Eine erstaunliche Parallele zwischen Kriminalroman und Wirklichkeit (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 16.01.2006, 11:35 (vor 6826 Tagen)

Wer jetzt im Januar am Freitag zwischen 20 und 21 Uhr Schweizer Radio DRS 1 hört, der kann sich am vierteiligen Kriminalhörspiel "Hunkeler macht Sachen" erfreuen. Zwei Teile sind mittlerweile gelaufen. Den Buchautor Hansjörg Schneider (und natürlich auch den Bearbeitern der Radioversion) ist es hervorragend gelungen, den Basler Alltag auf plastische Weise darzustellen. Wer Basel auch nur einigermaßen kennt, der kann die detaillierten Ich fühlte mich beim Zuhören sehr stark an meine barfüßige Reise am Heiligabend nach Basel erinnert.

Hauptperson in dieser Geschichte (und in anderen Krimis von Schneider) ist der kurz vor der Pensionierung stehende Kommissär (mit "ä", nicht mit "a") Peter Hunkeler, der auf seine eigenwillige Art versucht, in der Stadt Basel für Gerechtigkeit zu sorgen. Ob Hunkeler gerne barfuß läuft, kann ich nicht sagen, zumindest schwimmt er gerne im Rhein, und das vermutlich nicht mit Schuhen. Wie wir Barfüßer in einer von Schuhträgern kontrollierten Welt, so ist auch Hunkeler ein Sonderling im Polizeiwesen, unbeliebt bei seinen Kollegen und bei seinem Chef, dem aalglatten und karrieregeilen Staatsanwalt Suter, für den Hunkeler ein in einem Aargauer Dorf aufgewachsener Provinzler ist, worauf Hunkeler ihn verbessert, er sei in "einem Städtchen im Aargau" aufgewachsen.

Obwohl in einer "kriminellen" Großstadt lebend, noch dazu als Polizist, so ist Hunkeler doch natürlich geblieben. Er hat Verständnis für das einfache Volk, auch wenn manche aus Not mal vom Weg der Tugend abweichen. Ihm sind Obdachlose, Eckensteher, Asphaltspucker sympathischer als schwerreiche Supermanager vom Typ Ackermann. Ich bin davon überzeugt, daß er auch für Leute Verständnis hätte, die barfuß durch die Stadt gehen.

Wie anders doch die anderen Polizisten, etwa "Madörin" oder "Lüdi". Es braucht nur irgendein Verbrechen in Basel zu geschehen, und schon "wissen" die, daß nur die Täter im Umkreis der von "Ausländern kontrollierte Verbrecher- und Drogenszene" zu suchen sind. Vermutlich würde solche engstirnigen Polizisten, die quasi "den Täter schon kennen, lange bevor ein Verbrechen geschieht" auch in einem Barfüßer einen "potentiellen Kriminellen" sehen. Vielleicht wird irgendwann Hansjörg Schneider einen neuen "Hunkeler-Krimi" schreiben, in dem ein Barfüßer an der Haltestelle "Burgfelderplatz" den "Dreier" (für Nichtbasler: Straßenbahnlinie 3 von Burgfelden Grenze nach Birsfelden Hard) verläßt und prompt von Madörin und Lüdi eingesperrt wird wegen werweißnichtwas. Und am Ende würde Hunkeler die Unschuld des Barfüßers beweisen. Aber soweit sind wir noch nicht. Im gegenwärtigen Krimi benutzt nur Hunkeler selber den "Dreier", um am Burgfelderplatz einzusteigen und am Barfüßerplatz wieder auszusteigen, an einem nebligen und kalten Novembertag, mit Mütze, langen Hosen und Schuhen. Und im wirklichen Leben tat ich das an einem bewölktem und nicht allzu kalten Heiligabend, ohne Mütze, in kurzen Hosen und barfuß.

Zur Erinnerung: Es war auch ein "Dreier", als ich nach dem Düsseldorfer Barfußtreffen in Karlsruhe von der Polizei aus der Straßenbahn geholt wurde.

Eine weitere Parallele: Im Krimi wurde im "Allschwiler Weiher" eine Leiche gefunden. Und in Allschwil begegnet Hunkeler einem Kantonspolizisten, der nichts besseres zu tun hat, als das Lager von fahrendem Volk zu beobachten. Ein Mädchen, das einen Apfel ißt, wird vom "Landjäger" wie folgt kommentiert: "Ich bin davon überzeugt, daß diese kleine Zigeunerhexe den Apfel im Laden gestohlen hat, ich kann es aber nicht beweisen." Welche Vorurteile hat bloß dieser Kantonspolizist gegenüber fahrendem Volk (das in früheren Zeiten, teils aus Armut häufiger barfuß war als die seßhafte Stadtbevölkerung). Sicher hat sich der Krimiautor diese Geschichte nicht völlig aus der Luft gegriffen, eine Spur Wahrheit ist sicher dabei. Vielleicht gibt oder gab es in Allschwil tatsächlich zumindest zeitweise ein Lager für Nichtseßhafte. Der große Rasenplatz zwischen Dorfbach und besiedeltem Gebiet, über den ich barfuß lief, würde sich dazu anbieten. Kinder, die mich dort ansprachen, ob es nicht zu kalt war, taten das nicht auf Schweizerdeutsch, sondern auf Hochdeutsch mit einem gewissen Akzent. Vielleicht hat die spießige Bevölkerung in Allschwil mal Ärger mit fahrendem Volk gehabt, sei es wirklichen Ärger, sei es nur aufgrund von Vorurteilen. Vielleicht glaubten Leute, die mich in Allschwil sahen, ich wäre aufgrund meiner Barfüßigkeit ein "Zigeuner", von dem ernsthafte Gefahr ausging. Wurde deswegen die Polizei alarmiert?

Auch die Vorgehensweise der "Schroter" (auch ein im Hunkeler-Krimi gebrauchter Ausdruck für Polizisten, der aus einer Zeit stammt, als die Polizei noch mit Schrot auf "Zigeuner" schoß, um sie aus der Stadt zu vertreiben), sich im Schutze einer Hecke an mich heranzupirschen, sprach dafür, daß sie mich nicht für einen Menschen hielten, der nur aus Spaß barfuß lief und auch ansonsten geringfügig weniger winterlich gekleidet war als die fett beschuhte Mehrheit. Zum Einsatz von Schrot kam es bekanntlich nicht.

Noch etwas zum Schriftsteller Hansjörg Schneider: Er wurde 1938 in Aarau geboren und wuchs in Zofingen als Sohn eines Lehrers auf. Gemäß verschiedener Zeitungsanzeigen verlieh er dem Kommissär Hunkeler sehr viele eigene Charakterzüge. Die "verkehrte Welt", die der Autor in er Realität vorfindet, findet auch sein Hunkeler vor, und zwar in geballter Form. Ob die Zofinger Polizei für den Autor Vorbild war für die "anderen" Polizisten in den Hunkeler-Krimis: stur, intolerant, von unhaltbaren Vorurteilen geprägt? Sich gegen andere Polizisten durchzusetzen ist für Hunkeler fast eine Kampf gegen Windmühlen. Ob auch Schneider Probleme mit der Zofinger Polizei hatte wie jeder "schräge Vogel"? Wurde vielleicht auch er von der Zofinger Polizei schikaniert für Dinge, die nicht verboten sind, jedoch eher unüblich? Etwa auch aufgrund von Denunziationen irgendwelcher Spießer, wie es in Kleinstädten nicht so selten ist?

Wie man sieht, gibt es etliche Parallelen zwischen eigenbrötlerischen Kommissären in Kriminalromanen und Barfüßern in einer von einer fett beschuhten Mehrheit kontrollierten Welt. Und das nicht nur in Basel oder Zofingen, sondern überall. Aber so wie Hunkeler am Ende doch den wahren Täter finden wird, so werden auch wir Barfüßer irgendwann doch einmal mehr toleriert als bisher. Ich bin schon gespannt auf die nächste Hörspielfolge mit Kommissär Hunkeler, nächsten Freitag nach den 20-Uhr-Nachtrichten auf Schweizer Radio DRS 1.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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