"Der ist an Erkältung gestorben" (Hobby? Barfuß! 2)
Heiligabend 2006, typische Hochdruckwetterlage mit Hochnebel im Mittelland bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Also kein ideales Wetter, um längere Zeit barfuß Fahrrad zu fahren. Also endete meine Fahrradstrecke bereits nach etwa einem Kilometer am Zofinger Bahnhof, wo der Zug nach Basel mich um 7.19 Uhr mitnahm. Der Schaffner interessierte sich nur für meine Fahrkarte, eine "Citycard", die auch zur Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs in Basel und Umgebung berechtigte.
Es war noch dunkel, als ich den Basler SBB-Bahnhof nicht durchs Hauptportal durch den "Lieferanteneingang" (Gundeliquartier) verließ. Die Leute im Bahnhof schienen noch ziemlich übermüdet, da Umfeld schien sie gar nicht zu interessieren. Der Temperaturunterschied zwischen dem glatten Boden der Bahnhofspasarelle und dem Beton bzw. Asphalt vor dem Bahnhofsgebäude war krass, ein Schuhträger würde so etwas nicht merken. Es dauerte nicht lange, da kam ein Tram der Linie 16. Nur wenige Passagiere, an der "unechten" Endhaltestelle Bruderholz, wo das Tram einige Zeit hielt, um dann als Linie 15 weiterzufahren, war ich der einzige Fahrgast. Die Stimmung war herbstlich, nicht winterlich: auch hier Hochnebel, draußen wimmelte es nur so von Krähen (so viele Rabenvögel habe ich in Realität noch nie beieinander gesehen). Die einzigen Menschen waren "mein" Tramchauffeur und der Fahrer des Gegenzuges, die jeweils eine Zigarette rauchten. Bei der Talfahrt durch die Wolfsschlucht sah ich einige Rauhreifstellen, es hatte also in der Nacht Bodenfrost gegeben.
Weihnachtlich wurde es erst, als die Bahn via Wettsteinbrücke, Messe und Mittlere Brücke durchs Basler Stadtzentrum fuhr. Am Barfüßerplatz (wo denn sonst?) stieg ich in den "Dreier" in Richtung Burgfelden Grenze. An der Endstation stieg durch die hintere Tür ein, ging an mir vorbei, hielt plötzlich an, ging zurück, richtete den Blick gegen unten, grinste und ging dann weiter, um im mittleren Teil des Fahrzeugs Platz zu nehmen. Eine Station später stieg ein Mann etwa Mitte Fünfzig in die Bahn, er trug eine kurze Sporthose, Trainingsjacke und Turnschuhe. Als der Mann an der Frau vorbeiging, grinste sie ebenfalls (das tat sie aber auch, als eine Rentnerin mit einem kleinen Pudel einstieg).
Beim "Bankverein" stieg der Jogger aus und rannte in Richtung Wettsteinbrücke, vermutlich wollte er am Rheinufer seine "übliche" Rennstrecke absolvieren. Meine "Rennstrecke" war ganz anderer Art. Ich spürte Druck auf der Blase und benötigte eine Toilette, die man in Basel (und in anderen Städten wohl auch) in der Straßenbahn vergeblich sucht. Am Aeschenplatz, wo ich umsteigen wollte, war jedoch ein entsprechendes Häuschen. Der Druck auf der Blase war der Grund, weshalb ich so rannte, nicht etwa ein Tram, was ich unbedingt noch bekommen mußte. Mir wären sicher nicht die Füße abgefroren, wenn ich 10 Minuten aufs nächste gewartet hätte. Um Alan nicht zu verärgern, werde ich die Folgeepisode hier nicht erwähnen.
Im "Achter" fuhr ich zum Bahnhof SBB. Jetzt waren schon mehr Leute im Bahnhof, und einige Leute starrten auf meine Füße/Beine. Ich bestieg eine S-Bahn und hier geschah etwas, was passiert, wenn man nicht aufpaßt. Ich trat in irgendetwas weiches, wobei ich nicht erkennen konnte, ob es sich um eine Pizza handelte, die einfach nur runtergefallen war oder um eine, die bereits im Magen gewesen war und diesen aber wieder auf dem selben Weg verlassen hat. Hätte ich ein pH-Papier dabei gehabt, hätte ich das Vorhandensein von Magensalzsäure leicht überprüfen können). Sicher keine Situation, die man sich als Barfüßer (oder Schuhträger) herbeisehnt, aber noch lange kein Grund, sich bei den SBB zu beschweren. Im Normalfall sind Schweizer Bahnen sauber. Für mich als Chemiker ist verdünnte Salzsäure harmlos, also stört sie an den nackten Füßen auch nicht sonderlich.
Ich reiste nur bis Muttenz (weiter reicht die Citycard nicht), um von dort zur Tramhaltestelle "Muttenz Dorf" zu wandern. Mittlerweile wagte sich immer wieder die Sonne durch den Hochnebel. Während ich auf den "Vierzehner" wartete, sprach am Kiosk eine Frau zu einem Mann: "Der ist ja barfuß!" Darauf der Mann: "Soll er doch, solange er nicht friert."
Das Tram fuhr auf Umwegen (und unter Linienwechsel) zum Bahnhof SBB. Während ich den Fahrplan studierte, um Abfahrzeit und Gleis der nächsten S-Bahn nach Münchenstein zu finden, kamen zwei Securitas-Männer auf mich zu. Sie fragten mich, ob es nicht zu kalt wäre ohne Schuhe und in kurzen Hosen, meinte ich. Solange man in Bewegung bleibt, passiert einem nichts. Die Männer waren höflich und schienen eher neugierig zu sein. Auf die Frage, ob ich da immer mache, meinte ich: "Am Arbeitsplatz natürlich nicht, zum längeren Radfahren wäre es mir auch zu kalt. Ich bin auch längst nicht der einzige, der es macht. In Basel gab es auch mal einen Fährmann, der barfuß selbst im Winter auf dem Boot seinen Dienst versah." "Der ist an Erkältung gestorben", meinte ein Securitas-Mann, aber am Tonfall vernahm ich, daß er es nicht ernst meinte. Worau ich antwortete: "Erkältung? Das glaube ich nicht. Höchstens Erfrierung. Aber eher glaube ich, daß die Krankheitserreger erfrieren als der Fährmann." Die Securitas-Männer wiesen mich noch drauf hin, daß es auf dem Bahnsteige ein Häuschen geben würde. Das benötigte ich aber nicht, denn der FLIRT-Zug stand schon bereit.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen