Mülhausen: Den Spieß einmal umgedreht! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 31.10.2005, 08:00 (vor 6904 Tagen)

Samstag, 29.10.2005: Es sollte ein "goldenes Oktoberwochenende" geben, unter der Vorraussetzung, daß man in keinem typischen Nebelloch wohnt. Und Zofingen ist ein Nebelloch, während der Großraum Basel weitaus mehr von der Sonne profitiert. Also sattelte ich mein Fahrrad und radelte gegen 7.15 Uhr im Dunkeln und bei nässendem Nebel (ca. 7°C) los. Dabei hatte ich einen Schlafsack zum draußen übernachten. Bei den Bedingungen mußte ich eine Jacke überziehen, aber für lange Hosen und Schuhe war es EINDEUTIG nicht winterlich genug. Allerdings spürte auch ich nach etwa 5 Kilometern die von Markus U. öfters erwähnte "lausige Zeit" in den Füßen.

Aber bei der Auffahrt auf den Hauensteinpaß war es vorbei. Und oben hörte sogar (wie erwartet) der Nebel auf, später erschien die Sonne über den Bergen. Als ich die Ausläufer von Basel erreichte, war es mir mit Jacke zu warm, ein T-Shirt genügte. Beim Durchfahren von Basel gab es ab und zu große Glotzaugen, mehr nicht. Ich wollte aber weiter nach "Franckreich", um hier einmal die "Luc'sche Schreibweise" zu gebrauchen. Die Zöllner interessierten sich nicht für mich. Was mir auffiel: Kaum hatte ich die Grenze überschritten, schon glaubte ich einen Unterschied in der Kleidung zu erkennen. Während in Basel die Leute mehr nach dem Kalender gekleidet waren, waren in der französischen Nachbarstadt St. Louis die Leute mehr nach den Ist-Temperaturen gekleidet. Die Anzahl der Frauen in Flipflops, häufig in Kombination mit Jeans und ärmellosen Tops, war deutlich höher. Auch sah man mehr Männer in kurzen Hosen außerhalb sportlicher Betätigungen als in der Schweiz, nicht selten in Kombination mit Sandalen ohne Socken. Auch Jungen in kurzen Hosen und Mädchen in Röcken/Kleidern waren häufiger. Offensichtlich sehen Schweizer (und Deutschen) die Jahreszeiten bürokratischer als Franzosen (Laisse faire, oder wie sagt man?). Barfuß war aber bisher keiner. Mein Ziel war Basels "Schwesterstadt" Mülhausen:

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Diese zweitgrößte Stadt im Elsaß gehörte schon mal zur Schweiz, mal zu Deutschland und jetzt zu Frankreich und ist wirklich sehenswert. Aber was wollte ich da? Etwa barfuß alten Eisen- oder Straßenbahnresten nachsäckeln, wie ich das schon anderswo getan habe (und Ulrich in noch größerem Umfang dank besserem "Angebot" macht)? Nein! Diesmal drehe ich den Spieß um: Ich fahre dorthin, bevor die Straßenbahn nach jahrzehntelanger Stillegung wieder eröffnet wird:

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Mein Herz schlug höher, als ich auf die ersten Gleise stieß. Auch die Oberleitung war meist schon installiert sowie die typischen farbigen "Triumphbögen" bei den zukünftigen Haltestellen. Gleich am Anfang mußte ich das Fahrrad über einen provisorischen Fußweg schieben, dieser war geschottert, aber zum Glück nicht lang. Ab und zu war er auch unterbrochen durch Holzstege über die offenen Tramgleise, die natürlich angenehm barfuß begehbar waren (die Stege natürlich). Auch war teilweise eine Art "roter Teppich" ausgelegt. Interessant fand ich auch, daß neben den Schienensträngen Gummi verlegt war, vermutlich damit sich die Schienen in der Wärme ausdehnen können, ohne den Straßenbelag zu beschädigen (und zur Lärmverminderung). Teilweise balancierte ich auch auf dem Schienenstrang und versuchte, meine Zehen im Gummi zu "vergraben", was mir natürlich nicht gelang, aber ein angenehmes Gefühl war es doch. Diese kann jedoch nur der nachvollziehen, der einmal gerne barfuß läuft UND zum anderen in Straßenbahnen etwas besonderes sieht. Ein alter Herr sah mich erstaunt an, während ich barfuß irgendwelche Baustellenmotive fotografierte.

Da die Straße westlich der Altstadt eine Einbahnstraße war, mußte ich schieben, worüber ich diesmal froh war. Vielfach genoß ich auch den neuen Asphalt unter den Füßen. Als die Straße wieder "normal" war, stieg ich auf und radelte bis zur Endstation im Süden der Stadt. Hier machte ich Mittagspause auf einer Bank (leider lagen hier Scherben). Es war so heiß, daß ich das T-Shirt ausziehen mußte. In dieser Gegend scheinen viele "Exoten" zu leben, ihre Umgangssprache ist nicht französisch. Viele Leute gingen hier auf dem zukünftigen Tramtrassee, das hier mal Rasen bekommen soll und teilweise auch schon hatte. Auch ich schob mein Velo über den groben Sand, was ich als angenehm empfand, ebenso den Rasen. Eine indische (oder pakistanische?) Großfamilie kam mir entgegen, in der schienen nur männliche Mitglieder das "Privileg" zu haben, Socken tragen zu dürfen (oder gar müssen?), vom Kind bis zu den Großeltern. Ein Mädchen zog die Sandalen aus und wollte es mir nachmachen, zog sie aber sofort wieder an. Ob das Gras zu naß war oder ob irgendein erwachsener Begleiter einen wortlosen Befehl zum Wiederanziehen der Schuhe gegeben hat, kann ich nicht sagen.

Ich fuhr zurück und folgte dem Tramgleis in Richtung Hauptbahnhof, vor dem eine großzügige Wendeschleife angelegt ist (die anderen Endpunkte besitzen keine Schleifen). Auch hier ein paar ungläubige Blicke. Dann radelte ich nordwärts, um zu der dortigen Endstelle zu kommen. Die Einbahnstraßenregelung zwang mich abermall, das Rad zu schieben. Diesmal schob ich es auf dem Gleiskörper, der mit Rasen ausgelegt war, teilweise versanken meine Füße auch im Matsch. War richtig herrlich. Später kann man sicher nicht mehr unbekümmert den "Rasen mit Gleisanschluß" als Barfußpark mißbrauchen, da andauernd eine "blöde" Straßenbahn den Platz beansprucht. Am nördlichen Endpunkt nahe einer Eisenbahnlinie herrschte reger Straßenverkehr. Vermutlich soll später einmal die Straßenbahn nach "Karlsruher Prinzip" auf den Eisenbahnschienen weiterfahren.

Ich aber schob das Rad zu einer Schleuse, wo ich meine Füße abkühlte. Leider lagen auch hier Scherben, ein Zeichen dafür, daß sich hier auch Gesocks aufhält. Ich radelte Richtung Innenstadt, folgte dann aber dem Gleis Richtung Westen, wo ich zum Depot kam (Tramzüge standen leider noch nicht drin). Auch war hier eine schöne Brücke über einen Fluß. Ich wollte weiter, um dann auf der neuen Trambrücke die Eisenbahn zu überqueren, aber ich traute mich nicht, barfuß das Rad über Moniereisen usw. zu schieben. Also fuhr ich zurück und überquerte die Eisenbahn auf der parallel dazu verlaufenden alten Straßenbrücke. Ich radelte noch bis zur westlichen Endstelle, dann zurück. Ich hatte mein "Straßenbahnpensum" erfüllt. Aber nicht mein Mülhausenpensum. Dazu aber später.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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