Barfuß auf dem Napf - Gold wert! (Hobby? Barfuß! 2)
Samstag, 12.11.2005: Wieder der übliche Nebel über dem Schweizer Mittelland! Gegen 11.30 Uhr hatte ich den Eindruck, als ob die Sonne durchdrücken würde. Also rauf aufs Fahrrad, bei ca. 6°C. Unter solchen Bedingungen geht es auch bei mir nicht mehr ohne Jacke, aber in kurzer Hose ohne Probleme. Und zum Nichttragen (und Nichtmitnehmen) von Schuhen konnte ich mich auch zwingen. Allerdings merkte ich, daß mein Fahrrad wenig Luft hatte. Da ich zu faul zum Luftpumpen war, nahm ich kurzerhand mein anderes Fahrrad, das eigentlich fürs Tägliche zu schade ist.
Ich folgte dem Uferwegs des Flusses W i g g e r Richtung Süden, als mir eine Mutter und ihr kleiner Sohn, der auf einem Plastiktrecker fuhr, entgegenkamen. Der Knabe war mit Handschuhen, weit über die Ohren gezogene Mütze, und Wintermantel und Moonboots geringfügig winterlicher angezogen als ich. Er starrte sprachlos auf meine Füße, das gleiche tat die Mutter, die, da ohne Kopfbedeckung, schone etwas sommerlicher gekleidet war als ihr Sohn.
Vor Dagmersellen hatte die Sonne endlich den Nebel besiegt. Jetzt plötzlich fiel mir ein, daß ich ja auch einmal zum Napf fahren könnte. Ich hatte ja das Fahrrad, mit dem ich trotz der Steigung bis zum Parkplatz fahren konnte. Mit dem anderen hätte ich das nicht geschafft, vor allem traute ich den Bremsen nicht viel zu. Der Napf ist ein etwa 1000 Meter hoher Berg, den man aus dem Mittelland, dem Luzernischen, dem Emmental und dem Entlebuch erreichen kann. Ich war schon mehrfach da, bisher aber immer nur fett beschuht. Das sollte sich nun ändern. Im Städtchen Willisau fiel meine Barfüßigkeit kaum auf, die Leute waren wohl zu sehr mit dem Einkaufen beschäftigt. Viel Zeit, meine Barfüßigkeit zu registrieren, hatten die Leute ja auch nicht, denn kaum ist man als Radfahrer durch das eine Stadttor in die Altstadt reingefahren, dann ist man durch das andere schon wieder draußen.
Der Weg wurde steiler, ich mußte die Jacke ausziehen, um nicht allzu sehr ins Schwitzen zu kommen. Bei Hergiswil beobachtete ich Kinder am Ufer der W i g g e r. Suchten die etwa Gold? Tatsächlich gibt es im Napfgebiet Gold, und viele arme Leute versuchten damals ihr Glück beim Goldschürfen, die meisten von ihnen wurden dadurch noch ärmer. Viele Menschen setzten auch ihre Gesundheit aufs Spiel, nicht nur wegen Witterung, sondern auch durch den Umgang mit Quecksilber, mit dem sie versuchten, das Gold aus dem Stein zu extrahieren. Ob die Leute damals die Arbeit auch barfuß ausführten, ausführen mußten? Überraschen würde mich das nicht. Unter den Kindern, die am Ufer spielten war ein Mädchen vielleicht barfuß. Es stand jedenfalls im Wasser und hatte die Hose aufgekrempelt. Vielleicht hatte es ja auch irgendwelche Badelatschen an. Vielleicht auch nicht, denn der Hautfarbe nach war es afrikanischer Herkunft, während die anderen Kinder wie gebürtige Schweizer aussahen und festes Schuhwerk trugen.
Am Parkplatz stellte ich mein Velo ab und marschierte hoch. Anfangs war der Weg etwas steinig, dann wurde er aber immer besser. Vielen Leuten begegnete ich nicht, einmal hörte ich nur: "Der hat aber Mut!" Manchmal benutze ich aber auch nicht den offiziellen Weg, sondern nahm eine Abkürzung über Trampelpfade. Einmal war hier das Laub noch angenehmer barfuß begehbar, zum anderen nutzte ich sie aber auch, um langsamere Wanderer, darunter eine Gruppe älterer Frauen, zu überholen.
Oben auf dem Berg, den man sich nicht als steinigen Spitz, sondern als runde Hochfläche ansehen muß, befindet sich ein Restaurant und eine große Rasenfläche. So schönen Rasen habe ich noch nie unter den Füßen gespürt. Oder ist das Einbildung? Von den Leuten, die sich hier oben aufhielten, gab es vielleicht ein paar erstaunte Blicke, mehr aber auch nicht. Nicht einmal Kinder machten große Glotzaugen. Wie ist das zu erklären? Wer es bis hier oben schafft, von dem wird sportlich schon einiges abverlangt. Mit dem Auto darf man hier nämlich nicht hin. Meistens sind diejenigen Leute, die etwas gegen Barfüßer haben auch solche Leute, die derart verwöhnt und verweichlicht sind, daß sie am liebsten sogar zur Toilette das Auto benutzen würden. Und solche Leute findet man nicht auf dem Napf!
Ich wollte noch eine kurze Rundwanderung machen und stieg deswegen auf der Südseite wieder ab. Zwar war es sonnig, dafür aber steinig. Kaum Bemerkungen, nur eine Frage, ob es nicht zu kalt war. Endlich hatte ich das Tal des Flusse Trub(?) erreicht, nachdem ich eine Brücke aus Gitterrost überquert hatte. Ich wollte nicht weiter auf dem offiziellem Wanderweg, sondern folgte einem Grasweg. Dieser endete auch einer Wiese, aber ein Trampelpfad führte weiter. Die vielen Kuhfladen störten mich absolut nicht. Ohne daß ich irgendwelche Zäune überklettern mußte, gelangte ich zu einem etwas steinigem Weg. Bei einer Weggabelung entschied ich mich für den für Barfüßer angenehmeren Weg, Hier gab es einige Schlammflächen, der Schlamm quoll nur so zwischen den Zehen durch.
So herrlich dieser Weg auch war, er endete. Sollte ich nun umkehren, oder sollte ich versuchen, über den bewaldeten Hang nach oben zu klettern. Ich entschied mich für letzteres. Das Laub war herrlich weich und trocken, und anders als im Tessin kein Spur von Maronis! Etwas mühsam war es aber doch, sich an Bäumen festzuhalten um nicht abzurutschen. Hier aber war es von unschätzbarem Vorteil, daß ich keine Schuhe an hatte. Mit den Füßen konnte man fühlen, wo der Boden hielt und wo nicht, mit den Zehen konnte man sich in den Boden festkrallen oder in Wurzelwerk festhaken. Ich weiß nicht, ob in diesem Augenblick das angenehme Gefühl überwog oder die Ungewißheit, daß ich nicht wußte, wie der "Weg" weitergeht. Es war vielleicht ein Wechselspiel. Ein Gefühl der Freude, wenn meine Zehen sich mal in ein Stück vermodertes Holz bohren durften, dann ein Gefühl der Besorgnis, wenn mal ein Zweig abbrach.
Dann mußte ich auch noch an Fallholz vorbei. Hoffentlich kommt da nicht ins Rutschen! (An Erdbeben, wie es am selben Tag, wenn auch viele Stunden Später in anderen Teilen der Schweiz gab, dachte ich gar nicht). Aber alles hielt. Und den Brombeerranken, die Teilweise im Wege waren, gelang es nur, die Fußoberseite, Knie, Unterschenkel und Ellenbogen anzuritzen, nicht aber die Fußsohlen. Endlich erreichte ich einen Trampelpfad, der mich direkt auf den Gipfel des Napfes führte. Mittlerweile hatte der Himmel sich bewölkt. Aber auch jetzt machte keiner der Leute (es waren deutlich weniger), die auf dem Berg irgendwelche Bemerkungen. Noch mehrmals ging ich den Rasen auf und ab, bevor ich zurück zum Fahrrad ging. Ein Junge aus einer Familie, die ich überholte, sagte: "Der läuft ja barfuß!" Ansonsten nur freundliche Grüße, sonst nichts.
Auf dem Fahrrad mußte ich wieder eine Jacke anziehen, es ging ja ziemlich steil bergab, aber die Bremse meines besten Velos zog gut. Einige Leute auf Bauernhöfen und in vorbeifahrenden Auto schauten auf meine Füße. Desgleichen im Städtchen Willisau. Dahinter fiel meine Barfüßigkeit wohl kaum auf. Es war dunkel, die Straße hatte oft einen Radweg. Und da ich nicht auffällig langsam fuhr, käme wohl keiner auf die Idee, mich näher zu inspizieren. So kam ich gegen 18.30 Uhr nach Hause bei 7°C, zwar etwas zerkratzt und ohne einen "Napf voll Gold". Aber meine erst barfüßige Tour auf den Napf war wirklich Gold wert.
Schöne Grüße
Michael aus Zofingen