Barfuß-Trend im 18. Jahrhundert? (Hobby? Barfuß! 2)

Lasse, Tuesday, 23.01.2007, 16:54 (vor 6452 Tagen)

Habe eben bei Rousseau (Der Gesellschaftsvertrag, 1758) im 8. Kapitel folgendes Zitat gefunden:

Ähnliche Unterschiede bietet der Luxus in Kleidern dar. Unter Himmelsstrichen, wo der Witterungswechsel schnell und heftig eintritt, hat man bessere und einfachere Kleider; in solchen, wo man sich nur um des Putzes willen kleidet, nimmt man mehr auf Glanz als auf Nutzen Rücksicht, und die Kleidung ist dort reiner Luxus. In Neapel kann man täglich Leute nach Pausilippo wandeln sehen, die goldbesetzte Oberkleider tragen, aber barfuß gehen.

Offenbar gab es damals auch schon mal einen Barfuß-Trend, bei dem Schuhlosigkeit nicht sofort mit Armut verbunden wurde.

Geschichtsprofis gefragt

JohnK, Stammposter, Tuesday, 23.01.2007, 22:02 (vor 6452 Tagen) @ Lasse

Hallo Lasse,

vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag.

"... in solchen [Gegenden], wo wo man sich nur um des Putzes willen kleidet, nimmt man mehr auf Glanz als auf Nutzen Rücksicht, und die Kleidung ist dort reiner Luxus. In Neapel kann man täglich Leute ... sehen, die goldbesetzte Oberkleider tragen, aber barfuß gehen."

Bleibt zu fragen, ob es sich bei "Leuten" um Männer, Frauen oder Menschen beiderlei Geschlechts handelte. Die Barfüßigkeit wurde jedenfalls von Rousseau als Kontrast empfunden, sonst hätte er es nicht explizit erwähnt. In Frankreich gehörten anscheinend Schuhe zur luxuriösen Kleiderordnung.

Die Füße wurden demnach im Neapel des 18. Jh. als vornehm und glänzend genug angesehen, so dass man sie unbekleidet ließ, um sie vollends zur Geltung kommen zu lassen. Auf dass sie auf den Besitzer abfärben und ihm Glanz und Ansehen verleihen sollten?

Dieser implizierten Auffassung schließe ich mich an, sie scheint 150 Jahre später wieder aktuell zu sein. Ich lebe sie auch und empfinde es ebenfalls bei meinen Mitmenschen als angenehmer und vornehmer, wenn Barfüßigkeit statt Schuhetragen praktiziert wird.

Johannes

Habe eben bei (Der Gesellschaftsvertrag, 1758) im 8. Kapitel folgendes Zitat gefunden:
Ähnliche Unterschiede bietet der Luxus in Kleidern dar. Unter Himmelsstrichen, wo der Witterungswechsel schnell und heftig eintritt, hat man bessere und einfachere Kleider; in solchen, wo man sich nur um des Putzes willen kleidet, nimmt man mehr auf Glanz als auf Nutzen Rücksicht, und die Kleidung ist dort reiner Luxus. In Neapel kann man täglich Leute nach Pausilippo wandeln sehen, die goldbesetzte Oberkleider tragen, aber barfuß gehen.
Offenbar gab es damals auch schon mal einen Barfuß-Trend, bei dem Schuhlosigkeit nicht sofort mit Armut verbunden wurde.

Geschichtsprofis gefragt

Lasse, Wednesday, 24.01.2007, 12:36 (vor 6451 Tagen) @ JohnK

Die Füße wurden demnach im Neapel des 18. Jh. als vornehm und glänzend genug angesehen, so dass man sie unbekleidet ließ, um sie vollends zur Geltung kommen zu lassen.

Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Ich glaube eher, dass man den Körper als etwas Natürliches ansah, den man mit Luxusgütern (wie etwa goldglänzenden Kleidern) behängte - so wie man es bei manchen "Naturvölkern" auch beobachten kann.

Ich übrigens noch ein bisschen weiterrecherchiert. Demnach soll Rousseau empfohlen haben, so weit es möglich sei, im Haus und außer Haus barfuß zu laufen. (Ein genauer Quellenverweis fehlte leider). Ein paar Leute scheinen das auch gemacht zu haben; jedenfalls sieht man auf Bildern der Maler Boucher und Fragonard nicht selten junge Leute, die in Parklanschaften in höfischer Kleidung aber barfuss Gesellschaftsspiele spielen, Picknicken oder mit jungen "Schäferinnen" kosen. Auch hier bin ich mir nicht sicher, ob die das nun eher als betont "hübsch" oder eher als "hübsch natürlich" empfanden. In jedem Fall dürfte es einen Zusammenhang mit der damaligen Schäfermode gegeben haben. Vielleicht weiß der eine oder andere hier ja noch mehr?

Barfuß-Trend im 18. Jahrhundert?

