Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen! (Hobby? Barfuß! 2)

Barpfotenbaer ⌂, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 13:27 (vor 6629 Tagen)

SPIEGEL ONLINE - 31. Juli 2006, 10:16
URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,428775,00.html

Verstehen Sie Haas?

Schlappe für den Mann

Von Daniel Haas

Männer, so läuft das nicht! Flip-Flops, Latschen, Shorts und T-Shirts: Gefahr ist im Anzug, die Mode geht vor die Hunde. Eine Stil-Randale - ohne Sandale.

Früher kam das Unheil auf leisen Sohlen. Jetzt kommt es auf Sohlen, die flipflop machen. Ein Schuh, der seinen Namen aussprechen kann, hat Harry Rowohlt mal gesagt. Getragen von Männern, die Stil nicht buchstabieren können, möchte ich anmerken. Ein Mann, der Flip-Flops trägt, hat sein Recht auf gesellschaftliche Partizipation verwirkt. Soll er sich mit seinen Latschen unterhalten.

Eine Reihe Flip-Flops: Und drin stecken womöglich Männerfüße!
DPA
Eine Reihe Flip-Flops: Und drin stecken womöglich Männerfüße!
In Badeschlappen und Shorts zur Arbeit: "Sind Sie im Freibad angestellt?", möchte ich solche Leute fragen. "Und wird Ihr zwölfjähriger Sohn seine Hosen nicht vermissen?" Diesen Kleidungsstil infantil zu nennen, ist noch viel zu wohlwollend. Kinder haben ein feines Gespür für das Angemessene ihrer Garderobe - ich muss es wissen, schon als Halbwüchsiger habe ich mich erfolgreich gegen Turnschuhe und T-Shirts jenseits des Sportunterrichts gewehrt. Aber heute tragen 50-Jährige sogenannte Sneakers, während ihnen die Hüfthose um den erschlaffenden Hintern wackelt. Für mich, der bereits vor der ersten Pubertätsakne dem Dreiteiler auf Pausenhöfen zu stolzem (wenn auch einsamem) Renommee verhalf, ein unerträglicher Zustand.

Das mit Text bedruckte T-Shirt ist überhaupt der Gipfel. Was glauben diese Leute? Dass sie so langweilig sind, dass sie ihr Gegenüber vorsichtshalber mit Lektüre beschäftigen müssen? Oder fühlen sie sich hässlich und wollen von ihrem Gesicht ablenken? Neulich sah ich einen 40-Jährigen, auf dessen T-Shirt "Held der Arbeit" stand. Wieso darf jemand sowas tragen, wenn er sich noch nicht einmal die Arbeit macht, ein Hemd zu bügeln?

Mit den Hemden geht es sowieso bergab. Das Hawaii-Shirt zum Beispiel: Man hatte gehofft, es verschwindet als modische Entgleisung der Fünfziger im Orkus der Popkultur. Jetzt kehrt dieser Statthalter eines verdeckten Ethno-Romantizismus als ironisches Statement wieder zurück. Diese Hemden bringen mich auf die Palme, und zwar buchstäblich. Sie sind schlecht geschnitten, grell und werden bis zum Brustbein hinab aufgeknöpft getragen. Schlechter Stoff, hysterisches Design und dazwischen ein Krater welker Epidermis. Wenn ich einen nackten Männerbauch sehen wollte, habe ich mich bislang allein ins Badezimmer zurückgezogen.

Mit dem Kurzarm-Hemd wird die Sache auch nicht besser. Oft stehen die Ärmel wie kleine Flügel ab. Schwimmflügel denke ich dann immer, und der Impuls, den Betreffenden in ein öffentliches Gewässer zu stoßen, wird überwältigend.

Das Pendant sind die bereits erwähnten Shorts, zurzeit vorzugsweise im Army-Look, aus denen dürre, behaarte Beine wachsen. Der Terror der Intimität kennt keine Grenzen: Noch bevor ich den Namen einer Person erfahre, habe ich dank Hüfthose, Hawaiihemd und Shorts Hintern, Bauch und Oberschenkel kennengelernt.

Wer soweit geht, scheut sich auch nicht davor, ohne Socken im festen Schuh aufzutreten. Barfuß im Budapester: Bin ich degeneriert, wenn ich mir vorstelle, wie so ein muskulöser Männerfuß sich schwitzend ans Lederinlay schmiegt und mit ihm eine quasi chemische Verbindung eingeht, die hier zurückhaltend als olfaktorische Herausforderung bezeichnet werden soll? Und ist die sogenannte In-Shoe-Socke, jene Schwundform des einstmals stolzen Herrenstrumpfes, wirklich eine Alternative? Sich mit einer lächerlichen Frotteebandage aus der Sache mogeln: erbärmlich.

Das Schlimmste aber ist der Medienbimmsel. Als Medienbimmsel sei fortan der Schlüsselanhänger bezeichnet, dessen grotesk langes Band aus der Hosentasche hängt. Der Medienbimmsel ist das Lieblingsaccessoire männlicher Medienschaffender, er verziert Jeans, Shorts und was sonst noch in dieser Szene als Hose durchgeht. Was will er bedeuten? Wie funktioniert seine Semiotik? (Ich benutze hier bewusst ein Fremdwort, weil jetzt maximale Distinktion angesagt ist.) Ich glaube, der Medienbimmsel ist eine Schlinge, in der sich der moderne Mann, bildlich gesprochen, verfangen hat. Darin strauchelt er seinem modischen Untergang entgegen. Flipflop macht es dazu.

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Forum: Schlappe für den Mann - stillos oder angesagt?
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[image] Der da war's!

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

KaiL, Monday, 31.07.2006, 14:23 (vor 6629 Tagen) @ Barpfotenbaer

...selten so eine gequirlte Scheiße gelesen. Wobei es einige Herren gibt, die sich besser wirklich verstecken, weil sie ein grausamer Anblick sind. Nur: das ist auch die faltige Schreckschraube im Bikini im Park...

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

Detlev (MKK), Monday, 31.07.2006, 14:40 (vor 6629 Tagen) @ Barpfotenbaer

SPIEGEL ONLINE - 31. Juli 2006, 10:16
URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,428775,00.html

Der Artikel ist wohl zumindest teilweise satirisch gemeint. Allerdings scheinen Bekleidungskonventionen allgemein wieder mehr auf dem Vormarsch zu sein! Dazu muss man nur die steigende Zahl vorwiegend jüngerer Anzugträger anschauen!

Ich will ja jetzt nicht den Teufel an die Wand malen. Aber von Jahr zu Jahr sieht man weniger Erwachsene barfuß oder sonst nur leicht bekleidet auf den Straßen! Wenn der Trend sich fortsetzt, kriegt man vielleicht bald wirklich Probleme, wenn man sich so offensichtlich nicht anpasst!

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

Hippie, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 17:12 (vor 6629 Tagen) @ Detlev (MKK)

Hallo, Detlev!

Ich weiß nicht, von welcher Region du sprichst. Zumindest in Niedersachsen ist das nicht der Fall. Jedenfalls habe ich zwischen Springe und Hildesheim in den Zügen und Orten sehr viele sehr locker gekleidete Erwachsene gesehen. Auch jüngere. Dieser Anzugfetischismus geht mir irgendwie auf den Nerv. Nur, weil jemand auf jung und dynamisch und Juniorchef macht, muss er doch kein besserer Mensch sein oder gar Ahnung haben!
Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie jemand so etwas freiwillig macht. Wenn es demnächst zum guten Ton gehören sollte, Papiertüten über dem Gesicht zu tragen, werd ich denen hinten Schweinereien draufmalen (Achtung, das war Ironie!)

Aber ein Funke Wahrheit ist dran: Diejenigen, die am Biestigsten schauen, wenn man mal barfuß in einer Stadt unterwegs ist, sind die Anzugträger.

Der Hippie

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

bix, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 17:20 (vor 6629 Tagen) @ Hippie

Aber ein Funke Wahrheit ist dran: Diejenigen, die am Biestigsten schauen, wenn man mal barfuß in einer Stadt unterwegs ist, sind die Anzugträger.

Ich vermute immer: das ist der pure Neid...

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

Vesa Local @, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 18:03 (vor 6629 Tagen) @ bix

Hi!

"Schade": bix war schneller...

Viele Grüße
Vesa Local

Doppelleben zwischen Anzug und Barfuss :-)

Patrick KA @, Tuesday, 01.08.2006, 14:36 (vor 6628 Tagen) @ Vesa Local

Hallo zusammen,

nachdem jetzt die ganze Zeit auf den armen Anzugträgern rumgehauen wird, möchte ich auch mal meine "zwei Cent" zu diesem Thema beitragen:
Zuerst einmal bin ich seit langem begeisterter und im Studium auch ausdauerender Barfussläufer. Nun sind ja alle schönen Zeiten mal vorbei und man verändert sich ab und an beruflich.
Meine Situation ist derzeit, dass mein Arbeitgeber und die Arbeitsumgebung (Kunden etc.) das Tragen eines Anzugs erzwingen, da man als Unternehmen dem Kunden gegenüber eine bestimmte Aussage der Seriosität vermitteln will. Also ist der Anzug wohl oder übel Bestandteil meiner Berufsbekleidung, eigentlich nichts anderes als bei einem Metzger oder einem Clown (das passt bei Anzug vielleicht sogar besser :-) ) Stellt Euch mal den Zirkus vor, in welchem ein Clown in T-Shirt und Jeans auftritt, das wäre doch nur halb so komisch. Bei uns ist es ähnlich, der Kunde zahlt nun mal auch für die Show :-)

Also: Bitte verteufelt nicht alle Anzugträger sondern denkt daran, dass Euer Gegenüber in der Bahn vielleicht in der Freizeit begeistert barfuss läuft und nur so verbiestert schaut, weil er wieder Anzug tragen muss. Also nix mit "Junior-Chef" und/oder "Schnösel".

Viele Grüße,
Patrick

Doppelleben zwischen Anzug und Barfuss :-)

Vesa Local @, Stammposter, Wednesday, 02.08.2006, 07:35 (vor 6627 Tagen) @ Patrick KA

Hi, Patrick!

Wenn ich einen Anzug tragen muß und sehe dann jemanden barfuß laufen entlockt es mir stets ein freundliches Lächeln, weil ich gerne an meine Freizeitbekleidung denke.

Aber jede(r) reagiert nach außen anders.
Soll heißen: Bestimmt nicht jeder grummelig schauende Anzugträger wird in der Freizeit nicht gerne barfuß unterwegs sein.

Viele Grüße
Vesa Local

Doppelleben zwischen Anzug und Barfuss :-)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Thursday, 03.08.2006, 14:32 (vor 6626 Tagen) @ Vesa Local

"Wenn ich einen Anzug tragen muß und sehe dann jemanden barfuß laufen entlockt es mir stets ein freundliches Lächeln, weil ich gerne an meine Freizeitbekleidung denke.
Aber jede(r) reagiert nach außen anders.
Soll heißen: Bestimmt nicht jeder grummelig schauende Anzugträger wird in der Freizeit nicht gerne barfuß unterwegs sein."

Hallo Vesa Local,

da hast Du sicher recht. Eigentlich kann man gar nichts sagen über einen Menschen, den man nur flüchtig begegnet. Sicher gibt es Spießer, die sich beim Anblick eines Barfüßers irritiert sind und glauben, der Barfüßer wäre schlecht.

Aber genauso muß man sich als Barfüßer hüten, einer Person im Anzug skeptisch gegenüber zu stehen. Man weiß ja nicht, ob diese Person den Anzug freiwillig trägt oder unter (z.B. beruflichem) Zwang. Und selbst wenn einer freiwillig bei 30°C im Schatten in der Freizeit im besten Anzug und mit fettem Schuhwerk unterwegs ist, dann ist es für mich noch lange kein Grund, etwas gegen die Person zu haben. Erst wenn sie beginnt, an meiner Aufmachung etwas rumzumäkeln oder sonst wie versucht, mir deswegen Schaden zuzufügen, dann kann ich böse werden.

Wenn einer im Anzug grummelig dreinschaut, dann kann es ja die unterschiedlichsten Gründe haben. Verdächtig wird es aber, wenn er unter "seinesgleichen" ist und irgendwie zufrieden, dann aber beim Anblick eines Barfüßers die Miene verzieht.

Wenn ich selber in Dienstkleidung die Firma verlasse, z.B. in der Mittagspause zum Einkaufen, dann ärgere ich mich zwar, daß ich erst in einigen Stunden Feierabend habe und dann alles in die Ecke pfeffern kann, während andere schon jetzt an keine Anzugsordnung gebunden sind. Aber ich würde die Wut nicht an den anderen ablassen.

Sehr ungehalten kann ich allerdings werden, wenn ich nach Feierabend schnell nach Hause will, um mich dort von Schuhen und anderem einengenden Scheiß zu befreien, und jemand versucht, das hinauszuzögern, egal ob bewußt oder unbewußt.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

Wenn er wüßte, was "barfuß" ist, hätte er gewiß etwas dagegen!

KaiL, Monday, 31.07.2006, 17:55 (vor 6629 Tagen) @ Detlev (MKK)

Dazu muss man nur die steigende Zahl vorwiegend jüngerer Anzugträger anschauen!

auf offener Straße habe ich hier in Lüneburg (trotz im Endeffekt 2 BWL-Studiengängen) noch keine Anzugträger in nennenswerter Anzahl gesehen.

Aber von Jahr zu Jahr sieht man weniger Erwachsene barfuß oder sonst nur leicht bekleidet auf den Straßen!

was? Also in den letzten Wochen gab es eigentlich täglich irgendwo 1-2 Barfüssige zu sehen. Letztes Jahr konnte ich mich da an keinen einzigen errinnern. Und Leute, MIT Socken gab es dieser Tage sowieso 0.

Sprachlich eine gute Leistung, inhaltlich.... 8 - (

Bernd (Wiesbaden), Stammposter, Monday, 31.07.2006, 15:15 (vor 6629 Tagen) @ Barpfotenbaer

Interessant zu lesen, süffisant im Ausdruck. Trotz der barfußfeindlichen Grundaussage musste ich spätestens lächeln, als ich vom stinkenden, schwitzenden nackten Männerfuß in Lederhalbschuhen las, erlebe ich doch immer wieder jene überstylte Typen, die nach einem heißen Tag im Büro ihre supereng geschnittenen Lederschuhe in der Bahn ausziehen und ihre schweißnassen, wundgescheuerten, bestialisch stinkenden Zehen mit schmerzverzerrter Mine neben meiner bzw. unter meiner Nase massieren, in der Annahme, dass mir der Duft nichts ausmacht. Rote, wunde Haut, brüchige, gelblich schimmernde, degenerierte Fußnägel... Das muss nicht sein.

Ich würde den Verfasser gern fragen, ob er noch nichts von schicken Männersandalen bzw. hochwertigen Leder-Flip-Flops gehört hat, welche die Ästhetik eines schönen Fußes durchaus zu unterstreichen vermögen. Schließlich ist es keine (Stil-) Frage der Dreiviertelhose, des Magnum-Hemdes oder gar des offenen Herrenschuhs, sondern eine grundlegende Frage
des Geschmacks bzw. der grundlegenden Fertigkeit, die Divergenz Selbstbild-Fremdbild realistisch einschätzen zu können. Wer einen Blick fürs Realistische hat, dem bleibt der Blick auf Stil-Ikonen erspart. Wer einen sicheren Geschmack hat, kann auch gern auf die eine oder andere Kolumne verzichten.

Fußgruß
Bernd

SPIEGEL ONLINE - 31. Juli 2006, 10:16
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Schlappe für den Mann
Von Daniel Haas
Männer, so läuft das nicht! Flip-Flops, Latschen, Shorts und T-Shirts: Gefahr ist im Anzug, die Mode geht vor die Hunde. Eine Stil-Randale - ohne Sandale.
Früher kam das Unheil auf leisen Sohlen. Jetzt kommt es auf Sohlen, die flipflop machen. Ein Schuh, der seinen Namen aussprechen kann, hat Harry Rowohlt mal gesagt. Getragen von Männern, die Stil nicht buchstabieren können, möchte ich anmerken. Ein Mann, der Flip-Flops trägt, hat sein Recht auf gesellschaftliche Partizipation verwirkt. Soll er sich mit seinen Latschen unterhalten.
Eine Reihe Flip-Flops: Und drin stecken womöglich Männerfüße!
DPA
Eine Reihe Flip-Flops: Und drin stecken womöglich Männerfüße!
In Badeschlappen und Shorts zur Arbeit: "Sind Sie im Freibad angestellt?", möchte ich solche Leute fragen. "Und wird Ihr zwölfjähriger Sohn seine Hosen nicht vermissen?" Diesen Kleidungsstil infantil zu nennen, ist noch viel zu wohlwollend. Kinder haben ein feines Gespür für das Angemessene ihrer Garderobe - ich muss es wissen, schon als Halbwüchsiger habe ich mich erfolgreich gegen Turnschuhe und T-Shirts jenseits des Sportunterrichts gewehrt. Aber heute tragen 50-Jährige sogenannte Sneakers, während ihnen die Hüfthose um den erschlaffenden Hintern wackelt. Für mich, der bereits vor der ersten Pubertätsakne dem Dreiteiler auf Pausenhöfen zu stolzem (wenn auch einsamem) Renommee verhalf, ein unerträglicher Zustand.
Das mit Text bedruckte T-Shirt ist überhaupt der Gipfel. Was glauben diese Leute? Dass sie so langweilig sind, dass sie ihr Gegenüber vorsichtshalber mit Lektüre beschäftigen müssen? Oder fühlen sie sich hässlich und wollen von ihrem Gesicht ablenken? Neulich sah ich einen 40-Jährigen, auf dessen T-Shirt "Held der Arbeit" stand. Wieso darf jemand sowas tragen, wenn er sich noch nicht einmal die Arbeit macht, ein Hemd zu bügeln?
Mit den Hemden geht es sowieso bergab. Das Hawaii-Shirt zum Beispiel: Man hatte gehofft, es verschwindet als modische Entgleisung der Fünfziger im Orkus der Popkultur. Jetzt kehrt dieser Statthalter eines verdeckten Ethno-Romantizismus als ironisches Statement wieder zurück. Diese Hemden bringen mich auf die Palme, und zwar buchstäblich. Sie sind schlecht geschnitten, grell und werden bis zum Brustbein hinab aufgeknöpft getragen. Schlechter Stoff, hysterisches Design und dazwischen ein Krater welker Epidermis. Wenn ich einen nackten Männerbauch sehen wollte, habe ich mich bislang allein ins Badezimmer zurückgezogen.
Mit dem Kurzarm-Hemd wird die Sache auch nicht besser. Oft stehen die Ärmel wie kleine Flügel ab. Schwimmflügel denke ich dann immer, und der Impuls, den Betreffenden in ein öffentliches Gewässer zu stoßen, wird überwältigend.
Das Pendant sind die bereits erwähnten Shorts, zurzeit vorzugsweise im Army-Look, aus denen dürre, behaarte Beine wachsen. Der Terror der Intimität kennt keine Grenzen: Noch bevor ich den Namen einer Person erfahre, habe ich dank Hüfthose, Hawaiihemd und Shorts Hintern, Bauch und Oberschenkel kennengelernt.
Wer soweit geht, scheut sich auch nicht davor, ohne Socken im festen Schuh aufzutreten. Barfuß im Budapester: Bin ich degeneriert, wenn ich mir vorstelle, wie so ein muskulöser Männerfuß sich schwitzend ans Lederinlay schmiegt und mit ihm eine quasi chemische Verbindung eingeht, die hier zurückhaltend als olfaktorische Herausforderung bezeichnet werden soll? Und ist die sogenannte In-Shoe-Socke, jene Schwundform des einstmals stolzen Herrenstrumpfes, wirklich eine Alternative? Sich mit einer lächerlichen Frotteebandage aus der Sache mogeln: erbärmlich.
Das Schlimmste aber ist der Medienbimmsel. Als Medienbimmsel sei fortan der Schlüsselanhänger bezeichnet, dessen grotesk langes Band aus der Hosentasche hängt. Der Medienbimmsel ist das Lieblingsaccessoire männlicher Medienschaffender, er verziert Jeans, Shorts und was sonst noch in dieser Szene als Hose durchgeht. Was will er bedeuten? Wie funktioniert seine Semiotik? (Ich benutze hier bewusst ein Fremdwort, weil jetzt maximale Distinktion angesagt ist.) Ich glaube, der Medienbimmsel ist eine Schlinge, in der sich der moderne Mann, bildlich gesprochen, verfangen hat. Darin strauchelt er seinem modischen Untergang entgegen. Flipflop macht es dazu.

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Sprachlich eine gute Leistung, inhaltlich.... 8 - (

Hippie, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 17:05 (vor 6629 Tagen) @ Bernd (Wiesbaden)

Hallo!

Ich stimme dir zu, aber der Kerl ist wohl einer dieser Yuppieschnösel, die laut in der U-Bahn telefonieren, ständig ihren Knierechner vulgo Laptop mit sich herumtragen und sich für etwas besseres halten, weil sie scih dazu zwingen, unpraktische langweilige Sachen zu tragen und anderen den Spaß verderben wollen.
Ich weiß nicht, ob Designfaschismus oder Modetaliban gemeiner ist in dem Fall, aber mir fällt leider nichts Böseres ein. Das sind dann nämlich die Leute, die andere allein nach dem Äußeren beurteilen. Die dann statt des Barfüßigen oder des Freaks mit FlipFlops und wirren Haaren den Anzugschnösel nehmen, wenn in der Firma ein Computerproblem auftritt - und prompt einen millionenverlust einfahren.

Wer hoch steigt, kann tief fallen. Hat der Chinese Konfuzius mal gesagt.

Der Hippie

Sommerloch

malo, Stammposter, Monday, 31.07.2006, 19:05 (vor 6629 Tagen) @ Barpfotenbaer

Hallo,

habe dem Sommerloch-Autor eine email geschickt.

Freundlich und nett. Etwas anstachelnd ;-)

Gruß,
malo

Sommerloch

Bernd (Wiesbaden), Stammposter, Monday, 31.07.2006, 20:58 (vor 6629 Tagen) @ malo

Wie ist denn der Inhalt deiner Mail?

Gruß
Bernd

Hallo,
habe dem Sommerloch-Autor eine email geschickt.
Freundlich und nett. Etwas anstachelnd ;-)
Gruß,
malo

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