Barfuß auf dem Konzertpodium (Hobby? Barfuß! 2)
Dass mir als Klassikfan Shakira und Joss Stone zwar sympathisch sind, aber musisch nicht so sehr viel geben, ist gar nicht so schlimm. Denn es gibt offenbar auch eine Geigerin, die barfuß auftritt. Davon berichtet diese Kritik, auch von anfänglicher Skepsis des Publikums, das aber sehr schnell in den Bann einer außergeöhnlichen Künstlerin gezogen wurde.
Alles schien wie immer im Staatstheater Mainz. Ein kleines, ouvertürenartiges Stück eröffnete den Abend, ein Solokonzert sollte folgen, und nach der Pause stand eine große Sinfonie auf dem Programm. Die Sinfonietta von Louis Théodore Gouvy war operettenhaft verklungen, mit einer großen Stretta am Ende, und man war damit eingestimmt, ohne besonders gefordert worden zu sein. Mit Spannung wurde also der Auftritt der jungen Violinsolistin erwartet. In einem ärmellosen, roten Kleid betritt sie schließlich die Bühne, gefolgt von Dirigent Thomas Kalb. Frisch und jung sieht sie aus. Der Blick des Publikums wandert den goldenen Blumenapplikationen auf ihrem Kleid folgend gen Fußboden. Ein leichtes Raunen geht durch den Raum - denn Patricia Kopatchinskaja trägt keine Schuhe.
Zwischen all den sorgfältig polierten Lackschuhen der Orchestermitglieder wirken ihre bloßen Füße sehr verletzlich, aber auch sehr deplatziert. Doch dann beginnt sie zu spielen und verleiht dem lange in Vergessenheit geratenen Violinkonzert Robert Schumanns einen völlig neuen Klang. Sehr impulsiv und leidenschaftlich streicht sie die Seiten, variiert wohl überlegt zwischen einem weiten Vibrato in den liedhaften Passagen und einem fahlen Klang, der besonders im zweiten Satz die Nähe zur letzten Komposition Schumanns, den Geistervariationen, deutlich macht.Der warme, bratschenartige Ton ihrer Geige und ihr zum Teil kratziges, schnelles Staccato erinnern an die Zigeunerweisen Sarasates - und plötzlich ergibt auch ihr Gesamtauftritt einen Sinn: vom Kleid bis hin zu den unbeschuhten Füßen, die oft den Takt mitklopfen, bringt sie die Virtuosität und Leidenschaft des Schumannschen Spätwerks zum Ausdruck und damit auch eine Hommage an den ungarischen Geiger Josef Joachim, für den das Konzert ursprünglich komponiert war. Mit einem humoristischen Stück von Jorge Sánchez-Chiong als Zugabe nahm die Solistin das Publikum endgültig für sich ein...
Sucht man in Google nach der Geigerin mit dem komplizierten Namen, stellt sich heraus, dass sie nicht nur dieses Mal ohne Schuhe auf dem Konzertpodium stand. Wie sollen auch die Hände höchste Präzisionsleistung auf diesem diffizilen Instrument leisten, während die Füße eingesperrt sind???
Barfüßige Grüße von Lorenz
Homepage von Patricia Kopatchinskaja -- leider ohne Barfußfoto