Versuch einer moralische Erpressung (Hobby? Barfuß! 2)

Manfred, Sunday, 05.11.2006, 13:00 (vor 6531 Tagen) @ JohnK

Hallo Johannes,
vielen Dank für den erfrischenden, mit leichter Ironie geschrieben Text! Wir bekommen seit einigen Jahren gegelmäßig diese Post. Dies ist ganz klar der Versuch einer "moralischen Erpressung": Wenn du das Geld nicht überweist, hast du ein doppelt schlechte Gewissen, weil du erstens den armen Behinderten nicht geholfen hast und zweitens sie noch nicht einmal die Unkosten für den Druck des Kalenders und der Karten herauskriegen, die sie dir ja ungefragt zugeschickt haben.

Auf der anderen Seite weiß ich, dass diese Menschen ohne diesen "Trick" es sehr schwer hätten, Geld zu verdienen. Behindert sein bedeutet, viele Nachteile zu haben, und die Möglichkeit, von der "Mitleidsschiene" zu profitieren, ist eine der wenigen Vorteile von Behinderung (man behaupte nicht, die Maler mit dem Pinsel würden nicht bemitleidet, sodnern bewundert, denn wenn es reine Bewunderung wäre, würden sich die Karten auch von alleine außerhalb der Weihnachtszeit verkaufen.

Ich habe mich entschlossen, mich nicht erpressen zu lassen (was mir vielleicht dadurch leichter fällt, dass meine Frau selbst behindert ist und ich andere Behinderte kenne, die diese Form der moralischen Erpressung entsetztlich finden): Wir entscheiden jedes Jahr, ob wir die Karten gebrauchen können (mir sind sie zu kitschig, aber meine Frau verschickt sie manchmal). Wenn ja, überweisen wir, wenn nein, lassen wir es bleiben. Dennoch fände ich es viel viel besser, wenn diese Künstlergruppe nur eine ehrliche Reklame verschicken würde, die einen zum bestellen aufforderte. Aber: Der Umsatz wäre vermutlich weit geringer...
Gruß!
Manfred

Als ich heute mittag auf dem Rückweg vom wieder mal vor Reklame überquellenden Briefkasten an der Altpapierkiste vorbeikam und die oft geübte Wegwerfbewegung mit der Hand ausführen wollte stutze ich und stoppte den Frisbee-Schwung der Hand, die einen Reklamebrief der "MFK Mund- und Fußmalenden Künstler Verlag GmbH" gerade noch zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Als den Füßen positiv gegenüber eingestellter Mensch konnte ich mein Interesse dieser Sendung gegenüber nicht mehr zurückhalten und öffnete den Umschlag.
Darin wurde ich in einem von Antje Kratz im Original fußgeschriebenen Brief als "Verehrter Kunstfreund" tituliert, einem geschickten Werbeschachzug, der meinem Intellekt und meinem kulturellen Niveau schmeicheln sollte. Die Wirkung wurde nicht verfehlt. Doppelt motiviert (fußgeschriebener Brief + geschmeichelter Intellekt) vertiefte ich mich in den Inhalt und vernahm, dass ich soeben Besitzer von einer "Serie aus 6 Weihnachts- bzw. Neujahrskarten mit Kuverts, 6 Stück Geschenkanhänger und einem Taschenkalender" geworden bin. Die Auswahl meiner bescheidenen Person für dieses interessante Geschenk von Kunstkarten, zwar allesamt mundgemalt, aber dennoch eine unverhoffte Bereicherung meines Besitzstandes darstellend, erfüllte mich mit dem Hauch von Stolz und Überlegenheit einer erwählten Persönlichkeit und einem gewissen Hochgefühl, aus dem heraus ich dem Wunsch des Verlages nachkam und das Überweisungsformular mit dem geforderten Betrag von € 8,90 (incl. MWSt.) ausfüllte. Ich hab‘s aber noch nicht zur Bank gebracht. Was meint Ihr? Soll ich das tun?
Aus dem Brief ging weiter hervor:
"Der Zusammenschluß der Mund- und Fußmalenden Künstler ist eine Selbsthilfeorganisation, die ausschließlich aus schwerbehinderten Künstlern besteht. Wir Künstler haben gelernt, mit dem Pinsel im Mund oder zwischen den Zehen zu malen, da uns durch Unfall, Krankheit oder von Geburt an er Gebrauch unserer Hände genommen ist.
Wir gehören als Mitglieder oder Stipendiaten der Vereinigung der Mund- und Fußmalenden Künstler an, die schon im Jahre 1956 von dem deutschen Mundmaler Arnulf Erich Stegmann gegründet wurde.
Ziel unserer Selbsthilfe ist es, den Lebensunterhalt mit dem Malen zu verdienen. Dies wird uns ermöglicht durch den Verkauf unserer Werke als Reproduktion auf Grußkarten, Kunstkalendern und sonstigen Artikeln.
Vom MFK-Verlag werden Ihnen diese kleinen Kunstwerke exklusiv auf dem Postweg angeboten. Durch den Kauf helfen Sie uns und würdigen unsere künstlerische Arbeit, was uns die Kraft und Selbstbestätigung gibt, um weiterzuarbeiten..."
Ohne Frage zolle ich der Bewältigung von Lebensumständen behinderter Menschen ...
[image]
... und der Arbeit von mund- und fußmalenden Künstlern größten Respekt. Sollten die Ausführungen zutreffen, ist das Anfertigen von Kunstwerken mit den Füßen ein Beweis für den großen Lebensmut dieser Menschen und für die weit unterschätzten Fähigkeiten der Füße. Ich wünsche den mund- und fußmalenden Künstlern viel Kraft und Erfolg für ihre Arbeit.
Habt Ihr bereits etwas über diese Organisation gehört (evtl. Künstler kennengelernt) und könnt die o.g. Angaben bestätigen?
Johannes


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