Von Heiligen Bergen und anderen profanen Dingen (Hobby? Barfuß! 2)
Grias eich,
eine erlebnisreiche Woche liegt hinter mir.
Für die Sohlen gab es einiges zu ertasten in der Pfalz, im Tarrola Unterland am Inn, im oberbayrischen Voralpenland und an der hessischen Strata Montana.
Wer ein Bayernkönigsschloss problemlos unbeschuht besuchen möchte, dem bietet sich die Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben an: Besuch der Slevogt-Galerie inklusive Schlossführung gibt es dort zu einem günstigen Eintrittspreis. Es herrscht in Ludwigs Sommerresidenz Filzpantoffelzwang nur für Beschuhte - das noble Originalparkett von ca. 1850 und alle weiteren verschiedenen Böden des Gebäudes können genussvoll barfüßig beschritten werden. Also, lieber eine Bildungsreise zu den palatinischen Palästen des ersten (Wittelsbacher-)Ludwig ins Stammland als zu den Bauwerken zweiten Lui in die bayrische Kolonie unternehmen...
Abschließend in der Pfalz habe ich noch die Wachtenburg oberhalb von Wachenheim bei Bad Dürkheim auf gut gangbarem Weg mit baren Füßen erklommen und dort in idyllischer Abendstimmung einen wirklich tief ergreifenden Zwei-AKW-Blick genossen (Biblis links am Horizont im Norden, Philippsburg rechts am Horizont im Süden und dazwischen in trauter Eintracht die Rotoren etlicher Windkraftanlagen...) bis mich der kühle Ostwind zum baldigen Aufbruch gemahnte (ich hatte nämlich meinen Nasenwärmer nicht dabei!).
Danach wurde es für meine gewohnten Flachlandtarrola-Verhältnisse regelrecht hochalpin: zunächst weilte ich in Weilheim, einem hübschen oberbayerischen voralpenländlichen oberländischen Kreisstädtchen, wo sich im Stadtmuseum der Hüter des Hauses sehr an meiner Schuhlosigkeit interessiert zeigte, allerdings dann mit der Frage, ob ich etwa auch mit nackten Füßen die Zugspitze zu besteigen beabsichtige, in meinen Augen doch etwas übers Ziel hinausschoss.
Aber auf diese Weise angeregt und plötzlich heftig für den Alpinismus entflammt, beschloss ich, noch am selben Tag den Heiligen Berg von Andechs oberhalb des Ammersees zu erklettern, was mir dann tatsächlich auch vom dortigen Parkplatz aus auf einer Gesamtwegstrecke von bestimmt mehr als hundert Metern bei einigen Metern Höhenunterschied ohne größere Blessuren gelang.
Und siehe da - oben angekommen wurde ich allem Anschein nach gar für einen frommen Pilger gehalten, indem mir eindrücklich empfohlen wurde, die Kapelle mit den Opferkerzen zu besuchen, dabei hatte ich den Ausflug eher als ganz schlichte profane Klosterbräubiergartenwallfahrt geplant... An gewissen Orten wird man also dank Schuhlosigkeit als sehr viel katholischer angesehen, als man eigentlich es je zu werden beabsichtigt! (An meinem Heiligenschein kann meine scheinbare katholische Pilgerausstrahlung bestimmt nicht gelegen haben, denn den hatte ich an diesem Tag gar nicht dabei - außerdem ist er auch nicht echt - ich bin, jetzt muss ich es einfach mal gestehen, eigentlich nur ein Scheinheiliger...)
Aber flink wieder zurück zum Thema:
Nach so viel Gipfelstürmerei hat es mich dann schließlich noch dazu hingerissen, von Zwingenberg a.d.B. aus den majestätisch aufragenden Melibokus, auch als Malschen bekannt, zu bezwingen (der Ortsname legt es einem ja schon nahe!). Es war an diesem erhabenen Fünfhunderter immerhin meine persönliche Erstbesteigung ohne die drei S!
Beim Abstieg dann war ich ob dieser Tatsache und wahrscheinlich auch ob des in extrem dünner Höhenluft genossenen Viertels Auerbacher Rott (ich denke mal, es war ein Zweitausendfünfer, und wenn man die Gipfelhöhe mit hinzuzählt und über N.N. hochrechnet könnte man - falls man so kalkulieren darf - sogar von einem Zweitausendfünfhundertzweiundzwanziger sprechen; außerdem war er ziemlich trocken, aber das jetzt nur am Rande) irgendwie auf seltsame Art zweigeteilt, schier auseinandergerissen: Der Kopf, der (zugegebenermaßen etwas benebelte) Geist irgendwo im Siebten Himmel auf Wolke Neun schwebend; die Füße allerdings nach wie vor mit Bodenkontakt, dieser aber größtenteils von angenehmer Art. Nur hin und wieder gab es tausende von leicht pieksigen Bucheckernhüllen und natürlich (wäre ja anders auch gar nicht denkbar) ein kurzes Stück einer (überall im deutschen Forst irgendwie obligatorischen) geschotterten Waldautobahn. - Also, grob gesprochen durchlebte ich eine seltene Form von mystischem Dualismus oder so ähnlich...
Fazit: Überall (in und auf Schlössern und Burgen, in Museen, Kirchen, Gasthäusern, im Hotel und beim Konzertbesuch) nur angenehme Begegnungen, nirgends war Unfreundlichkeit zu beklagen, eher schon wurde mir rührend-teilnahmsvolle Aufmerksamkeit geschenkt mit Hinweisen auf kühle Böden und Nägel im Parkett etc. Natürlich hörte ich einhundertdreiundzwanzigeinhalbmal die Ist-es-nicht-zu-kalt-Frage, auch Kindermund tat wieder einiges kund - doch das i-tüpfelige Sahnehäubchen für mich kam von einer begegnenden Wandergruppe am Melibocus und war auch gar nicht für meine Ohren bestimmt. Ich hörte den Ausspruch (sogar einmal wiederholt) nur von schräg links hinten über die Schulter, möchte ihn aber doch ganz unbescheiden als auf mich und meine Wanderausstattung im bodennahen Bereich bezogen ansehen: Alle Achtung!
Alles Gute,
Harald
Ach ja, fehlt noch eine nachzutragende bergsteigertechnische Fachbegriffserklärung - die drei S sind natürlich Schuhe, Strümpfe (wahlweise auch als Socken bezeichnet) und Sauerstoffmaske.