Früh am Morgen geht es sich am leichtesten (Hobby? Barfuß! 2)

Walter (CH) ⌂ @, Stammposter, Thursday, 29.06.2006, 15:57 (vor 6727 Tagen)

Um 4.00 Uhr starte ich mein Fahrzeug und fahre in die nahe Stadt hinunter. Es hat jede Menge junger Leute auf der Strasse, offensichtlich hat die Nationalmannschaft an der Fussball-WM einen Sieg errungen (oder eine Niederlage erlitten? Für ein Besäufnis ist jeder Anlass recht...). Nun, was immer der Grund für den Auflauf ist, ich suche vorsichtig meinen Weg durch die Menge und fahre Richtung Schanfigg. Fussbekleidung, auch als Notreserve, brauche ich nicht, der vor mir liegende Weg ist mir wohlbekannt. Noch deutet sich der Tag erst als leichter Schimmer am Horizont an. Calfreisen, ein kleines Bergdorf auf rund 1200 m Höhe, liegt oberhalb der Talstrasse. Dort parkiere ich, ergreife meine Stöcke und schnalle die Tasche mit Fotoapparat, Telefon und, für den Fall, dass es auf dem Gipfel wirklich kalt wäre, mit einem T-Shirt um. Einige Meter sind noch auf einer geteerten Dorfstrasse zurückzulegen und dann beginnt der angenehme Fussweg, der über Wiesen und Weiden rasch höher führt. Es ist immer noch dunkel und ich ahne den Weg mehr als ich ihn sehe. Die Füsse sind treffliche Tastinstrumente! Weiter oben treffe ich auf ein steiniges Alpsträsschen, das mir aber keine besonderen Beschwerden verursacht. Gelegentlich ist ein elektrischer Zaun zu öffnen. Zum Glück sind diese Hindernisse immer noch am gleichen Ort wie in früheren Jahren. Die Dämmerung hat nun eingesetzt und die Bergkonturen im Osten zeichnen sich scharf gegen den Himmel ab. Im Westen dagegen verhüllt Restbewölkung oder Nebel vom gestrigen Abend den mächtigen Klotz des Calanda. Nun erreiche ich eine Kuppe auf ungefähr 2000 m Höhe, wo die letzten Hüttchen stehen. Von hier weg ist der Weg weniger gut, er hat eine eklige Querneigung und ist schiefrig-rutschig. Nun, ein Sturz wäre zwar nicht angenehm, aber auch nicht besonders gefährlich. Bald erreiche ich aber den grasigen Grat und von hier weg geht es nun immer auf und ab der Gratkante entlang. Auf der einen Seite begleiten mich steile Grashänge, auf der andern Seite fast unheimliche, felsige Abstürze. In diesen Felsen drin sieht man häufig Steinböcke. Heute scheinen sie sich aber woanders aufzuhalten. Ein Blick zurück zeigt mir, dass der Sonnenaufgang unmittelbar bevorsteht. Es ist unterdessen 6.00 geworden. Eine Viertelstunde später erklimme ich den letzten Hang auf den Montalingipfel, der mit mit seinen 2266 m stolz über der rätischen Hauptstadt thront. Hierhin kommt man auch auf einem blau-weiss markierten Alpinweg von Chur oder Maladers. Rasch trage ich mich ins Gipfelbuch ein und mache mich gleich wieder auf den Abstieg, denn hier oben weht ein kalter Wind und mein T-Shirt mag ich nicht anziehen. Für den Abstieg wähle ich den kürzeren Weg über die steilen Grashänge Richtung Südosten. Zuoberst hat es noch einige Schneereste. Die Sonne ist wieder hinter den Bergen verschwunden. Ich werde heute einen zweiten Sonnenaufgang erleben. Die Wegspur ist steil und grasig, und, wenn man nicht auf dem Allerwertesten landen will, ist man genötigt, seine Schritte vorsichtig zu lenken. Bald habe ich 250 Höhenmeter verloren und passiere das verschlossene Hüttchen des eifrigen Montalinbesuchers Arno, der heute anscheinend irgendwo anders in den Bergen weilt. Nach einer weiteren Viertelstunde erreiche ich meinen Aufstiegsweg wieder und strebe nun dem Dorf zu. Unterdessen rechtfertigen weidende Rinder und Kälber die elektrischen Zäune und schliesslich, wenig oberhalb von Calfreisen, begegnen mir die ersten korrekt mit Bergschuhen, langen Hosen und karierten Hemden ausgerüsteten Berggänger, die den bereits von oben herunterhüpfenden und nur ein Kleidungsstück tragenden Barfussgänger etwas erstaunt betrachten, aber den morgendlichen Gruss immerhin freundlich erwidern. In Calfreisen hat sich in der Zwischenzeit nicht viel getan. Der Ball, der um halb fünf auf der Strasse lag, liegt auch jetzt, um halb acht Uhr, noch dort. In den Ställen allerdings geht man seiner Arbeit nach und die Fenster der Häuser sind weit geöffnet. In der Stadt unten sind die Siegesfeiern unterdessen zu Ende gegangen und die ersten Frühaufsteher (es ist Samstagmorgen) geniessen den freien Tag. Und ich bin eben rechtzeitig für Morgenessen und für die Öffnung des Freibades, um mich mit zwei Kilometern im Wasser nach der morgendlichen Wanderung ein wenig zu lockern. Beim Schwimmen bin ich wenigstens nicht der einzige Barfüsser!

[image] Am frühen Morgen von Calfreisen auf den Montalin


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