Georg, Stammposter, Wednesday, 24.01.2007, 16:45 (vor 6451 Tagen) @ Lasse

Habe eben bei Rousseau (Der Gesellschaftsvertrag, 1758) im 8. Kapitel folgendes Zitat gefunden

Hallo zusammen,
Rousseau hat auch einen bekannten erziehungsroman geschrieben: Emile (den ich natürlich nicht gelesen habe, schon weil ich ja immer alle Postings hier lesen muss :-)).
Jeman anderer behauptet aber von sich, den Inhalt zu kennen und schreibt:
Das übrige pädagogische Lehrwerk erschöpft sich in weithin unbegründeten Meinungsäußerungen von, je nach gusto, größerer oder geringerer Plausibilität. Als unnatürlich lehnt Rousseau bewegungseinengende Kleidung ab, für den Mann verlangt er peu ou point de coiffure en toute saison.(2), wozu ihn auch die alten Griechen anregen. Kopfbekleidung kommt ihm ebenfalls eher unnatürlich vor. Auch der Zeitpunkt des Schlafes ist von der Natur vorgegeben: Die Ruhezeit ist jene der Nacht, sie wird von der Natur angezeigt...der gesundeste Brauch ist sicher der, mit der Sonne aufzustehen und zu Bett zu gehen. (Le temps du repos est celui de la nuit, il est marqué par la nature...l'habitude la plus salutaire est certainement de se lever et de se coucher avec le soleil (2)). Es ist besser, schwimmen als reiten zu lernen, auch weil es billiger ist. Wenn möglich, sollte man auch drinnen und draußen barfuß herumlaufen.(2) Viele seiner Ratschläge sind gesund (salutaire) oder gar gängiger common sense, aber manche sind auch schlicht und einfach abstrus. Erschreckend ist aber vor allem, daß der "Meister" alles so genau und bis ins Detail weiß, daß für seine Ziehkinder Émile und Sophie keinerlei Spielraum zu eigenen Entscheidungen bleibt.
Fundstelle: http://ulliwohlenberg.tripod.com/senseandsensibility/id13.html
Ob das Barfußlaufen auch in dem Waisenhaus praktiziert wurde, in das er seine eigenen Kinder gegeben hatte? Vermutlich ...
Serfuß
Georg

Barfuß-Trend im 18. Jahrhundert?

Markus U., Stammposter, Wednesday, 24.01.2007, 19:21 (vor 6451 Tagen) @ Georg

Hallo zusammen,
Rousseau hat auch einen bekannten erziehungsroman geschrieben: Emile (den ich natürlich nicht gelesen habe, schon weil ich ja immer alle Postings hier lesen muss :-)).
Jeman anderer behauptet aber von sich, den Inhalt zu kennen und schreibt:
Das übrige pädagogische Lehrwerk erschöpft sich in weithin unbegründeten Meinungsäußerungen von, je nach gusto, größerer oder geringerer Plausibilität. Als unnatürlich lehnt Rousseau bewegungseinengende Kleidung ab, für den Mann verlangt er peu ou point de coiffure en toute saison.(2), wozu ihn auch die alten Griechen anregen. Kopfbekleidung kommt ihm ebenfalls eher unnatürlich vor. Auch der Zeitpunkt des Schlafes ist von der Natur vorgegeben: Die Ruhezeit ist jene der Nacht, sie wird von der Natur angezeigt...der gesundeste Brauch ist sicher der, mit der Sonne aufzustehen und zu Bett zu gehen. (Le temps du repos est celui de la nuit, il est marqué par la nature...l'habitude la plus salutaire est certainement de se lever et de se coucher avec le soleil (2)). Es ist besser, schwimmen als reiten zu lernen, auch weil es billiger ist. Wenn möglich, sollte man auch drinnen und draußen barfuß herumlaufen.(2) Viele seiner Ratschläge sind gesund (salutaire) oder gar gängiger common sense, aber manche sind auch schlicht und einfach abstrus. Erschreckend ist aber vor allem, daß der "Meister" alles so genau und bis ins Detail weiß, daß für seine Ziehkinder Émile und Sophie keinerlei Spielraum zu eigenen Entscheidungen bleibt.
Fundstelle: http://ulliwohlenberg.tripod.com/senseandsensibility/id13.html
Ob das Barfußlaufen auch in dem Waisenhaus praktiziert wurde, in das er seine eigenen Kinder gegeben hatte? Vermutlich ...
Serfuß
Georg

Hi Georg, hi zusammen,

Was bedeutet "peu ou point de coiffure en toute saison"?
Ich hatte in der Schule keinen Unterricht in Französisch und bin dieser Sprache folglich nicht mächtig.

Barfüßige Wintergrüße,
Markus U.

Barfuß-Trend im 18. Jahrhundert?

Kai (VS), Wednesday, 24.01.2007, 20:53 (vor 6451 Tagen) @ Markus U.

Was bedeutet "peu ou point de coiffure en toute saison"?

Wenig oder gar kein Frisier-Aufwand zu allen Jahreszeiten / Gelegenheiten

... wenn ich's noch richtig verstehe

Gruß, Kai (VS)

Meine Theorie...

Bernd (Wiesbaden), Stammposter, Thursday, 25.01.2007, 14:39 (vor 6450 Tagen) @ Lasse

Hallo,

wer sich im Studium des engl. Klassizismus (18. Jh.) mit Texten beschäftigt, berücksichtigt bei der Arbeit in aller Regel kulturhistorische Artefakte aller Art, d.h. nicht nur durch Bücher machen wir Vergangenheit erfahrbar, sondern auch durch andere Dinge wie z.B. Gemälde. Stimmt, zahlreiche europäische Maler des 18. Jh. stellen in ihren Gemälden auch oppulent gekleidete Männer und Frauen oft barfuß dar. Aus meiner Sicht ist dies jedoch nicht aus der Intention heraus geschehen, die Wirklichkeit möglichst realistisch im Bild darzustellen, vielmehr sind im Klassizismus Gemälde - und Texte - Ausdrucksmedium einer Wirklichkeitsvorstellung. Was im 18. Jh. wiederentdeckt wurde, war die Antike. In der 2. Hälfte des 18. Jh., als z.B. in England die Romantik aufblühte, könnte "barfuß" eine projizierte Verbundenheit von Mensch und Natur zur Absicht haben. Was nicht heißt, dass Menschen draußen tatsächlich barfuß herumliefen, es sei denn, sie konnten sich tatsächlich keine Schuhe leisten. Ich denke, es ist wichtig, zwischen Realität und Darstellung der Realität unterscheiden, da beides selten deckungsgleich ist.

Viele Grüße
Bernd

Habe eben bei Rousseau (Der Gesellschaftsvertrag, 1758) im 8. Kapitel folgendes Zitat gefunden:
Ähnliche Unterschiede bietet der Luxus in Kleidern dar. Unter Himmelsstrichen, wo der Witterungswechsel schnell und heftig eintritt, hat man bessere und einfachere Kleider; in solchen, wo man sich nur um des Putzes willen kleidet, nimmt man mehr auf Glanz als auf Nutzen Rücksicht, und die Kleidung ist dort reiner Luxus. In Neapel kann man täglich Leute nach Pausilippo wandeln sehen, die goldbesetzte Oberkleider tragen, aber barfuß gehen.
Offenbar gab es damals auch schon mal einen Barfuß-Trend, bei dem Schuhlosigkeit nicht sofort mit Armut verbunden wurde.

Meine Theorie...

Lasse, Thursday, 25.01.2007, 15:41 (vor 6450 Tagen) @ Bernd (Wiesbaden)

Stimmt, zahlreiche europäische Maler des 18. Jh. stellen in ihren Gemälden auch oppulent gekleidete Männer und Frauen oft barfuß dar. Aus meiner Sicht ist dies jedoch nicht aus der Intention heraus geschehen, die Wirklichkeit möglichst realistisch im Bild darzustellen, vielmehr sind im Klassizismus Gemälde - und Texte - Ausdrucksmedium einer Wirklichkeitsvorstellung. [...]In der 2. Hälfte des 18. Jh., als z.B. in England die Romantik aufblühte, könnte "barfuß" eine projizierte Verbundenheit von Mensch und Natur zur Absicht haben. Was nicht heißt, dass Menschen draußen tatsächlich barfuß herumliefen, es sei denn, sie konnten sich tatsächlich keine Schuhe leisten.

Ich gebe Dir Recht, Bilder sollte man nicht eins zu eins übersetzen; die Fürsten auf den Fürstenporträts der Zeit hatten ja auch in der Wirklichkeit selten die Rüstungen an, mit denen sie gezeigt werden. Trotzdem ist nicht alles Fiktion: die Gesellschatsspiele, welche die jungen Leute auf den französichen Bildern in arkadischen Parklandschaften spielen, haben sie meines Wissens auch in der (höfischen) Realität gespielt (z.B. Blindkuh war sehr beliebt). Insofern halte ich es schon für wahrscheinlich, dass man, wenn man spielerisch als Arkadienbewohner gab, dafür auch die Schuhe ausgezogen hat.

Barfuß-Trend im 18. Jahrhundert?

dr.barfuss, Stammposter, Sunday, 28.01.2007, 21:23 (vor 6447 Tagen) @ Lasse

Rumänien:
Altertum - Die Daken: Die Armen (Mann und Frau) liefen barfuß (im Sommer). Die Reichen (Tarabostes = ene Art Adel) - Männer hatten Fußbekleidung, Frauen eher nicht (im Sommer).
Mittelalter bis um 1950 (auf dem Lande; in kleineren Dörfern auch heuer): Männer - in einigen Gegende barfuß, in andere nicht; Frauen - auch die reicheren Bäuerinnen liefen fast nur barfuß - Tradition: um entschluß zu zeigen mußte frau von dem Weg nicht abweichen, seien es Steine, Schlamm oder Pfützen).

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