Norwegenreise: Schuh-Pflicht mit Verspätung (Hobby? Barfuß! 2)

Leo @, Sunday, 23.10.2005, 14:47 (vor 6912 Tagen)

Fast 10 Jahre nach der ersten Idee bin ich dieses Jahr mit der Hurtigruten entlang der norwegischen Küste gefahren (nachdem der normalerweise exorbitante Preis durch des Herbst-Spezialangebot in wenigstens halbwegs akzeptable Höhe gedrückt wurde).

Hin ging es ab daheim barfuss mit dem ICE nach Kiel und weiter mit der Fähre nach Oslo, dort dann zu Fuß vom Fähranleger zum Bahnhof und mit dem Zug weiter nach Bergen. Bis hierhin gab es gar keine Vorkommnisse.

Auf dem Hurtigrutenschiff zunächst auch nicht, bis auf ein paar erstaunte Blicke. Am 4. Tag morgens schien der "Restaurant-Manager" dann aber schon auf mich gewartet zu haben: Ohne überhaupt einen Blick auf meine Füße zu werfen hieß es plötzlich: Schuhpflicht im Restaurant. Nein, das wäre kein neuer Dress-Code, er hätte meine Barfüssigkeit bloß vorher nicht bemerkt. Mir ist aber sehr wohl sein erstaunter Blick auf meine Füße am ersten Abend aufgefallen! Ich war noch müde und hatte keine Lust auf weitere Diskussionen und trug ab dann also Flip-Flops im Speisesaal - ein Werbegeschenk mit der in diesem Rahmen passenden Aufschrift "Spießer!".

Die etwas alberne Polar-Taufe im Aussichtssalon ein oder 2 Tage später konnte ich dann noch anstandslos barfuß absolvieren, obwohl ich hierbei auffiel, da einem darum gebeten Mitreisenden erst im dritten Anlauf ein Bild von der Handlung gelang: "Neptun" steigerte die Dosis Eiswasser in den Nacken von den üblichen ca. 5cl beim ersten Mal bis auf eine volle Suppenkelle beim 3. Anlauf. Dann war das Bild im Kasten, Urkunde vom Kapitän - barfuß außerhalb des Speisesaals war hierbei NOCH kein Problem. Auch den Nachmittags-Kaffee mit Kuchen nahm ich nach wie vor barfuß in der Bar ein.

In der nördlichsten (außer Mini-) Brauerei der Welt in Tromsö hat mich eine Frau wegen meiner nackten Füße angesprochen, aber hieraus entwickelte sich dann eine nette Unterhaltung. Auch die barfüßige Besichtigung der Eismeer-Kathedrale war genauso wenig ein Problem wie später die der Dome in Trondheim und Oslo.

Beim Ausflug zum Nordkapp, an einem mit fast 15 Grad für die Jahrezeit sehr warmen Tag, haben mich einige Mitreisende angesprochen und nach den Gründen für mein Barfuß-Laufen gefragt. Nach Erläuterung der Vorteile wollte eine Engländerin dann noch ein Bild von meinen Füßen machen.

Am 8. Tag der Hurtigrutenreise sprach mich dann plötzlich jemand vom Rezeptions-Personal an: Die Hotel-Managerin ließe mir ausrichten, ich dürfe mich nicht mehr ohne Schuhe in den öffentlichen Bereichen des Schiffes bewegen. Als ich am selben Tag meinen Kuchen gerade aufgegessen hatte, kam zufällig die Hotel-Managerin in der Bar vorbei, und ich ergriff die Gelegenheit, die Sache mit ihr auszudiskutieren. Mein Argument, dass es wohl genauso unhygienisch sei, seine dreckigen Schuhsohlen zu berühren wie seine nackten Fußsohlen und dann zum Büffet zu gehen, lief aber ins Leere: Ja, natürlich sei es da viel unhygienischer erst auf die Toilette zu gehen und dann ans Büffet, ohne sich die Hände zu waschen, wie von mir beobachtet, aber es käme nicht auf die Tatsache an, sondern auf den bei anderen erweckten Eindruck. Ihr persönlich sei es auch vollkommen egal, wie ich gekleidet bin, aber wenn andere sich beschweren, müsse sie leider handeln - daher auch erst jetzt am 8. Tag diese Vorschrift. Sie gab mir auch recht, dass ich meine Kabine, mein Heim auf Zeit, verlassen könnte wie ich wollte, wenn ich das Schiff verlasse oder an Deck gehe, aber in den öffentlichen Innenbereiche müsse ich ab sofort Schuhe tragen.

