Es geht wieder los mit den "Bütteln"! (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 17.10.2005, 16:09 (vor 6983 Tagen)

Samstag, 15.10.2005: Ursprünglich hatte ich vor, übers gesamte Wochenende ins Tessin zu reisen. Da aber der Wetterbericht nicht allzu einheitlich war (manche Vorhersagen kündigten auch dort Nebel an), ließ ich es bleiben. Gegen Mittag sollte sich der Nebel in Zofingen gemäß Wetterbericht auflösen. Aber das geschah nicht. Gegen 13 Uhr radelte ich trotzdem los, in leichtem T-Shirt, kurzen Hosen und selbstverständlich barfuß. Ich rechnete mit einem Durchbruch der Sonne und Temperaturen bis zu 18°C. Vor Willisau fragte eine Frau, ob es nicht zu kalt sei, halt das übliche. Bei Wolhusen erreichte ich das Tal der kleinen Emme. Man konnte noch die Schäden vom Hochwasser im vergangenen Sommer sehen. Hinter Malters führte ein Weg parallel zum Fluß. Dieser Weg, ursprünglich geschottert, war mir Sand überspült worden. Mittlerweile ist der Sand so beschaffen, daß man einerseits mit dem Fahrrad drüber fahren kann, andererseits er auch noch barfuß angenehm zu begehen ist. Teilweise schob ich das Velo, bis ich bei Littau wieder auf Straßen kam.

In Littau kam mir ein Autofahrer entgegen, der hupte und winkte. Ich konnte aber nicht erkennen, wer es war. Dann war ich mitten im Verkehrsgetümmel, aber zwischen den Autos kam ich relativ gut voran nach Luzern. Beim Bahnhof stieg ich ab und schob das Rad über die Seebrücke. Und auch hier die "obligatorischen" großen Glotzaugen. Ein Blick zum Himmel: Es war immer noch neblig. Ein Blick zur Uhr: Es war 16 Uhr. Also das Rad durch die Fußgängerzone schieben und dann nach Hause. Vor dem Eingang zur Fußgängerzone standen zwei Beamte der Luzerner Stadtpolizei. Da gab's nur eins: Marschgeschwindigkeit nicht ändern, nicht umdrehen, einfach nur weitergehen. Das klappt - manchmal.

Manchmal! Diesmal nicht! Ich war vielleicht 200 Meter gegangen, da hörte ich Worte: "Halt!" Da die Stadt voller Menschen war, konnte doch jeder gemeint sein. Da ich hinten keine Augen habe, konnte ich auch nicht sehen, wer rief. Dann sah ich plötzlich die beiden "Stadtbüttel" vor mir, sie meinten tatsächlich mich. Scheinheilig fragte ich: "Ist es neuerdings auch schon verboten, ein Fahrrad durch die Fußgängerzone zu schieben? Daß fahren verboten ist, weiß ich, aber das mache ich nicht." Ohne darauf einzugehen sprach der eine Büttel: "Deswegen halten wir Sie nicht an. Wohnen Sie in Luzern?" "Nein ich wohne in Zofingen und bin mit dem Velo hierher gefahren." Darauf der andere in einem Ton so wie (zumindest im Krimi) ein Polizist einen wieder einmal frisch ertappten stadtbekannten Einbrecher anspricht (außer daß er mich nicht duzte): "Soso? Sie wollen also sagen, Sie sind mit dem Velo bei 10°C IM OKTOBER mit dem Velo von Zofingen hierher gekommen, ohne Schuhe, ohne Jacke, ohne Hose." "Ohne LANGE Hose", verbesserte ich. "Und das ist nicht verboten. Und selbst wenn außer mir kein anderer macht, ist es noch lange nicht verboten." Wie üblich mußte ich den Ausweis vorweisen (mein Schweizer Paß und mein dazu "passendes" unverkennbar "nordisches Hochdeutsch" erregten übrigens keinen Grund zu Zweifeln). Ein Anruf bei der Zentrale, "leider" nichts verdächtiges. Ich mußte den Rucksack und die Packtasche öffnen, ferner überprüften die Beamten, ob das Licht funktionierte und die Bremsen zogen. Auch auf diese Weise gelang es den Bütteln nicht, mir was verbotenes nachzuweisen, mein Fahrrad war zwar alt, aber verkehrssicher. Etwas erstaunt waren sie auch, als sie meine Brieftasche öffneten beim Überprüfen jedes Dokumentes auch einiges fanden, woraus hervorging, daß ich einen Doktortitel habe (aus dem Schweizer Paß geht das nicht hervor), mein Autoführerschein führte zum Kommentar: "Was, Sie haben einen Führerschein!" Worauf ich fragte: "Wollen Sie mir den wegnehmen, weil ich barfuß FAHRRAD fahre? Einem BETRUNKENEN Radfahrer kann man den Führerschein wegnehmen, nicht aber einem ohne Schuhe."

Der Rucksack hat allerdings schon mal bessere Zeiten gesehen. Dieses führte prompt zu der Bemerkung: "Können Sie sich nicht mal einen neuen Rucksack kaufen? Oder haben Sie dazu auch kein Geld?" Bei der Gelegenheit fand der eine Büttel ein wärmeres T-Shirt im Rucksack, darauf sagte er: "Ziehen Sie das über, zumindest hier in der Stadt! Schon wegen der Kinder! Was Sie hinterher machen, ist mir egal!" Da sieht man, wie kleinkariert Polizisten denken. Sie blicken nicht über den Tellerrand. Die Stadt Luzern ist ihr Hoheitsgebiet, außerhalb dagegen sind die "Landbüttel" zuständig. Außerdem: Was geht die Kinder denn das an, was ich trage? Hatte der Polizist Angst, daß Kinder, nachdem sie mich gesehen haben, selber unbeliebte Kleidungsstücke ausziehen und sich dabei erkälten? Oder daß sie ihren Eltern böse sind, daß sie ihnen barfuß verboten haben, während ich das "darf"? Das ist DEREN Problem, nicht meins! Wie schön, daß ich keine Schuhe usw. dabei gehabt hatte, ansonsten hätte ich die auch anziehen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob die mich zwingen können vorhandene Schuhe anzuziehen. Wäre eine Weigerung meinerseits "Widerstand gegen die Staatsgewalt" gewesen? Nicht entdeckt haben die Stadtbüttel auch die "Kleidungsstücke", die neben den Fahrradwerkzeugen liegen: eine alte Socke, ideal zum Putzen von Felgen, und der Rest einer Krawatte, ideal zum Putzen von Kettenrädern. So blieb es mir erspart, daß ich auch noch das anziehen mußte, um einer Erfrierung meinerseits noch mehr vorzubeugen. Wäre mir peinlich gewesen, beim Radfahren über dem T-Shirt eine abgeschnittene Krawatte zu tragen und mit dem einen Fuß barfuß, mit dem anderen mit einer an der Ferse durchgewetzten Socke zu radeln. Zuletzt fragten sie noch nach meiner genauen Adresse, nicht einmal die Postleitzahl von Zofingen wußten die Trottel. Auch fragten sie, wie lange ich zur Rückfahrt brauchte. Ich weiß, daß ich per Gesetz nicht verpflichtet bin, derartige Fragen zu beantworten, aber meistens macht man die Sache nur noch schlimmer. Dann durfte ich weiterfahren - pardon: schieben, bis zum Ende der Fußgängerzone.

Dann radelte ich weiter, am Reußufer zog ich wieder das leichtere T-Shirt an. Einmal natürlich aus Trotz, zum anderen, um gewisse Reserven zu haben für den Fall, daß es noch kälter wird (war nicht nötig). Ich überlegte: Einige Radfahrer, denen ich unterwegs begegnete, trugen kurze Hosen, jedoch Windjacken und geschlossene Schuhe mit Socken. Es gab aber nur auch wenige Leute mit Schuhen ohne Socken, übrigens mehr Männer als Frauen (man merkt, daß der Sommer vorbei ist). Aber auch die trugen meist lange Hosen und langärmelige Kleidung. Eine Ausnahme war eine Frau mit indischem Gesichtsausdruck , sie trug ein kurzärmeliges Kleid und Sandalen ohne Strümpfe, war allerdings nicht mit dem Fahrrad unterwegs. Auffällig war auch eine Frau mit japanischem Gesicht, in Minirock, Pelzjacke, Handschuhen und geschlossenen Schuhen mit Kniestrümpfen, ihre Beine schienen blau gefroren. Es gab also einige Leute, die noch irgendein Kleidungsstück trugen, das an Sommer erinnert. Aber ich war der einzige, der kein einziges Kleidungsstück trug, das an Winter erinnerte. Da macht es wohl kaum noch einen Unterschied, ob man Sandalen trägt oder wie ich konsequenterweise auch noch "ganz" barfuß bin. Vielleicht ist bei Temperaturen unter 15°C oder in den Monaten mit "r" ein einziges Sommerkleidungsstück noch "erlaubt", mehr aber nicht. Und wer wie ich gegen dieses "Gesetz" verstößt, wird leicht ein Opfer unfairer Polizeiübergriffe, während den Leuten, die zur gleichen Zeit, "nur" barfuß sind, "nur" kurze Hosen tragen oder "nur" ohne Jacke unterwegs sind, von den Schergen nie ein Haar gekrümmt wird. Oder werden die auch kontrolliert, nur immer dann, wenn ich nicht in der Nähe bin. Wenn ich solche "Sünder" sehe, ist in der Regel keine Polizei dort.

Ich radelte übrigens nicht den kürzesten über die Hauptverkehrsstraßen, sondern benutzte separate Velowege, auf denen teilweise keine Autos fahren dürfen. Einmal war ich nicht darauf angewiesen, so schnell wie möglich zu Hause zu sein. Dann aber auch aus Schadenfreude für den Fall daß die Kantonspolizisten informiert worden sind um mich bei der abermals zu kontrollieren (angeblich natürlich nicht aufgrund von Angaben der Stadtpolizei). Tatsächlich begegnete mir kein Polizeifahrzeug. Auch sah ich nicht allzu viele Leute unterwegs, meist Bauern, die ihre Kühe reinbrachten. Kein einziges böses Wort zu meinen nackten Füßen, nur eine Entschuldigung dafür, daß ich solange warten mußte, während er den Radweg für den Viehdurchtrieb absperren mußte. Lediglich beim Durchfahren der Altstadt von Sursee "hagelte" es große Glotzaugen.

Das war also wieder einmal ein Polizeieingriff, der mit einem demokratischen Rechtsstaat, für den ich die Schweiz ursprünglich gehalten habe, nicht vereinbar ist. Aber wenigstens etwas humaner als die letzte Kontrolle am 6. März, die schon einige Zeit zurückliegt, jedoch in mir derart tiefe Narben hinterlassen hat, daß mir jedes Mal die Galle hochkommt, wenn ich nur daran denke.

Schöne Grüße aus dem Polizeistaat Schweiz

Michael aus Zofingen


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