Barfuß bis zum bitteren Ende (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 10.10.2005, 13:07 (vor 6925 Tagen)

Es war am letzten Samstag (8.10.2005). Erst Nebel, aber gegen 11.30 Uhr brach die Sonne durch, die Temperatur stieg rasch. Also rauf aufs Fahrrad, in Träger-T-Shirt, kurzen Hosen und selbstverständlich barfuß. Eine allzu weite Strecke hatte ich nicht vor, denn mein bestes Fahrrad, das ich im Urlaub benutzte, wartet immer noch darauf, eine neue Kette und einen neuen Reifen zu bekommen, und das zweit"beste" besitzt seit etwa 2 Monaten ein nicht mehr ganz rund laufendes Tretlager. Also radelte ich los, Richtung Murgenthal, Aarwangen, Wangen/Aare.

Ich überquerte die gedeckte Holzbrücke, der Fahrzeugverkehr wurde jedoch an der Altstadt vorbeigeleitet, weil die Altstadt selbst wegen eines Marktes gesperrt war. Mir blieb also die Wahl zwischen Altstadt fahrenderweise zu umrunden oder das Fahrrad durch die Altstadt zu schieben, ich entschied mich für letzteres. Gleich hinter dem uferseitigem Stadttor befand sich auf der linken Seite ein Stand, der was besonders "schönes" anbot: Schuhe! Jawohl! Richtig schöne, reichlich eingefettete und in der Sonne glänzende Schuhe! Ist doch toll, was? Und ich weiß jetzt endlich auch, woher der Ausdruck "fett beschuht" stammt!

Ich schob das Velo an den Ständen vorbei durch das andere Stadttor. Da das Städtchen viel zu klein war, um sämtliche Stände innerhalb der Stadtmauern zu beherbergen, waren auch dahinter noch einige Stände und Karussells aufgebaut. Obwohl die Temperatur eher sommerlich war, war ich der einzige Barfüßer im Städtchen. Bezüglich anderer Kleidung hatte ich den Eindruck, als ob viele mit kälterem Wetter gerechnet hatten, es ihnen nun aber zu warm wurde. Jedenfalls hatten viele dicke Jacken oder Wollpullover um die Hüften gebunden. Außer einigen Radfahrern trug auch nur ein Junge kurze Hosen, Leute in Flipflops sah ich nicht, Sandalenträger nur solche, die auch gleichzeitig Socken anhatten. Ein paar große Glotzaugen von Kindern, ein Mann rief "Hochsommer".

Ich radelte weiter in die "schönste Barockstadt der Schweiz", nämlich Solothurn. Hier war ziemlich viel Betrieb in der Altstadt. Es war angenehm, das kühle Pflaster der Altstadtgassen unter den nackten Füßen zu spüren. Ich glaube, daß ich das Rad durch jede Altstadtgasse geschoben habe, durch manche sicher mehr als einmal. Die Reaktionen waren wenig, kaum einer lästerte. Gerade einmal lästerten 2 weibliche Halbstarke über mich, allerdings waren diesmal nicht meine Füße, sondern meine Hose Grund zum Meckern (kamen sie aus russisch-orthodoxen Kreisen?). Einmal vernahm ich eine Stimme: "Solange es so warm bleib!" Allerdings weiß ich nicht, ob es sich auf mich bezog oder auf etwas ganz anderes.

In Solothurn war ich nicht der einzige Barfüßer. An der Aare saß auf einer Mauer eine Menschengruppe, darunter eine Frau, die ihre Halbschuhe ausgezogen hatte. Auch sah ich einige Leute (nur Erwachsene, keine Kinder) in Flipflops oder auch Sandalen ohne Socken, Männer und Frauen etwa gleich viele, nicht etwa deutlich zugunsten der Frauen wie im Hochsommer. Und von den Frauen in Flipflops trugen alle lange Hosen und dicke Pullover oder Jacken, während von den entsprechend beschuhten Männern viele auch sonst sommerlich gekleidet war. Ein Zeichen dafür, daß Männer weniger kälteempfindlich sind als Frauen. Auch ließ ich die Gelegenheit nicht aus, mein Velo durch die Fontänen eines Brunnens vor dem Bieltor zu schieben.

Zurück wollte ich einen anderen Weg fahren. Kurz vor der Brücke über die Emme in Derendingen knackte es plötzlich! Das Tretlager hatte den Geist, eine Lagerschale war zerbrochen. Nun konnte ich nur noch langsamer fahren mit dem mittleren großen Zahnkranz. Mit etwas Geschick konnte ich es so steuern, daß die Kette nicht mal auf, das eine, mal auf das andere Zahnrad sprang. Dabei profitierte ich davon, daß ich keine Schuhe trug, denn mit nackten Füßen hat man ein eierndes Tretlager besser im Griff als mit Schuhen. Ferner kam mir der leichte Rückenwind zu Hilfe und die Tatsache, daß die Straße nicht steigungsreich war. An Steigungen sprang die Kette doch manchmal über.

Trotzdem war mir nicht ganz wohl bei der Sache. Ich mußte damit rechnen, daß ich irgendwann gar nicht mehr fahren konnte. Und von Derendingen ein Fahrrad barfuß nach Hause schieben ist sicher kein Vergnügen (mit Schuhen auch nicht, nicht einmal für Leute, die gerne Schuhe tragen). Also vorsichtig weiter. Würde ich noch bis Herzogenbuchsee kommen? Von dort hätte ich die Möglichkeit, auf die Bahn zu wechseln. Ich schaffte es. Da es warm war und ich keinen Termin hatte, konnte ich es riskieren, weiterzufahren, denn auf der Strecke lagen noch weitere Bahnhöfe (Langenthal, Roggwil/Wynau, Murgenthal, Rothrist), wo ich zur Not mein Velo hätte auf die Bahn laden können.

Mit der Polizei wollte ich auch nichts zu tun haben. Sicher ist es auch im Oktober bei 20°C und Sonne für einen Polizisten kein Grund, einen barfüßigen und kurz behosten Radfahrer anzuhalten. Aber wenn er dann noch das eiernde Tretlager sieht, könnte ich vielleicht Schwierigkeiten wegen Benutzung eines nicht verkehrstüchtigen Velos. Vielleicht fällt man in der Aufmachung aber nicht so auf, denn Velofahrer in kurzen Hosen waren einige unterwegs, und ob man auf die Schnelle erkennen kann, ob der Radfahrer leichte Sandalen oder ohne jegliche Fußbekleidung unterwegs ist, sei mal dahingestellt. Wenn man dagegen aufgrund eines Schadens sein Fahrrad schiebt und dieses entlang befahrener Landstraßen, dann fällt man der Polizei auf, in jedem Fall. Wenn man dann auch noch keine Schuhe trägt, hält die Polizei garantiert an. Vermutlich würde sie bei einem beschuhten "Schieber" anders reagieren. Letzterem würde sie glauben, wenn er sagt, das Tretlager wäre unterwegs kaputt gegangen. Einem Barfüßer würde sie eher unterstellen, er wäre bereits so los gefahren, nach dem Motto: Wer schon barfuß läuft und somit von der Masse unterscheidet (egal ob aus Armut oder sonst wie), der hat auch keine Skrupel, mit einem kaputten Velo am Straßenverkehr teilzunehmen. Zwar heißt es "Im Zweifel für den Angeklagten" und man kommt ungeschoren davon, weil die Polizei den Nachweis erbringen müßte, daß man mit kaputtem Velo losgefahren ist, aber unangenehm ist es trotzdem.

Aber ich hatte Glück. Zwar begegnete mir im "Froschkreisel" bei Roggwil eine "Bullenschleuder", aber es paßte gerade so, daß die Beamten wohl nur meinen Oberkörper erkennen konnten, während ihnen die Sicht auf Füße und Tretlager durch den Bewuchs im Verkehrskreisel versperrt war. Ganz davon abgesehen, daß auch ein Polizist in solchen Situation auf den Verkehr konzentrieren muß und daher nicht zufällig Ausschau auf nackte Füße haben kann. Wer die Beamten dagegen aufgrund von Spießeranrufen einem "gemeingefährlichen" barfüßigen Radfahrer auf der Spur waren, dann hätten sie mich auch so erkannt.

Erkannt wurde ich allerdings von einer Arbeitskollegin, die mich mit dem Auto überholte, sie hielt meine Aufmachung nicht für erwähnenswert.

Gegen 17 Uhr war ich zu Hause, Diagnose: Eine Reparatur lohnt sich nicht mehr. Das Velo wird ausgemustert Alles, was nicht niet- und nagelfest wird, wird demontiert, der Rest wird fortgerührt. Bis zum Einbruch der Dunkelheit begann ich mit der Totaldemontage, barfuß natürlich. Jetzt steht es halb ausgeschlachtet im Keller, für Kurzstrecken muß ich nun auf mein dritt"bestes" Velo zurückgreifen.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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