In Shorts und barfuss war man beim Umsteigen im winterlichen Samedan heute morgen eher fehl am Platz. Auch der wolkenverhüllte Berninapass sah nicht unbedingt vielversprechend aus. Soll ich in Poschiavo gleich den nächsten Zug in den ebenfalls kalten Norden zurück nehmen? Nun, in Poschiavo wehte zwar ein scharfer Nordwind, aber es war doch einiges wärmer als auf 2000 m. Da der Weg Richtung Berninapasshöhe einigermassen der Berninabahn folgt, wäre man ja allenfalls nicht gezwungen, bis auf 2253 m zu steigen. Riskieren wir also den Marsch trotz mangelhafter Bekleidung!
Der gut markierte Weg führt durch Wald und Weiden, über Maiensässe, gelegentlich die Bahnlinie kreuzend zum Hochtal von Cavaglia (1703 m). Der Blick weitet sich immer mehr, bis dann die enge Schlucht unmittelbar vor Cavaglia die Aussicht talwärts schliesst. Von Cavaglia weg ist ein neuer Weg markiert worden, der vom Kraftwerk Cavaglia zum Kraftwerk Palü als "Stromlehrpfad" führt. Von dort sind es nur noch wenige Minuten zur Station Alp Grüm, einem bekannten Aussichtspunkt auf einen nun allerdings arg geschrumpften Gletscher. Es ist nun deutlicher kühler geworden. Dennoch entschliesse ich mich zur Fortsetzung der Wanderung bis zur Passhöhe. Ueber den Pass hinweg fegt ein eisiger Nordwind, und ich bin froh, wenigstens den Oberkörper gut eingepackt zu haben. An einigen Stellen bin ich gezwungen, kleine Schneeflächen zu überqueren oder auch zu umgehen. Zum Glück erreicht der Zug Richtung Norden nur wenige Minuten nach mir Ospizio Bernina, so kann ich mich im wohlgeheizten Abteil aufwärmen lassen.

Wohlweislich habe ich die Route aufwärts begangen (üblich ist die Wanderung in umgekehrter Richtung, entweder mit dem Ziel Poschiavo, oder, auf dem "Sentiero panoramico" nach Le Prese). Viele Abschnitte sind steinig/kiesig und solche Strecken lassen sich barfuss besser aufwärts gehen.

Eine sehr empfehlenswerte Wanderung, sowohl für den Naturliebhaber als auch für den Eisenbahnamateur (Bernina-Linie der Rhätischen Bahn)! Achtung! Im Puschlav kommen die Vipern recht häufig vor. Also beim Barfusslaufen immer ein wenig vorausschauen und sich allenfalls mit Stöcken bemerkbar machen. Vipern fliehen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu lässt! Beim herrschenden kalten Wetter ziehen es natürlich auch die Vipern vor, in einem warmen Unterschlupf zu bleiben.

Poschiavo (1014 m) - Ospizio Bernina (2253 m)