Ritter und Bauern (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Friday, 13.04.2007, 08:08 (vor 6437 Tagen) @ Jay

Eine innere Intuition sagt mir, mich darauf einzurichten, genau von "solchen" wg. BF angepflaumt zu werden. Der typische BF-Gegner ist nämlich nach meiner Erfahrung gar nicht der Träger erstklassiger Herrenkonfektion, sondern meistens so schlicht halbangepaßt, halbmodisch.

Hallo Jay,
an Deinem Satz ist was dran. Vergleichbare Fälle wurden ja schon in diesem Forum berichtet. So wurde Guenther (oder war es jemand anders?) mal von einer jungen Frau dumm angequatscht, weil er barfuß war. Dabei trug die Frau nicht etwa Stiefel der fettesten Art, sondern Flipflops. Auf den Einwand, daß zwischen Flipflops und "ganz" barfuß kaum ein Unterschied bestünde, gab die Frau den aus biologischer Sicht falschen Satz von sich: "Das unterscheidet den Menschen vom Primaten".

Wenn ich etwa im Sommer von männlichen Jugendlichen wegen meiner Aufmachung dumm angemacht werde, dann sind es nicht die Jungen im Konfirmationsanzug oder normalen langen Jeans und normalen Halbschuhen, sondern die in halblangen Hosen, Turnschuhen und Socken.

Wenn es weibliche Jugendliche sind, die lästern, dann sind es auch nicht die im Trainingsanzug oder ansonsten bedeckter Kleidung, sondern meist solche, die irgendeine "Blöße" von sich geben, in Form von Flipflops oder ärmellosen bzw. bauchfreien Tops.

Bei den erwachsenen Männern, denen man im Sommer in der Stadt begegnet, sind es nicht die in Schlips und Kragen, die am heftigsten reagieren, sondern die in kurzen Hosen in Kombination mit Sandalen und Socken.

Und unter den Leuten, die auch bei tiefen Temperaturen noch in kurzen Hosen "überleben" können, stößt man nicht selten auf Unverständnis, wenn man ZUSÄTZLICH noch barfuß ist.

Und wie ist es mit den Barfüßern, die mich im Forum heftig attackieren, weil ich im Winter auch lieber kurze als lange Hosen trage? Diese Schreiber stammen nicht aus dem Kreis derjenigen Poster, die "aus Prinzip" auch bei glühender Hitze nur lange Hosen tragen (und dieses im Forum auch deutlich zugeben), sondern wohl eher von solchen, die bei hohen Temperaturen kurze Hosen tragen, bei tiefen sich aber den A. abfrieren würden.

Ich vermute, daß die oben beschriebenen Phänomene vergleichbar sind mit dem Problem des "ewigen Zweiten", etwa beim Sport. Ein Sportler, der nach dem Motto "dabei sein ist alles" an den Start gegangen ist und als einer der letzten ins Ziel kommt, hat weniger Groll auf den Sieger als einer, der als zweiter ins Ziel kommt.

Ist es vielleicht auch Neid, daß sich andere weiter vorwagen (oder resistenter sind) als man selbst? Auch im Forum gab es ja schon heftige Diskussionen: Einer, der bei tiefer Temperatur noch barfuß war und sich Ansätze einer Erfrierung holte, wurde darauf heftig von einem anderen Forumsteilnehmer angegriffen, derart intolerant sind Dauerschuhträger in den seltensten Fällen.

Noch ein Off-topic-Beispiel, was in die gleiche Richtung zielt. Ein Pianist erwartet von seinen Wohnungsnachbarn, daß sie tolerieren, daß er ab und zu mal in der Wohnung Klavier spielt. Die meisten Nachbarn, auch wenn sie unmusikalisch sind, stört es auch nicht, genauso wenig, wie sie sich am (lauteren) Rasenmäher eines anderen Nachbarn stören. Der Pianist stört sich höchstens dann am Rasenmäher, wenn er gerade am Klavierspielen ist. Wenn aber ein weiterer Nachbar Klavier spielt, und zwar FALSCH, was passiert dann? Den unmusikalischen Nachbarn und dem "Mäher" ist es völlig egal, ob einer gut oder schlecht spielt. Der Klaviervirtuose wird aber an die Decke gehen, wenn er sich das pedantische Geklimper seines Nachbarn anhören muß.

Und wie sieht es mit dem fahrbaren Untersatz unter Arbeitskollegen aus? Wenn von drei Arbeitskollegen mit etwa gleichem Lohn einer einen Luxusschlitten hat, der zweite einen, der "eine Nummer kleiner" ist, der dritte jedoch nur ein "normales" Auto oder gar ein Fahrrad fährt, dann wird vielleicht der "zweite" neidisch auf den ersten sein und der "erste" zum "zweiten" sagen: "Du mit deiner Kinderkarre!", wird der "dritte" normalerweise in Ruhe gelassen, solange er nichts macht. Erst wenn er sagen sollte: "Ihr solltest euch schämen, ihr verpestet unnötig die Umwelt", dann gehen die anderen gemeinsam gegen ihn vor.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Wenn die Unterschiede (egal ob Kleidung, Musikverständnis, Sport) groß sind, interessiert man sich nicht füreinander. Wenn sie aber klein sind, kommt es leichter zu Reibereien.
Im Mittelalter bekämpften sich die Ritter mit Schwertern, die Bauern mit Mistforken. Es war aber "unritterlich", einen Bauern anzugreifen, sie sahen nur auf ihn herab. Und meist wagten es die Bauern nicht, gegen die Ritter aufzumucken. Aber wenn es wenn es zum Kampf kam, dann kam es zu schweren Verlusten, auf beiden Seiten. Und längst nicht immer waren die Ritter die Sieger. Die Entstehung der Schweiz ist auch dadurch zu verdanken, daß die (teilweise barfüßigen) Bauern die (stets fett beschuhten) Ritter (bzw. dessen Schergen) getötet oder verjagt haben.

Sind wir Barfüßer die Bauern und "die anderen" die Ritter? Nein! So einfach ist die Sache nicht. Dafür sind die Menschen zu verschieden, und das ist gut so.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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