Das Schiff war übrigens fest in deutscher Hand (das norwegische Herbst-Angebot startete nämlich schon zum 1.9., was aber nur auf norwegisch und in gut versteckten Prospekt zu zu lesen war). Die Mehrzahl der Reisenden kam aus dem Rheinland oder dem Ruhrgebiet, wo man sich nach meiner Erfahrung beim Barfuß-Laufen die meisten und negativsten Kommentare einfängt - sogar Punker mit gewagten Piercings und Sicherheitsnadeln durch die Lippen haben sich dort mal genau so spießerisch entsetzt über die hinlänglich bekannten angeblichen die Gefahren des Barfußlaufens geäußert. Im Rheinland gibt es zwar die netten Sprichwörter "Jeder Jeck ist anders" und "Man soll jeden nach seiner eigenen Facon selig werden lassen" - nur hält man sich leider überhaupt nicht daran. Ich bin selbst gebürtiger Rheinländer, der seit etwas über 20 Jahren in Oberbayern lebt, und habe noch viele private Kontakte ins Rheinland und ins Ruhrgebiet - diese Einschätzung resultiert also nicht nur aus einigen wenigen Gegebenheiten. (Bestes Beispiel: Mein bester Schulfreund hat mich gebeten, ich möchte mir doch bitte am Bahnhof Schuhe anziehen bevor ich zu ihm gehe, damit er sich vor den Nachbarn nicht für "so einen" Besuch schämen muß!)

Die Hurtigruten wird mittlerweile immer mehr vom normalen Verkehrsmittel für die Bevölkerung zum Kreuzfahrtschiff umfunktioniert, wie mir eine Mitreisende bestätigte, die schon seit 20 Jahren regelmäßig fährt und auch schon in Norwegen gelebt hat - übrigens auch eine Rheinländerin, der meine Füße aber total egal waren. Wer mehr als 24 Stunden auf dem Schiff ist, muß eine Kabine buchen, und zwar als Alleinreisender eine teure Einzelkabine. So hat man die Rucksackreisenden mit Ausnahme kurzer Distanzen erfolgreich vergrault. Morgens werden die im Salon schlafenden nur kurze Distanzen reisenden Passagiere dann auch geweckt. Seit einiger Zeit gibt es für die Kreuzfahrt-Klientel auch ein "Captain`s Dinner": Der Reiseleiter sprach ein paar salbungsvolle Worte, der Kapitän stand wie die Offiziere wortlos und offensichtlich unlustig herum und ließ die Prozedur über sich ergehen. Da auch hier - außer der anlässlich meines Präzedenzfalles neu eingeführten Schuhpflicht - kein Dresscode bestand, hab ich dann aus Protest das mitgebrachte Hemd im Schrank gelassen und bin wie sonst auch mit T-Shirt und den Flip-Flops erschienen. (Da der Speisesaal nicht sehr warm war, habe ich mir die kurze Hose dann doch verkniffen, weil das dann jeder sofort richtig als Trotz-Reaktion gedeutet hätte.)

Am nächsten morgen ging ich dann mit T-Shirt aber ohne Pullover und selbstverständlich barfuß von Bord - als einziger der Rundreise-Passagiere mit Rucksack. Am Ausgang stand zufällig der Kapitän, der mich wohlwollend musterte und mich dann sehr freundlich verabschiedete.

An dem in Trondheim eingelegten Extra-Tag mit Dom-Besichtigung, der Bahnfahrt nach Oslo und in Oslo passierte dann nichts. Beim Eingang zum Frühstücksraum in Oslo gab es dann wieder ein altbekanntes Argument: "Wegen evtl. Scherben rate ich Ihnen dringend, Schuhe anzuziehen!" Da die Frage nach einem Dress-Code verneint wurde, ging ich mit der Bemerkung "ich habe keine Angst vor Scherben" zum Frühstücks-Büffet und blieb bis auf einige Blicke unbehelligt. (In Geschäften reagiere ich bei dem Argument meist mit "Wenn es hier so gefährlich ist, mache ich mal lieber, dass ich wegkomme!", drücke dem verdutzten Angestellten / Inhaber den Einkaufskorb in die Hand und verlasse den Laden sofort, um woanders einzukaufen.)

Kurz nach dem Besteigen der Fähre in Oslo nach Kiel sprach mich ein Mann an "Haben die Sie tatsächlich so hier reingelassen?" - natürlich mit rheinischem Akzent, wie zu erwarten. Beim abendlichen Büffet sprachen mich dann Leute vom Nachbartisch an: Sie hätten erst gedacht, ich sei derselbe Barfüßer wie der am Tag zuvor wie auf der Hinfahrt von Kiel nach Oslo. So war ich also anscheinend doch nicht der einzige, der barfuß mit dem Schiff fährt, aber im ganzen Urlaub habe ich sonst niemand barfuß herumlaufen gesehen.

Nachtrag: Hurtigruten macht immer Reklame mit der "schönsten Seereise der Welt". Ich habe aber 2000 eine ähnliche Reise durch Alaska mit ähnlicher Landschaft gemacht. Hier gibt es einen Alaskapass für damals 800$ gültig 30 Tage in allen Fähren, Zügen und vielen Bussen (auch Transit durchs kanadische Yukon). Als Deckspassagier konnte man seine Iso-Matte und Schlafsack auf guten Liegestühlen ausbreiten (zur besseren Schallgeräusch-Dämmung) oder gar am zugewiesenen Platz am Heck sein Zelt aufbauen. Das hat mir persönlich auch von der Landschaft noch besser gefallen, und barfuß auf dem Schiff war da auch gar kein Problem.


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion