An einem Montagabend im April (Hobby? Barfuß! 2)

Michael K. (BO), Stammposter, Tuesday, 03.04.2007, 01:36 (vor 6382 Tagen)

Die Stadt nährt mich und nervt mich, sie füttert mich und vergiftet mich, aber an ihrem Rand öffnet sie sich auch und ermöglicht den Blick über die Steppe hinein in das Lichtermeer. Mit Wärme und stetigem Sonnenschein endete die Zeit der geschlossenen Schuhe vor einer Woche, und es fällt jetzt leicht, zwischendurch einfach aus den Sandalen zu schlüpfen und wieder den Boden zu fühlen.

Ich sitze da, am sanften Hang des Westerberges, rechts die Autobahn, vor mir grünlich, bläulich, gleißend weiß die vielen Lichtpunkte einer Stadt, die den Sonnenuntergang nicht einfach so hingenommen hat. Sie muss sich ihm widersetzen, sie muss so tun, als könne sie die gleiche Beleuchtung bringen wie der Gott des Lichts. Sie muss damit scheitern und kann dies selbst nicht glauben, aber von diesem Ort aus wird es offenkundig. Über mir spannt sich ein offener Himmel, fast dunkel mit dem Rest des Tages. In sanften Violett- und Orangetönen senkt sich die Dämmerung, und ein kühles Lüftchen beginnt den Hang hinter mir hinabzufließen. Atmen, riechen, halten.

In langer Hose und langem Pullover fühle ich mich sicher und warm, stütze mich mit Händen und Füßen auf dem Gras am Rand der Steppe ab, spüre durch sie, was mich hält und anrührt. Das Nährende meint es heute gut mit mir. Nicht nur lässt mir die Himmelskuppel den Raum, den ich jetzt benötige, auch sticht die Venus genau mir gegenüber durch die Reste der Dämmerung hindurch. Klar, voller Glanz, präzise und leicht ironisch hängt sie dort zwischen Hustadt und Opel, steht über diesen lächerlichen Werken. "Vergesst es!", könnte sie sagen. Horch! Sagt sie, was ich hören will? Bilde ich es mir bloß ein? Wie kann ich das zu unterscheiden lernen? Hohes Gras wiegt sich in dem Lüftchen, Vordergrund zum Hintergrund. Atmen, lauschen, ruhen.

Ein Radfahrer passiert mich, vorne grellweiße, hinten grellrote Leuchtdioden, viel heller als der vergessene Planet dort oben. Der Radler nimmt mich nicht wahr, zu eilig sein Weg. Weg ist er, eine Fußnote der Geschichte. Stille, bis auf die irren Fahrzeuge rechts auf der Autobahn. Atmen, sehen, genießen.

Es wird Zeit. Ohne Knarzfüße und ohne die drei S verlasse ich diesen gänzlich profanen Berg und steige hinab ins Tal der Träume, neben mit die fahle, milde Mondin, voll und rund und voller Güte. Was kann da noch schiefgehen?

An einem Montagabend im April

Georg @, Stammposter, Tuesday, 03.04.2007, 10:02 (vor 6382 Tagen) @ Michael K. (BO)

In langer Hose und langem Pullover fühle ich mich sicher und warm, stütze mich mit Händen und Füßen auf dem Gras am Rand der Steppe ab, spüre durch sie, was mich hält und anrührt. Das Nährende meint es heute gut mit mir. Nicht nur lässt mir die Himmelskuppel den Raum, den ich jetzt benötige, auch sticht die Venus genau mir gegenüber durch die Reste der Dämmerung hindurch. Klar, voller Glanz, präzise und leicht ironisch hängt sie dort zwischen Hustadt und Opel, steht über diesen lächerlichen Werken. "Vergesst es!", könnte sie sagen. Horch! Sagt sie, was ich hören will? Bilde ich es mir bloß ein? Wie kann ich das zu unterscheiden lernen? Hohes Gras wiegt sich in dem Lüftchen, Vordergrund zum Hintergrund. Atmen, lauschen, ruhen.

Hallo Michael,
vielen dank für diesen schönen, poetischen Text!
Es wird wieder mehr barfuß gelaufen - das tut uns einzelnen und dem Forum gut!
Viele Grüße
Georg

An einem Montagabend im April

Dieter H., Stammposter, Wednesday, 04.04.2007, 22:09 (vor 6380 Tagen) @ Georg

Es wird wieder mehr barfuß gelaufen - das tut uns einzelnen und dem Forum gut!
Viele Grüße
Georg

Ja, ich habe Anfang April in unserer Ecke noch keinen barfuß gesehen, aber heute, warme Sonne und kühler Wind, sah ich vom Auto aus ein Pärchen die sonnige Straße entlang gehen, und sie trug die Schuhe in der Hand. Eine Straße weiter, schattig, vermummte Gestalten mit Mütze - Kontrastprogramm heute . . . :-)
Sonnige Grüße

In einer Dienstagnacht im April

Moltke, Tuesday, 03.04.2007, 23:45 (vor 6381 Tagen) @ Michael K. (BO)

Dies ist wohl einer der schönsten Beiträge, die in diesem Forum seit eintausenddreihundertundsiebenundfünfzig Jahren publiziert wurden...
Schlicht und ergreifend tierisch-hyper-ultra-ober-optimal-mega-gelungen...
Und demzufolge mein persönlicher Favorit bei der Ditrty-Sole-Award - Verleihung für den Golden-Toe-Winner-Prize!
Bitte mehr, mehr und nochmals mehr von solchen Nachtgedanken, denn sie machen auf so ungeheuer positive Art süchtig, süchtig, süchtig...

Völlig ent- und begeistert und von den Socken grüßt mit aller, aller, aller (Hoch-)Achtung

Moltke

An einem Montagabend im April

Thomi, Wednesday, 04.04.2007, 11:06 (vor 6381 Tagen) @ Michael K. (BO)

Sehr schön geschrieben!

Aber Berg ist doch etwas übertrieben für diese Bodenerhebung. Sogar Hügel fände ich stark übertrieben... naja...komme auch aus einem Bergland.

Thomi

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