniker. Der fertigt dann medizinische Masseinlagen an, um die Kinderfüsse zu stützen.

Doch was jahrzehntelang als selbstverständlich galt, ist vom medizinischen Standpunkt her längst überholt. «In meiner Sprechstunde sehe ich häufig Kinder, die Einlagen gegen so genannte Plattfüsse tragen - dabei ist das fast immer unnötig», sagt Stefan Dierauer, Leitender Orthopäde am Kinderspital in Zürich.

Beinahe jedes Kind kommt mit platten Fusssohlen auf die Welt. Babyfüsse sind mit einer Speckschicht gepolstert, und ein stützendes Fussgewölbe bildet sich erst durch die Straffung der Weichteilstrukturen um die Fussknöchelchen und eine bessere Arbeit der Muskulatur während der ersten sechs bis zehn Lebensjahre. «Einlagen können diesen Prozess nicht unterstützen oder beschleunigen», so Dierauer.

An der Universitätsklinik für Orthopädie in Wien hat Martin Pfeiffer im letzten Jahr die Füsse von über 800 drei- bis sechsjährigen Kindern untersucht und mit einem 3-D-Laserscanner vermessen. Unter den Dreijährigen hatten 54 Prozent einen Knick-Senkfuss, wie der medizinische Fachbegriff für Plattfuss lautet. Dagegen waren es unter den Sechsjährigen nur noch 26 Prozent. Nur in einem einzigen Fall war die flache Fussform krankhafter Natur. Dessen ungeachtet trug jedes zehnte Kind Einlagen, was zum Zeitpunkt der Untersuchung laut Pfeiffer fast immer unnötig war.

Viele Kinder tragen linke und rechte Einlage vertauscht

«Kinderfüsse entwickeln sich in diesem Alter erst, und das passiert mit oder ohne Einlage», sagt Pfeiffer. In manchen Familien hätten die Menschen einfach flache Füsse, so wie es auch abstehende Ohren gäbe. Der Kauf von Einlagen ist bei Kindern laut Pfeiffer eigentlich nie ratsam.

Zudem sind Eltern und Kinder mit der Handhabe der Einlagen offenbar überfordert: Viele der von Pfeiffer untersuchten Kinder trugen linke und rechte Einlage vertauscht oder sogar mit der Unterseite nach oben. In den seltenen Fällen von wirklich krankhafter Fussentwicklung seien dagegen andere Massnahmen als Einlagen notwendig.

Spanische Ärzte der Universität Málaga haben vor acht Jahren rund 1200 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren untersucht. Von diesen trug jedes siebte Kind Einlagen - ohne einen erkennbaren Zusammenhang zur Fussform. Anhand dieser Zahl rechneten die Forscher aus, dass die kleine spanische Provinz Málaga bei knapp 1,5 Millionen Einwohnern jedes Jahr etwa vier Millionen Euro für Einlagen bei Kindern ausgab - in der Regel unnötig, wie auch die spanischen Ärzte konstatierten.

Ohnehin hat die jahrzehntealte Tradition der Einlagen gegen Plattfüsse einen Makel: Für Notwendigkeit und Nutzen der Behandlung fehlt auch bei Erwachsenen ein wissenschaftlicher Beweis; nach Publikationen sucht man bei diesem Thema vergebens.

Zwar existiert im Lehrbuch die Idealform eines gewölbten Fusses; doch allein die sichtbare Abweichung von dieser Norm bedeutet keineswegs, dass ein Mensch jemals Beschwerden entwickeln wird. Viele Menschen laufen problemlos ein Leben lang auf platten Sohlen. «Afrikaner haben sehr oft Plattfüsse und bringen doch die weltbesten Läufer hervor», sagt Dierauer.

Barfusslaufen stärkt das Fussgewölbe

Weil die Fusswölbung in erster Linie durch Muskelkraft aufrechterhalten wird, ist inzwischen umstritten, ob man den Füssen mit einer starren Unterlage überhaupt einen Gefallen tut. Denn diese stützen zwar ein zu schwach ausgeprägtes Gewölbe; da die Muskeln aber dadurch entlastet werden, schwächen sie womöglich langfristig die Fussmuskulatur.

In mancher Arztpraxis floriert daher ein neues Geschäftsmodell: Der Orthopäde klärt seine Patienten bei Fussbeschwerden unumwunden über die Zweifel am Nutzen der starren, konventionellen Einlagen auf. Als moderne, alternative Behandlung von schmerzenden Füssen empfiehlt der Arzt dann «sensomotorische» oder synonym auch «propriorezeptive» Einlagen, die durch individuell aufgepolsterte Bereiche die Muskulatur stimulieren sollen.

Den Erfolg der teuren Zusatzleistung hält Ludger Gerdesmeyer von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie für einen Placebo-Effekt: «Einen Wirksamkeitsnachweis gibt es nicht - aber für die alten Einlagen auch nicht.» Ohnehin beruhe der Erfolg vieler medizinischer Anwendungen zu 80 Prozent auf einem PlaceboEffekt, so Gerdesmeyer weiter. Dieser würde umso stärker, je intensiver sich ein Patient betreut fühle und je mehr Eigenleistung er erbringen müsse.

Ein Trost ist immerhin, dass genauso wenig wie ein Nutzen von Einlagen auch ein Schaden durch die Kork-Lederlappen nachgewiesen ist. So kann jeder bei schmerzenden Füssen den bunten Markt der orthopädischen Hilfsmittel austesten, so weit der eigene Geldbeutel es zulässt.

Darüber hinaus gibt es einen ärztlichen Rat, über den sich alle Experten einig sind und der absolut nichts kostet: Barfusslaufen, egal auf welchem Untergrund, stärkt die Fussmuskulatur und damit das Fussgewölbe. Besonders Kinder sollten ihre Schuhe so oft wie möglich ausziehen; so weiss man aus Untersuchungen in Indien, dass Kinder, die meist feste Schuhe tragen, dreimal so häufig platte Füsse haben wie Kinder, die überwiegend barfuss laufen.


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