Barfuß in vollen Zügen genossen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 15.05.2006, 13:26 (vor 6772 Tagen)

Samstag, 13.5.2006, 12.50 Uhr: Ich wartete an der Haltestelle "Université" in Mülhausen. Ein Tram der Linie 2 rollte ohne Fahrgäste in Richtung Endstation "Coteaux". Wenn dieser Zug zurückrollt, würde er mich verschlingen, und mit mir all die Leute, die an der Haltestelle warteten. Es war ca. 20°C und sonnig, so daß viele Leute relativ sommerlich gekleidet waren. Aber ich war der einzige, der barfuß auf die Bahn wartete. Da viele der Leute sich in erster Linie für das neue Tram interessieren, sind nackte Füße wohl weniger interessant.

Als die Bahn kam, klatschten einige Leute. Wenige Fahrgäste, die bereits maximal 4 Stunden früher eingestiegen waren, saßen bereits im Zug. Überall wurde fotografiert, unter anderen befand sich auch ein Kamerateam im Zug, das während der Fahrt filmte.

Ob ich der erste Fahrgast war, der ein neue Mülhausener Straßenbahn barfuß benutzte? Oder ist etwa Luc noch ein paar Minuten früher in ein anderes Fahrzeug barfuß eingestiegen? War ich vielleicht sogar der erste Mensch überhaupt, der barfuß ein Mülhausener Tram betreten hat. Oder hat sich vielleicht einer der Konstrukteure in einer "unbeobachteten Minute" sich seiner Schuhe entledigt, um den angenehmen Belag unter den Füßen zu spüren. Wann ist der letzte Mensch vor mir barfuß in Mülhausen Straßenbahn gefahren. Es ist Jahrzehnte her, daß zum letzten Mal eine Straßenbahn fuhr. Damals war barfuß noch ein Zeichen für Armut. Und wer arm war, konnte sich kein Trambillet erlauben. Fuhren vielleicht Kinder barfuß im Tram?

An jeder Haltestelle kamen neue Fahrgäste, die ersten mußten stehen. Kinder, die zustiegen, sahen erstaunt auf meine Füße, obwohl nicht wenige selber nur Sandalen ohne Socken trugen. Ich fuhr bis zur Endstation "Noveau Bassin", wo bereits ein Gegenzug in der "Spitzkehre" wartete. Als ich auf die Rasenfläche zwischen den Gleisen ging, um zu fotografieren, schauten mich einige an. Wäre wohl auch passiert, wenn ich das mit langen Hosen und Schuhen gemacht hätte. Der Rasen war herrlich barfuß zu begehen, bester Liegewiesencharakter, eigentlich zu schade, daß das nur Straßenbahnen fahren. Wie der Rasen wohl aussieht, wenn erst mal tagaus tagsein Bahnen fahren? Voll von Abfällen? Verfärbt durch Bremsstaub? Falls dort Kot liegen sollte, dann sicher von Hunden, nicht aus den Zugtoiletten (Mülhausener Straßenbahnen haben keine Toiletten). Bei der Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß in Mülhausen Hundehaufen in Grünanlagen häufiger sind als etwa in Basel oder Zürich, aber seltener als in Dresden.

Am "Porte Jeune" (hier befindet sich übrigens ein markantes Hochhaus mit einem Kunstwerk an der Außenwand, das nur barfüßige Personen zeigt, stieg ich in die Linie 1, um zur westlichen Endhaltestelle "Rattachement" zu fahren, hier war ein Umsteigen nicht nötig, da der Zug nicht die "Spitzkehre" befuhr, sondern vom selben Bahnsteig wieder in die Gegenrichtung. Hier bestieg auch eine junge Mutter mit einem Mädchen in der Kinderkarre den Wagen. Das Mädchen, bekleidet mit Wollpullover, langen Jeans und Sandalen ohne Socken, starrte immer auf meine Füße, dann mir ins Gesicht, wieder auf meine Füße. Die Mutter bekam es mit und lächelte. Als dann das Mädchen versuchte, an einer Sandale herumzuhantieren, sagte die Mutter: "Non!" Das Gedränge im Tram wurde immer größer. Das Mädchen versuchte, mit den Händen nach meinen Beinen (wegen der Behaarung?) zu greifen, die Arme waren aber nicht lang genug, dann versuchte es ähnliches mit den Sandalenfüßen, was auch gelang, bis die Mutter die Karre ein Stück zurückschob. Trotz des Gedränges trat mir während des gesamten Tages kein einiger Fahrgast auf die Füße, auch blieb mir es erspart, die Räder von Kinderwagen und Rollstühlen auf den Zehen zu spüren.

Am Hauptbahnhof, wo sich die einzige Wendeschleife befindet (keine "Spitzkehre"), stieg ich aus, durchschritt den nahen Park (wo ich keinen barfuß sah, obwohl dort "leere" Schuhe herumstanden. Hier spielte Musik, war eine Tanzfläche und marschierten übermannsgroße Puppen. Ich ging zur Altstadt, wo ein Karussell neben der Kirche war. Einige starrten auf meine Füße, obwohl es warm war. Auch patrouillierten viele Stadtpolizisten, aber keiner sagte was zu mir. Ich war halt außerhalb der Schweiz und speziell Zofingen. An der Haltestelle "Porte Haute" benutzte ich den "Zweier", der mich nach "Coteaux" brachte. Beim Vorbeifahren sah ich zwei Mädchen, die vor einem Haus spielten, beide sommerlich gekleidet, das eine mit Flipflops, das andere barfuß.

Von der Endhaltestelle "Coteaux" wanderte ich barfuß auf dem parallel zu den Gleisen angelegten Radweg aus glattem Asphalt. An der Universität wollte ich wieder einsteigen. Als ich von hinten ein Tram feststellte, fing ich an zu rennen. Das Tram überholte mich langsam, die Fahrgäste starrten nach unten, ich erreichte es noch an der Haltestelle. Dieser Zug war gerammelt voll, so daß ich nur einen Stehplatz an der Tür bekam. Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete und andere einsteigen wollten, sahen die Leute mich. Bei vielen kleinen Kindern habe ich beobachtet, daß sie fassungslos auf meine Füße zeigten. An den Haltestellen standen auch Leute (meist junge Frauen), die Prospekte verteilten, einige dieser Prospekteausgeber lächelten freundlich, nie gab es böse Worte.

An der Haltestelle "Mairie" mußten alle den Zug verlassen. Grund: Der Tramverkehr kam zum Erliegen, weil mehrere Hochzeitsgesellschaften mit Autos hupend durch die Stadt fuhren. Einige der Leute schrieen laut, als sie mich barfuß über das Pflaster gehen sahen. Sicher 20 Minuten fuhr kein einziges Tram. Dann fuhr ich mit dem "Einer" zur Haltestelle "Doller", wo ich noch die Brücke über die Eisenbahn fotografierte. Zur Haltestelle "Parc Expo", wo sich auch das Tramdepot befindet, ging ich zu Fuß. Auf einem Sportplatz lungerten 3 Jugendliche, denen ich allein aufgrund des Aussehens des Nachts nicht alleine begegnen möchte. Einer drehte sich um, sagte etwas auf französisch, was eventuell "nackte Füße" übersetzt heißt. Der Ton war unsympathisch. Als ich weiter ging, warfen sie Steine hinter mir her. Sie liefen allerdings nicht hinter mir her, vermutlich weil sich zufällig eine Gruppe von Männern auf dem Weg in deren Richtung bewegte.

Das Tram brachte mich zum Hauptbahnhof, wo ich wieder ausstieg, um mich im Park niederzulassen, um was zu essen. Mittlerweile war es nach 18 Uhr, bis zum Spektakel um 22 Uhr war noch Zeit. Und was dann kam, bietet genug für ein weiteres Kapitel.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

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