Letzter "Sommerabend" in Basel, natürlich barfuß (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 31.10.2005, 10:49 (vor 6904 Tagen)

Samstag, 29.10.2005 in Basel: Es war dunkel, und ich hatte einen schönen Nachmittag bei über 20°C im Elsaß hinter mir. Barfuß und nur mit T-Shirt und kurzer Hose bekleidet radelte ich zunächst über die Dreirosenbrücke zum Tramendhalt in Kleinhüningen, um dann an einem dem Rhein nahegelegenen Veloweg bis zur Wettsteinbrücke zu radeln. Von nun ab aber war ich als "Schieber" tätig, das Rad war nur (fast schon lästiges) Beiwerk.

Anders als im Hochsommer war die Rheinpromenade fast frei von Scherben. Gefahrlos konnte man sich dort bewegen, auch wenn man nicht in Besitz einer Taschenlampe und den dazu an einer Tankstelle erworbenen Batterien ist. Auf der Promenade fiel meine Barfüßigkeit weniger auf, wohl aber, als ich mein Velo über die Mittlere Brücke schob und hinterher hoch zum Münsterplatz. Überall herrschte Gedränge, speziell vor dem Münster
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wo Karussells aufgebaut waren. Andauernd große Glotzaugen von den Kindern. Der Feinschotter kam mir anders als sonst angenehm vor, irgendwie gefiel es mir, mit den nackten Füßen das feine Material vor mir herzuschieben, wie wenn es Laub wäre. Aber auch die Pflastersteine waren angenehm kühl. Ich weiß nicht mehr, wie viele Altstadtgassen ich barfuß durchschob. Jedenfalls war ich am Spalentor
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gewesen und schob dann noch durch eine Gasse, in der auch noch Stände waren und eine reges Gedränge. Dann sah ich, wie ein älterer Mann sich auf sein Fahrrad schwang und wegradelte. Er war "normal" mit Jacke, langer Hosen und weißer Mütze bekleidet, aber er war barfuß! Wer hätte das gedacht! Wohin er radelte, weiß ich nicht. Ich aber schob mein Velo Richtung Tinguelybrunnen, wo ich eine Essenspause machte.

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Während ich auf der Mauer saß und den lustig plätschernden Brunnen und die vorbeifahrenden Straßenbahnen beobachtete, schielte ich "zufällig" auch auf die vorbeigehenden Leute. Ein Mädchen sagte: "Mami, dr Ma ischt gaaaaaaaaaanz bluttfues!" (Das war ich sicher nicht, wenn man unter "ganz barfuß" die in diesem Forum zu regen Schriftverkehr veranlassende "Ganzkörperbarfüßigkeit" meint). Je später es wurde, desto bedeckter wurde die Kleidung. Nur noch selten eine Frau mit ärmellosen Top, nur noch selten ein Kind (oder ein Erwachsener) in kurzen Hosen, nur noch selten jemand in Sandalen (und geschlossenen Schuhen) ohne Socken.

So kam es, daß mich eine junge blonde Frau ansprach, indem sie mich zuerst fragte, ob ich deutsch spreche. Sie selber kam aus Rußland, sprach jedoch ein recht gutes Hochdeutsch. Dann fragte sie mich, warum ich barfuß war. Als ich ihr sagte, daß das gesund sei, meinte sie, daß in Rußland etliche Leute barfuß laufen, weil sie nicht genug Geld hätten, um jederzeit Schuhe zu tragen. Erstaunt war sie auch, daß ich mit dem Fahrrad am Morgen aus Zofingen angereist war und bereits in Mülhausen gewesen war. Als ich ihr sagte, daß ich Chemiker sei, sagte sie: "Sie arbeiten? Das ist doch sicher ein schwerer Beruf!" Offensichtlich konnte sie es nicht fassen, daß es möglich ist, daß man einen Beruf ausübt, der besser dotiert ist als "Hartz IV" und trotzdem keine Schuhe trägt. Aber sie sah es positiv, war freundlich und gab mir zum Abschied die Hand.

Ich schob mein Weg unter der Straße durch zur Barfüßerkirche, umrundete diese und war wieder im Getümmel, da auch hier Stände aufgebaut waren. Es war etwas mühsam, das Fahrrad die Treppe hinunter zu tragen. Gerade hier lagen große Scherben, wobei ich weder mich selber verletzen, noch den Reifen beschädigen wollte, was mir auch gelang. "Ein hitziger Siech!" hörte ich jemanden sagen. Die Glotzaugen sah ich schon längst nicht mehr.

Irgendwann wurde es aber auch für mich Zeit, mich aufs Rad zu schwingen und die Stadt zu verlassen. Eigentlich wäre es fast schon zu kalt gewesen, um ohne Jacke zu radeln, aber die paar Kilometer nach Münchenstein zum wohl bekannten Schlafplatz am Birsufer würde ich wohl noch durchstehen. So war es auch. Ich fand herrliches Laub als Untergrund. Ich breitete Schlafsack aus, sicherte das Velo, schritt aber sicher noch 15 Minuten durch das trockene Laub auf und ab, besser: ich schlurfte. Niemand war da, der mich störte. Der Himmel war sternenklar, kein Mond schien. Gespenstisch wirkte nur der Schornstein einer Fabrik am Ufer gegenüber. Das Rauschen der Birs mischte sich mit dem Rauschen der Autos auf der benachbarten Autobahn. Eine Nacht im Freien stand mir bevor. Die letzte in diesem Jahr? Es war übrigens die längste Nacht des Jahres. Die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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