Barfuß bei Veranstaltung des Zofinger Stadtrats (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Wednesday, 29.11.2006, 07:45 (vor 6573 Tagen)

Gestern um 19.30 Uhr war eine Informationsveranstaltung der Stadt Zofingen im Stadtsaal. Es ging zum Thema "Tempo-30-Zonen" in Zofinger Wohngebieten, die Bewohner Zofingens waren dazu eingeladen.

http://www.zofingen.ch/pages/index.cfm?srv=cms&rub=1&Artikel_ID=13339

Auch mich interessierte die Veranstaltung, denn auch ich lebe in einem Wohngebiet, in dem eine Temporeduktion angemessen wäre. Da ich selber diese Straßen auch heute in der Regel mit nicht mehr als 30 km/h befahre (die Straßen liegen in der Ebene, da kommt man mit dem Fahrrad nicht so einfach auf 30), wäre ich nur indirekt betroffen. Die Autos würden länger benötigen, um mich zu überholen.

Da ich nicht direkt von der Arbeit zur Veranstaltung gefahren war, sondern gut 2 Stunden eher, war es für mich eigentlich selbstverständlich, daß ich dort in der Kleidung erscheinen würde, in der ich mich meistens auf der STRASSE bewegen würde, unabhängig ob man dort mit 30 "schleichen" oder mit 50 "rasen" darf. Da es +6°C war, der Stadtsaal etwa 1 km von meiner Wohnung entfernt liegt, und ich im Stadtsaal selbst eher höhere Temperaturen erwartete als draußen (womit ich mich NICHT getäuscht hatte), hielt ich es nicht für notwendig, Schuhe anzuziehen oder auch nur mitzunehmen.

Wenige Minuten vorher erreichte ich den Stadtsaal, vor dem schon etliche Fahrräder standen. Kein Türsteher war vor dem Eingang, ich kam rein, und keiner von den Besuchern schien meine Aufmachung zu bemerken. Ich kann mir es nur so erklären: Die Leute interessierten sich für Tempo-30-Zonen, sonst wären sie nicht gekommen. Kaum einer/eine würde eine solche Veranstaltung besuchen, wenn ihn/sie in erster Linie die Mode der Nachbarin usw. interessiert. Für so etwas gibt es Opernhäuser, da kommt man auf seine Kosten, da wird getuschelt, geraschelt usw., was die echten Opernfans stört.

Ich setzte mich auf einen Stuhl im Saal. Auf der Bühne saßen 7 Personen, die das ganze vortragen sollte bzw. zu Diskussionen bereit standen. Ich erkannte zum einen der Stadtrat, der die Veranstaltung leitete, zwei Mitglieder des Einwohnerrates (davon ein Arbeitskollege) und eigentlich nicht überraschend, wenn es um Verkehrsfragen geht: den Chef der Zofinger Stadtpolizei (mit diesem hatte ich bisher nie selbst zu tun gehabt, nur mit seinen Untergebenen und seinem Amtskollegen von der Kantonspolizei und dessen Untertanen). Ich rechnete auch nicht damit, daß mich dieser Stadtpolizeichef vor versammeltem Saal rausschmeißen würde.

Die Veranstaltung war ganz interessant, man durfte auch Fragen stellen. Auch ich stellte eine zum Thema Verkehrssicherheit. Ich bestätigte, daß Autofahrer bei Tempo 30 aufmerksamer fahren und die Unfälle weniger schlimm sei. Allerdings beobachtet ich in anderen Städten, daß in verkehrsberuhigten Zonen die Nichtautofahrer deutlich weniger aufmerksam seien und dadurch wieder mehr Unfälle statt fänden. Ich erwähnte spielende Kinder hinter als Schikanen aufgestellten Blumenkübeln. Und ich brachte den Vergleich. "In der verkehrsberuhigten Zone fühlt man sich sicher, also ist man weniger aufmerksam. Wer beim Bergsteigen eine teure Ausrüstung trägt, fühlt sich sicher und wird unvorsichtiger. Wer im Chemielabor eine Schutzbrille trägt, fühlt sich sicher und panscht mehr mit Chemikalien herum als einer, der keine Schutzbrille trägt. Und wer Sicherheitsschuhe trägt, fühlt sich auch sicher und achtet viel weniger darauf, wohin er tritt als einer, der keine Sicherheitsschuhe trägt. Als das Wort "Schutzbrille" fiel, fing der Arbeitskollege (Betriebschemiker) und Einwohnerrat auf der Bühne an zu schmunzeln, auch drehte sich ein paar Reihen vor mir einer aus dem Publikum um: Es war auch ein Betriebschemiker, den ich bisher nicht mitbekommen hatte, und er mich auch nicht. Vermutlich hatte er meine Stimme erkannt, ein typisches Norddeutsch fällt im Stadtsaal einer Schweizer Kleinstadt mehr auf als nackte Füße. Als ich das mit den "Sicherheitsschuhen" erwähnte (und ich sagte absichtlich "Sicherheitsschuhe" und nicht einfach "Schuhe"), vernahm ich ein leises Lachen von einigen Leuten.

Hinterher gab es noch einen Apero auf Kosten der Stadt. Auch hier wurde ich nicht anders behandelt als die fett beschuhte Mehrheit. Ich sprach noch mit einem Arbeitskollegen und anderen über die Tempo-30-Zonen, mit den Worten: "Ich war am Wochenende mit dem Velo unterwegs, am Samstag bis Brunnen, am Sonntag bis Basel, und ich habe mir bei der Gelegenheit angesehen, wie anderswo diese Zonen konstruiert waren." Eine Frau wunderte sich, daß ich so weit an einem Tag fahre. Mein Arbeitskollege sagte: "Es war auch gutes Wetter! Es kann bald kalt werden, dann ist barfußlaufen im Schnee angesagt!" Worauf ich sagte: "Dann bekomme ich aber Ärger mit der Polizei!" Worauf die Frau sagte: "Wieso? Das ist doch nicht verboten!" Weiter wollte ich das Thema nicht behandeln, denn zufällig kam der Polizeichef in unsere Nähe. Da wollte ich nicht gegen die Polizei wettern, so leise ist meine Stimme schließlich auch nicht.

Gegen 21.30 Uhr verließ ich den Stadtsaal. Offensichtlich hatte der Polizeichef die Chance verpaßt, seine Untertanen rund um den Stadtsaal zu positionieren, um Alkoholkontrollen durchzuführen und die Stadtkasse aufzufüllen (allein schon, um die Kosten des Aperos wieder hereinzuholen). Denn etliche, der Teilnehmer, die auch beim Apero waren, hatten mehr als 0,5 Promille, ich sicher auch. Auch als Radfahrer kann man dann den Autoführerschein loswerden. Und als barfüßiger Radfahrer im November hätte ich sicher auch blasen müssen.

Ich kam aber unbehelligt nach Hause. Dabei benutzte ich die Straßen der Altstadt, wo man teilweise zwar mit dem Rad, jedoch nicht mit dem Auto fahren darf. Hier bestätigte sich meine Theorie: Dort, wo keine Autos fahren dürfen, fühlen sich die Fußgänger sicher und rechnen nicht mit Radfahrern. Diesmal hielten sich ca. 6 Leute in den teuersten Businessanzügen (soweit ich das im Dunkeln beurteilen kann) mitten auf der Straße auf. Ich vermutete, daß es sich um die amerikanischen Kunden unserer Firma handelte, die diese Woche zu Besuch sind und mit unseren hochrangigen Managern der Pharmasparte zum Abendessen in der Stadt waren. Nun wurden sie herzlich verabschiedet. Ich mußte einen ziemlichen Bogen fahren, um eine Kollision zu vermeiden. Einer schien erschreckt zu sein und sagte: "Barefoot". Unsere obersten Pharma-Manager kenne ich nicht persönlich, und sie mich erst recht nicht. Etwa 100 Meter weiter sah ich, wie ein Mann, der aussah wie unser CEO gerade in eine Seitenstraße einbog. Ob es sich wirklich um unseren CEO handelte, der am Abendessen mit den Kunden teilgenommen hatte? Ich hätte es rausfinden können, wenn ich ebenfalls in die Seitenstraße eingebogen wäre. Aber das tat ich nicht, und das hätte ich auch nicht getan, wenn ich Dienstkleidung angehabt hätte. Ob der CEO etwas gegen Barfüßer (außerhalb des Firmenareals) hat, weiß ich nicht. Er ist übrigens Amerikanisch-Schweizer Doppelbürger.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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