Parallelitäten Fahrzeugtyp, Kleidung und (nicht-)barfuß? (Hobby? Barfuß! 2)
"Ein Auto bedeutet ein Stück Freiheit, im Zuge der systematischen Entliberalisierung der westlichen Gesellschaften seit den frühen 80ern wurde es disabled, um wieder für Kleiderordnungen Platz zu schaffen.
Abschließend gesagt, sehe ich es zwar nicht so gerne, wenn solche Leute auf den Trichter kommen und Sachen in Richtung der (meiner Meinung nach) geeignetsten Vierräder für Barfußfreaks (Mercedes S-Klasse, BMW 7er, Cadillac Fleetwood Brougham...) fahren, aber wer weiß - die formale Wahrscheinlichkeit, daß aufgrund eines verrückten Zufalls einmal entdeckt wird, wie gut sich diese Kfz barfuß fahren lassen und auch sonst eine neue Welt betreten wird, ist nicht zwingend 0."
Hallo Jay,
irgendwie habe ich Mühe damit, wenn Leute irgendwelche Vorurteile haben, welcher Autotyp, welche Kleidung und welche Schuhe zum Beruf, Einkommen und zur Herkunft anderer Leute haben, oder anders ausgedrückt: was standesgerecht ist. Ich finde es nicht gut, wenn ein allein stehender Mensch, der finanziell eher schlecht dasteht, sich einen dicken Mercedes oder Jaguar kauft, jedoch nicht mehr in der Lage ist, das Geld für die nötige Verkehrssicherheit aufzubringen. Damit gefährdet er sich und andere Verkehrsteilnehmer. Wenn der Wagen aber gut erhalten ist, er selbst aber kein Geld mehr für Schuhe hat und barfuß fährt, dann ist es einzig und allein seine Sache.
Moralisch verwerflich wäre es auch, wenn ein Mann mit Frau und Kindern finanziell eher schlecht dasteht, er selber aber immer mit einem teuren Auto, teuren Markenklamotten und teuren Markenschuhen prahlt, während die Frau und vor allem die Kinder in ihrer schäbigen Behausung hungern und frieren und die Kinder barfuß laufen MÜSSEN, weil das Geld für Schuhe hinten und vorne fehlt.
Mein Bruder (Physiker) wohnte mal in einem Haus im Frankfurter Raum, das einem Direktor (Mercedesfahrer) gehörte, dessen Frau war Pharma-Referentin (Opelfahrerin). Es kam einmal pro Woche eine Putzfrau mit einem BMW zum Reinigen der Wohnung. Die Hausherrin verlangte, daß die Putzfrau ihren Wagen nicht direkt vor dem Haus abstellen sollte, weil die Nachbarn es nicht mitkriegen durften, daß die Putzfrau einen besseren Wagen fährt als die Hausherrin. Als meine Eltern mal meinen Bruder besuchten und sie unweigerlich auch die Hausbesitzer kennen lernten, erzählte die Pharma-Referentin auch von dem BMW der Putzfrau, wobei meine Mutter sagte: "Putzfrau und BMW, das paßt nicht zusammen!"
Meinen Bruder störte es übrigens nicht, daß die Putzfrau einen besseren Wagen fuhr als seine Vermieterin. Er selber fuhr anfangs auch nur einen Opel. Als er sich aber einen Porsche kaufte, geriet die Frau in eine Zwickmühle: Einerseits paßte es nicht, daß ihr Mieter einen besseren Wagen fuhr, andererseits mochte sie den Porsche auch leiden. Aber auch mein Bruder ist nicht ganz frei von "Standesdünkeln". Zwar ist es ihm egal, welche berufliche Qualifikation ein Porschefahrer haben "muß". Aber störend würde er finden, wenn ein alter Opa mit Hut Porsche fährt (der soll gefälligst Mercedes fahren). Auch würde es nicht passen, wenn ein unsportlicher Mensch mit dickem Bauch und aufgedunsenem Gesicht Porsche fährt. Mein Bruder und meine Mutter sind sich einig, daß zu mir kein Porsche passen würde, weil ich zu unsportlich bin (im Schulsport hatte ich nie eine bessere Zensur als eine Vier). Was mein Bruder von barfuß Porsche (oder überhaupt Auto) fahren hält, kann ich nicht sagen. Er selber läuft nie barfuß. Meine Mutter hat was gegen barfuß Auto (und Fahrrad) fahren, weil es zu gefährlich sei, woher will die das wissen?
In der Schweiz gibt es heute weniger Standesdünkel in Sachen Auto als auch schon. Heute ist es nicht mehr ehrenrührig, wenn der Hauptabteilungsleiter seinen Mittelklassewagen neben dem besseren Wagen seines Untergebenen auf dem Firmenareal parkiert. Auch stört es niemanden, wenn ein Kadermitarbeiter mit dem Fahrrad oder mit dem Zug zur Arbeit fährt. Ehrenrührig ist höchstens, wenn ein Mitarbeiter um die 40 mit dem Mofa zur Arbeit kommt. Auch ist es hier den meisten Vorgesetzten egal, ob man den Wagen (oder das Fahrrad) in "passender" oder "unpassender" Kleidung (egal ob mit oder ohne Schuhe) in der FREIZEIT benutzt.
Ich selber habe noch nie ein eigenes Auto besessen, obwohl ich finanziell sicher dazu in der Lage wäre. Da ich recht nahe am Arbeitsplatz wohne, keine Familie habe, das Bahnnetz gut ausgebaut ist, brauche ich auch keines. Für mich bedeutet das Fahrrad ein Stück Freiheit. Mit dem kommt man zwar nicht so schnell voran, aber man kann damit auch Wege benutzen, die fürs Auto gesperrt sind. Das Fahrrad ist DAS Verkehrsmittel, was am wenigsten Energie benötigt und mit dem man am besten Kontakt mit der Natur hat, nicht abgeschottet durch irgendwelches Blech. Andererseits ist man aber auch weniger geschützt gegenüber Regen usw. Die Autokarosse schützt den Menschen wie der Schuh den Fuß, in Extremsituationen ist also beides sinnvoll. Aber wo dieser Schutz nicht nötig ist, da kann man sehr wohl auf beides verzichten, und zwar gleichzeitig. Darum fahre ich, wenn die Witterung es zuläßt, am liebsten Fahrrad. Und zwar barfuß! Und in solcher Kleidung, die mich nicht mehr als nötig einengt und von der Natur abschottet.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen