Ein Nachruf (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 10.10.2005, 15:15 (vor 6925 Tagen)

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Neu-Ulm, 27.7.1992. Ein Fahrrad wartet darauf, endlich die große weite Welt kennen zu lernen, anstatt nur dumm im Laden rumzustehen. Da kommt einer, der gerade dringend ein neues Fahrrad benötigte. Er war zwar nicht auf Weltreise, aber immerhin auf Deutschlandreise. Das Fahrrad war ein Stahlroß im wahrsten Sinne des Wortes, es hatte nämlich eiserne Pedale, die an Steigbügel bei einem richtigen Pferd erinnern. Sollte der Fahrer etwa auch Reitstiefel tragen?

Die große Ernüchterung kam nach wenigen hundert Metern am Ufer der Donau. Dort stand ein nach einem Verkehrsunfall bei Mengen und bis hierhin befördertes, total demoliertes Velo mit viel Gepäck. Alles Gepäck umgeladen, kaputtes Velo im Gebüsch stehen gelassen und weiter. So wird aus einem edlen Stahlroß ein einfacher Drahtesel, der ständig getreten wird. Das tut weh, immer nur getreten. Einziger Trost, daß diese Tritte nicht von Reitstiefeln stammten, sondern von Sandalen ohne Socken, aber selbst dann schmerzen die Tritte, speziell, wenn es über die holprigen Wege der ehemaligen DDR ging.

Wie aber kann man als Fahrrad den Fahrer dazu bewegen, einen nicht mehr so heftig zu treten? Der erste Versuch, einen Schlauch zum Platzen zu bringen, brachte nur kurze Entspannung. Statt getreten wurde nun geschoben, bis endlich ein Laden in Meißen gefunden wurde, wo es passenden Ersatz gab. Auch der Bruch des Gepäckträgers konnte den Fahrer nicht dazu bewegen, weniger zu treten. Ein paar Meter band, das hatte zu halten (und hielt), und wieder diese ewigen Tritte.

Die Deutschlandreise war vorbei, ruhigere Zeiten brachen an, aber irgendwie träumte das Fahrrad davon, nicht wie der letzt Esel getreten zu werden. Ob es was bringt, den Fahrer dazu bewegen, ohne Schuhe zu fahren? Und wie? Bei den Pedalen nur, wenn vorher eine Fakirsausbildung absolviert wird. Oder andere Pedalen her! Ganz zufällig versagten die "Steigbügel" ihren Dienst, und alte Pedalen mit viel Gummi kamen dran. Aber fuhr der Fahrer nun barfuß! Nein! Jahrelang nicht. Erst 2003 siegte die Vernunft des Fahrers, ab und zu ohne Schuhe, aber mehr nicht.

An einem Novembertag ging es nach Giswil. Aus der Sicht eines Fahrrads mit nun barfußfreundlichen Pedalen scheint es wohl merkwürdig zu sein, wenn ein Fahrer die Schuhe erst Erreichen des Ziels auszieht, und sie dann noch auf dem Velo zurückläßt, gut versteckt im Gebüsch. Aber genau das war geschehen. Eine Chance, daß der Mensch endlich vernünftig wird. Es muß nur früh genug dunkel werden, so daß der Fahrer das Rad nicht mehr wiederfindet und mit dem Zug barfuß nach Hause muß !

Genau das geschah. Eine Woche im Gebüsch beim Sarner See zu stehen, um dann abgeholt zu werden, ist wirklich das kleinere Übel, wenn dadurch der Fahrer am liebsten ohne Schuhe Rad fährt. Aber es trat ein. Der Fahrer hatte endgültig die Scheuklappen abgelegt. Der Satz "Barfuß, so was tut MAN nicht" gehörte der Vergangenheit an. Von nun ab spürte das Velo immer mehr nur noch die sanften Tritte von nackten Füßen statt der harten Tritte einer fett beschuhten Person.

Aber wie dem auch sei. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt. Das gilt auch für Velos. Am 9.10.2005 trat das Velo aus dem Neu-Ulmer Fachgeschäft seine letzte Reise an, in die Ambassadorenstadt Solothurn. Auf dem Rückweg bei Derendingen brach das Tretlager. Der Fahrer war barfuß, und nur so war es möglich, einigermaßen noch zurückzukommen. Mit Schuhen wäre das Lager irgendwo zwischen Aeschi und Herzogenbuchsee total an den Ranzen gegangen.

Wie muß man im Falle eine Fahrrades sagen?
Eisen zu Eisen!
Gummi zu Gummi!
Staub zu Staub!
Amen!

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Soweit der Nachruf zu einem Fahrrad, ansonsten könnte man glauben, ich hätte meinen Beruf verfehlt. Aber man Bedenke: Es war aber nicht ein Fahrrad, es war MEIN Fahrrad.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

Ein Nachruf

bix, Stammposter, Monday, 10.10.2005, 15:22 (vor 6925 Tagen) @ Michael aus Zofingen

Michael,

das tut mir sehr leid für Dich. Du hast mein tiefstes Mitgefühl!

Herzliches Beileid ;-)

bix

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