Barfuß am Totensonntag (Hobby? Barfuß! 2)
Sonntag, 20.11.2005. Ausnahmsweise war es nicht neblig, sondern die ganze Nacht klar geblieben, es war die kälteste Nacht in diesem Herbst. Als mein Thermometer -2°C anzeigte, war es gerade 10.00 Uhr. Fürs barfüßige Radfahren war es mir zu kalt, nicht aber fürs barfüßige Wandern. Ich merkte sehr wohl den kalten Asphalt, aber wenigstens bestrahlte die Sonne die Fußoberseiten. Schlimmer war jedoch, daß ich die Unebenheiten stärker fühlte als am Tag zuvor, 8 Stunden barfuß wandern geht halt auch nicht bei mir spurlos vorüber. Daher entschloß ich mich, möglichst dort zu gehen, wo Asphalt vorhanden war, aber auch dieser schmerzte ab und zu. Anders als am Vortag war der Boden neben den Wegen nicht ideal, da er nicht nachgab, sondern gefroren war.
So gelangte ich über andere Wege nach Altishofen wie am Vortag. Viele Leute begegneten mir nicht, einmal hörte ich die Worte: "Der schon wieder!" Ich schritt hinauf zur Kirche http://www.altishofen.ch/frameset.htm?/altishofen.htm von Altishofen, wo ich mich in deren Windschatten auf eine Bank setzte, um eine Pause zu machen. Vor mir lag der Friedhof, rechterhand das Schloß und dahinter gleich die Anhöhen. Auch wenn ich ich die Jacke anbehalten mußte, so wärmte die Mittagssonne doch spürbar. Ich saß sicher über eine halbe Stunde vor dem Gotteshaus. Der Gottesdienst war längst vorbei, und von der Straße konnte man mich auch nicht sehen. Es war eine Ruhe hier. Es war Totensonntag, und ich war barfuß. Früher ein Ding der Unmöglichkeit!
Dann aber wurde die Ruhe jäh gestört: Quietschend wurde eine eiserne Friedhofspforte aufgestoßen, und herein traten ein Ehepaar und drei Kinder. Zielstrebig gingen sie auf ein Grab zu, das ich von der Bank nicht einsehen konnte, da ein Busch im Wege stand. Die Kinder alberten gelangweilt auf dem Kirchhof, rannten über die Wege. Plötzlich rief ein Junge: "Der Mann auf der Bank ist barfuß und trägt kurze Hosen!" Ein Mädchen: "Ihhhh! Und das auf dem Friedhof!" Darauf hörte ich die Mutter: "Was redet ihr da für dummes Zeug, das gibt es doch nicht, am Totensonntag!" Sie kam allerdings hinter dem Gebüsch hervor, sah in meine Richtung und - war sprachlos. Es dauerte nicht lange, dann verließen sie den Friedhof, wieder mit quietschender Pforte. Die Erwachsenen warfen mir einen giftigen Blick zu, die Kinder schienen sich zu amüsieren. Ich hörte noch die Schritte der Absätze, dann das Klappen von Autotüren, dann den aufbrausenden Motor. Allmählich fühlte ich mich an meinem Platz nicht mehr so sicher, die giftigen Blicke sprachen Bände. Ich erhob mich, ohne "klack-klack-klack" bewegte ich mich über den Friedhof, ohne "quietsch" öffnete ich die eiserne Pforte und verschloß sie wieder und ich begab mich zu einem Plattenweg, der nicht breit genug für Autos war.
Vor Nebikon schienen mich eine Familie mit 3 Mädchen ganz interessiert zu betrachten. Und in Nebikon rief eine Frau vom Balkon: "Ist das nicht zu kalt?" Dann wanderte ich in Richtung Dagmersellen, erst in der Sonne, dann aber auf einem schattigen Wegstück (Veloweg parallel zur Verkehrsstraße), wo der Asphalt noch deutlich kälter war und das Gras mit Rauhreif bedeckt. Beim Betrachten der Autos, die mich überholten, hatte ich den Eindruck, als ob bei Leuten, die auf dem Beifahrersitz saßen die "Nullstellung" der Blickrichtung nicht nach vorn, sondern nach rechts ist. Ob sie noch in der Lage waren, den Kopf wieder nach vorne zu drehen? Spätestens dann, wenn mir die Rechnungen über Behandlungen im Spital ins Haus flattern, weiß ich, was los war.
Im Ortskern von Dagmersellen einige erstaunte Blicke, ebenso vor der Kirche. Auf einem Bolzplatz spielten aber immerhin 2 von etwa 10 Jugendlichen in kurzen Hosen Fußball. Es folgte eine schmale verkehrsarme Straße aus glattem Asphalt in Richtung Reiden, hier schienen die Spaziergänger nicht allzu erstaunt zu sein. In einem Wohnquartier östlich der Kirche waren wie am Tag zuvor Kinder mit ihren Eltern auf der Straße, abermals große Glotzaugen. Ein Mädchen tuschelte, als ich schon etwas weiter weg war dem Vater ins Ohr: "Der ist barfuß!" Wozu tuscheln? Barfuß laufen ist doch nicht verboten! Oder sprach das Mädchen deswegen so leise, damit ich nicht daran erinnert werde und möglicherweise Schuhe anziehe? In Wikon schienen auch im Garten spielende Kinder erstaunt zu sein.
Zwischen Wikon und Zofingen führte der Weg durch den Wald direkt am Hang. Da es später war als am Vortag an dieser Stelle war das Laub auch nicht ganz so warm. Auch spürte ich jeden Stein stärker. Es waren weniger Wanderer unterwegs, aber einige Jogger. Ein Joggerpärchen hielt an und fragte, ob es nicht zu kalt sein. Ich meinte, daß die Kälte überhaupt kein Problem wäre, der Untergrund schon mehr. Ich erzählte noch, daß barfuß laufen gesund sei und ich im Urlaub sogar ohne Schuhe mit dem Velo in den Kölner Raum gefahren sei. Die Frau konnte nicht begreifen, daß es überhaupt möglich sei. Sie fragte noch: "Und in den Restaurants? Werden Sie da ohne Schuhe nicht rausgerührt?" Darauf antwortete ich, daß ich auf Touren das Essen an Gewässern usw. bevorzuge, aber die Male, die ich in Restaurants war (und zwar mit Leuten, die auch barfuß waren), hätte es keine Probleme gegeben. Dann joggten sie weiter.
Es wurde dunkel, ich ging noch mal durch die Gassen der Zofinger Altstadt, spürte das Kopfsteinpflaster unter den Füßen. Das Thermometer beim Bahnhof zeigte +2°C an. Ebenso lagen dort Scherben, direkt auf meinem Weg. Es sah so aus, als ob jemand eine Flasche mit voller Wucht auf dem Pflaster zerschmissen hat. Dank einer "Vollbremsung" gelang es mir, die Gefahr zu umgehen. So erreichte ich meine Wohnung. Meine Füße waren ziemlich zerschunden, obwohl äußerlich unverletzt. Zwei Tage hintereinander für jeweils etwa 8 Stunden barfuß wandern bei Temperaturen um den Gefrierpunkt hat halt seinen Preis.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen