Stille Nacht, heilige Nacht! (Hobby? Barfuß! 2)
Heiligabend 2005: Von der Tram-Endstation Birsfelden Hard wanderte ich barfuß in der Dunkelheit durch einige Seitengassen. Mir begegneten Familien, teils mit Kindern, teils mit alten Leuten. Alle festlich und ohne Ausnahme "geringfügig winterlicher" gekleidet als ich. Einige trugen auch Kerzen. Die Straßen waren zwar nur spärlich beleuchtet, aber ein Mädchen mit einer Kerze bemerkte doch, daß sich zwischen meinen Fußsohlen und dem Asphalt von einer schwarzen Zwischenschicht einmal abgesehen nichts befand. "Der läuft ja barfuß am Heiligabend!" war die Bemerkung. Darauf ein Mann, vermutlich der Vater: "Die Hirten liefen in der Heiligen Nacht auch barfuß!" Pause, dann das Mädchen: "Ist das ein Hirte?" "Vielleicht", war die spontane Antwort.
Gespenstisch wirkten die Hochhäuser der Basler Vorortgemeinde Birsfelden in der Dunkelheit. Auf leisen Sohlen schritt ich hinunter zu den Schleusen beim Kraftwerk. Ich erreichte den Barfußpark Birsfelden, diesmal aber benutzte ich ihn nicht. Das Thermometer auf der Birskopfwiese zeigte immer noch 2°C an. Ich überquerte den Birskopfsteg und folgte dem Ufer der Birs ein kurzes Stück, um an der Haltestelle Breite ins Tram zu steigen. Während ich auf der Halteinsel auf das Tram wartete, drehten sich einige Autofahrer nach mir um. Schockierte Blicke von bekopftuchten Frauen, als ich ins Tram hüpfte. Ein Mann musizierte im Tram und ging nachher mit seiner Mütze zum Sammeln. Er erhielt auch Geld. Bei mir bemühte er sich gar nicht erst, die Mütze hinzuhalten.
Ich verließ dieses Tram "selbstverständlich" am Barfüßerplatz. Nach mehrmaligem Umsteigen verschlang mich ein Combinotram der Linie 8, das mich zur Endstation in Kleinhüningen brachte, mich dann zurücknahm und an der Dreirosenbrücke wieder ausspuckte. Hier mußte ich etwas auf den Anschluß warten. Jugendliche ausländischer Herkunft fragten mich, ob ich immer barfuß laufe, was ich verneinte. ich täte so etwas nur in der Freizeit und dann, wenn es nicht allzu kalt ist. Als einer fragte, ob das gesund sei, bejahte ich die Frage mit dem Hinweis, daß ich lange keine Erkältung mehr gehabt hätte. Damit gaben sie sich zufrieden.
Am Burgfelder Platz wechselte ich abermals das Tram, um zum Barfüßerplatz zu fahren. Ein letztes Mal wollte das Kopfsteinpflaster der Basler Altstadt unter den nackten Füßen spüren. Die Freiestraße war jetzt menschenleer. Lediglich ein Bettler saß noch auf der Straße und lallte: "Du hast keine Schuhe und ich habe gleich zwei!" Ich ging weiter, über Treppen, durch Gassen und zurück zum Barfüßerplatz. Auch hier kaum noch Menschen. "Normale" Leute waren jetzt zu Hause in der warmen Stube. Wer jetzt noch in der Stadt auf der Straße war, der war entweder kein Christ oder er hatte kein Zuhause. Die Spreu hatte sich vom Weizen getrennt. Und ich gehörte zur Spreu, genauso wie der Autofahrer, der vorbeiraste, dann anhielt und laut zu pöbeln anfing: "Zieh dir Schuhe an, es ist Winter!" Da ich die "stille Nacht" in gewisser Weise respektiere, was sich nicht zuletzt dadurch bemerkbar macht, daß ich auf laut klappernde Absätze verzichtet habe, hatte ich es auch nicht nötig, zurückzupöbeln, sondern ich beließ es bei "stillen Gedanken". Leute, die in den ziemlich leeren Straßenbahnen saßen, richteten ihre Augen auf meine Füße. Dann brachte mich ein gelbes Tram der Linie 11 zum SBB-Bahnhof.
Während ich die Rolltreppe hinauf zur Passarelle fuhr, starrte ein Mann grimmig von der Nachbarrolltreppe auf meine Füße. Aber schon war ich oben, und bald ging's wieder runter zum Bahnsteig, wo gerade mein doppelstöckiger Interregio-Zug einrollte. Ich bestieg den Zug und nahm auf der "Chefetage" Platz. Der Zug war ebenso wie alle anderen Züge leer. Es war angenehm warm hier, der Boden des Zuges hatte nahezu Teppichqualität. Ich erlaubte mir, etwas zu essen, denn dieses ist zwar in den Trams, nicht aber in den SBB-Zügen verboten. Das totale Rauchverbot störte mich nicht, und von Barfußverbot habe ich in SBB-Zügen auch noch nie was gehört. Pünktlich um 21.04 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Der Schaffner fragte mich, ob es nicht Zug kalt sei, was ich mit einem "Im Zug sicher nicht" beantwortete.
Als ich in Zofingen den Interregio verließ, gab es etliche schockierte Blicke. Ich aber ging ohne Zögern zum Veloständer und radelte nach Hause. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich den Heiligabend barfuß in einer großen Stadt zugebracht. Noch vor drei Jahren hätte ich das für "absolut unmöglich" gehalten. Ob es das letzte Mal war? Hoffentlich nicht!
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen