Barfüßiger Fahrradurlaub - 9. Etappe (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen, Stammposter, Monday, 26.09.2005, 16:19 (vor 6939 Tagen)

Montag, 12.9.2005: Ich hatte unter dem "Dach" des Alt-Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer im Schlafsack übernachtet. Es hatte in der Nacht geregnet, und wie! Aber unter der Brücke war ich ebenso wie und mein Fahrrad trocken geblieben. Um 7.30 Uhr verließ ich den Platz, es regnete nicht mehr, aber der Himmel war grau in grau. Ohne Regenjacke konnte ich nun losradeln, denn direkt kalt war es nicht. Trotzdem waren die meisten Radfahrer, die mir entgegenkamen, deutlich winterlicher angezogen, nicht nur bzl. Fußbekleidung, die bei mir völlig fehlte, auch im Gepäck. Kurz vor Remagen fing es an zu regnen, "Riesensieche" von Regentropfen fielen vom Himmel, also Regenjacke anziehen. Ich kam an den Resten der schicksalsvollen Eisenbahnbrücke von Remagen vorbei, diesmal auf der "richtigen" Seite (aber das Brückenmuseum hatte zu so früher Stunde wohl noch nicht offen).

Kurz vor Andernach hörte der Regen auf, so daß ich die Regenjacke wieder im Gepäck verbannen konnte. In Andernach schob ich mein Velo barfuß durch die historische Altstadt, die ich schon von früher kannte. Anders als an den Tagen zuvor gab es doch deutlich mehr erstaunte Blicke als in anderen Städten zu meiner Aufmachung. Was doch so ein paar Grad und Wolken ausmachen!

Weiter radelte ich nach Koblenz, auch zum Deutschen Eck. Wegen der starken Niederschläge gab es etliche Pfützen vor und auch auf dem Denkmal, was zwar angenehm beim Barfußlaufen ist, jedoch das Radfahren bei trübem Wetter bei weitem nicht entschädigt. Während in der Nähe des Denkmals ich höchstens erstaunte Blicke erntete, lästerten in anderen Teilen der Altstadt Jugendliche über meine Barfüßigkeit, speziell in der Nähe eines Zeltes. Also radelte ich weiter, auch in Boppard lästerten Jugendliche bei meinem Schieben des Velos durch die Altstadt, und ältere Leute redeten über mich. Aber das störte mich nicht. Auch in St. Goar, Oberwesel und Bacherach stieg ich vom Rad, um mehr von den historischen Städten zu haben. In einer der Städte war auch Weinfest, mit anderen Worten: die Hemmschwelle zum Lästern war tiefer als sonst.

So kam es, daß ich bereits relativ früh (ca. 16 Uhr) in Bingen war, wo ich eigentlich die Nacht verbringen wollte. Ich entschloß mich, einen Aldimarkt aufzusuchen, um meine Lebensmittelvorräte zu ergänzen. In Ingelheim fand ich einen. Vom Personal und von Kunden sagte niemand etwas zu meiner Barfüßigkeit. Nicht einmal die Besatzung eines Polizeifahrzeuges, das auf den Aldiparkplatz fuhr, interessierte sich für mich. Ingelheim ist halt nicht Zofingen.

Da ich eigentlich nicht nach Ingelheim wollte (und auch nicht die Richtung einschlagen), radelte ich erst einmal in Richtung Rheinufer. In der Nähe der Fähre gibt es ein Naturschutzgebiet, wo ich eine längere Pause machte. Setzen konnte ich mich da nirgendwo, da alles naß war. Das machte aber auch nichts. Denn während ich beim Essen langsam auf und ab ging, spürte ich den nassen Boden unter den nackten Füßen. Obwohl ich an diesem Tag noch gar nichts gegessen hatte, hatte ich auch jetzt keinen richtigen Hunger. Lag es etwa daran, daß ich zwei Tage zuvor, nämlich am Tag der Höhlenbesichtigung mich einmal nicht sonderlich bewegt hatte und außerdem zweimal am Tag warm gegessen hatte, was ich eigentlich nur bei Dienstreisen kenne?

Ich radelte wieder zurück nach Bingen. Zunächst einmal suchte ich die Stelle, an der ich schon mal übernachtet hatte, nämlich unter einer Straßenbrücke über die Nahe. Ich fand die Stelle, empfand sie auch als geeignet und räumte noch ein paar Scherben weg, damit ich später, wenn es dunkel war, nicht in sie treten würde. Zum Schlafen war es allerdings noch zu früh, also radelte ich zurück in die Innenstadt von Bingen. Hier war auch gerade Weinfest. Auch hier schob ich das Velo durch etliche Straßen der Altstadt, während es langsam eindunkelte. Auch betrachtete ich einige Läden. In einem Bücherladen sah ich auch ein Buch über das historische Bingen, auf dem Umschlag war eine Straßenbahn [image] abgebildet!

Weiter schob ich das Rad, es fing an zu regnen. Sollte ich mich unterstellen und warten, bis der Regen vorbei war? Oder sollte ich die Regenjacke hervorkramen und weitergehen. Da ich einerseits einen geeigneten Laubengang fand, in dessen Nähe auch noch Musik in einem Zelt gespielt wurde, entschied ich mich für ersteres. Eine Frau kam auf mich zu und sagte: "Sie sehen so abgemagert aus, haben Sie Hunger!" Ich verneinte, und es war wirklich nicht erlogen. Ich hatte tatsächlich keinen. Ich erzählte ihr, daß ich am Morgen in Bonn gestartet wäre und mit dem Fahrrad nach Bingen gekommen wäre. Ich wäre übrigens häufiger mit dem Fahrrad unterwegs und hätte vielleicht deswegen kein Gramm Fett auf dem Leib. Die Frau war erstaunt. Etwa eine halbe Stunde später kam eine andere Frau, gab mir 2 Euro und sagte: "Kaufen sie sich etwas zum Essen, sie sind ja total ausgehungert!" Sehr schnell entfernte sie sich. Das war mir doch zuviel. Ich verließ die Innenstadt (mittlerweile war es wieder trocken) und radelte in Richtung Nahebrücke. Hatte mich die Frau für einen Penner gehalten? Oder für ein "armes Hartz-Opfer?" Gewiß, ich war barfuß und auch ansonsten nicht allzu winterlich gekleidet, aber kalt war es ja nicht. Sah man meinem Fahrrad denn nicht an, daß es eher ein teures Ding ist, keine Billigware? Gewiß! Im Dunkeln erkennt man das weniger, speziell dann, wenn vom Fahren über nasse Sandwege einiges eingespritzt war, auch das Gepäck. Wird man als schlanker Mensch denn eher für arm gehalten als als übergewichtiger? Ich sehe nicht ein, daß ich mir eine Wampe anfresse, nur damit ich seltener von anderen Leuten verzeigt werde.

Ich erreichte die Brücke, unter der ich trotz weiterer Regenfälle in der Nacht trocken blieb. Ich schlief ein, müde von den Strapazen des Tages. Aber wenigstens meine Füße haben den Regen überstanden, wer hätte das gedacht.

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

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