Durchs Verzascatal (Hobby? Barfuß! 2)
Wegen der Wärme hätte man im Juli nicht auf die Alpensüdseite reisen müssen... aber da war noch eine bald verfallene Postauto-Tageskarte, die meine Frau und mich bewogen, den Direttissima-Kurs nach Bellinzona zu besteigen. Wunderschön die Fahrt im klimatisierten Postbus..., allerdings, ein wenig Nervenkitzel bleibt: Erwischen wir den Anschluss in Bellinzona oder nicht. Der Chauffeur kann sich noch so viel Mühe geben, die Verkehrsregelung beim in Renovation befindlichen S. Bernardino-Tunnel spielt Zufall. Und so werden wir zuhinterst in eine Lastwagenkolonne eingereiht. Auch ein mutiges Ueberholmanöver ändert da nichts mehr: Am Schluss rennen wir auf den Anschlusszug nach Tenero und... geschafft! Wie der Wagenführer es fertig bringt, sein grosses Fahrzeug über die enge Strasse ins Verzascatal hinein zu manöverieren, ist ein Nervenkitzel anderer Art!
In Kürze ist man aus den Städten des Tessins in einem wilden Bergtal, ein Kulturschock der besondern Art. In Sonogno auf etwa 900 m Höhe beginnt unsere Wanderung. Der Wanderweg befindet sich stets auf der der Talstrasse gegenüberliegenden Flussseite. Er ist für den Barfüsser bestens geeignet (wenigstens zum allergrössten Teil): Steinplatten und sandige Abschnitte wechseln ab, gelegentlich weicht man ein wenig ins Gras aus, nur kurze Kiesabschnitte sind ein wenig unangenehm. Es ist heiss, aber dank des stetig wehenden Bergwindes erträglich. Und allenfalls kann man sich im Fluss abkühlen, wo es zwischen riesigen Steinen tiefe Wasserbecken hat. In der Nähe der Brücken tummelt sich viel Volk in und am Wasser. Wenn ich daran denke, dass Grosskraftwerke den Wasserstand des Flusses beeinflussen und dass irgend eine vom Menschen unbeeinflussbare Automatik die Wassermenge sehr rasch ansteigen lassen kann, kommt mir das Badevergnügen nicht ganz unbedenklich vor, vor allem dort, wo der Fluchtweg schwierig ist. Am Ende unserer Wanderung, bei Lavertezzo und der dortigen "Römerbrücke" gleicht der Flusslauf einem sehr bevölkerten Strandbad.
Es war herrlich im Verzascatal, vom landschaftlichen, aber auch vom barfüssigen Standpunkt aus betrachtet. Und am Schluss wartet die herrliche Fahrt mit dem Postbus über bzw. durch die Alpen. Wenn ich vom unteren Misox aus den gewaltigen Riegel betrachte, den wir heute in etwas mehr als zwei Stunden im bequemen Fahrzeug überwinden, dann begreife ich, dass frühere Reisende nur mit Schaudern an die Strapazen und Gefahren dachten, die ihrer warteten!