... und die Antworten (Hobby? Barfuß! 2)
Hi Bernd!
Gerne beantworte ich Deine Fragen.
1. Was ist "rechte Gottesverehrung"? Ich meine, gibt es auch "linke" bzw. "falsche" Gottesverehrung?
Orthodoxie, d. h. Glaube, Lehre und Praxis der Orthodoxen Kirchesind nach ihrem (und meinem) Verständnis rechte, also richtige Gottesverehrung, wie es die Bezeichnung "orthodox" erkennen läßt: "orthos" bedeutet "gerade" und in übertragener Bedeutung "recht, richtig" und "doxa" bedeutet sowohl "Glaube" als auch "Lobpreis".
Die Orthodoxe Kirche ist also die Kirche, die den rechten Glauben bekennt und Gott den rechten Lobpreis entgegenbringt. Was nicht orthodox ist, das ist heterodox, also nicht rechtgläubig, sondern andersgläubig. Ich würde also nicht von "linker" oder "falscher" Gottesverehrung außerhalb der Orthodoxen Kirche sprechen, sondern von "anderer" Gottesverehrung, die von der "rechten", also richtigen, abweicht.
2. Inwieweit ist Klerikern deine Vorliebe fürs Barfußlaufen bekannt, und welche Reaktionen gab es bislang darauf?
Der Protodiakon unserer Gemeinde weiß genau, daß ich nahezu meine gesamte Freizeit barfüßig zubringe, und geht gelegentlich sogar selbst barfuß (freilich nie in der Kirche, sondern nur privat); bei der Bundestagswahl 2002 war er sogar barfuß im Wahllokal. Die mir bekannten Priester wissen oder ahnen es ebenfalls, und daß ich nie Sokken trage, wissen sie auch und können damit leben. Es ist in der gemeinde kein Thema; höchstens im Winter werde ich manchmal darauf angesprochen, ob mir nicht kalt sei, was ich stets verneine. Es ist eben eine Eigenheit von mir, an die man sich gewöhnt hat und an der man sich nicht weiter stört. Erschiene ich nun barfuß zur Göttlichen Liturgie, könnte es sein, daß ich damit "den Bogen überspanne" und es als Provokation aufgefaßt werden könnte, und das möchte ich nicht.
3. Wenn du auf den kirchlichen Dresscode achtest, beugst du dich da den Manifestationen deiner orthodoxen Religion oder nicht zuletzt doch eher dem persönlichen Kleidungsgeschmack deines Chef-Priesters?
In erster Linie beuge ich mich, um Deine Formulierung aufzugreifen, "den Manifestationen meiner orthodoxen Religion", welche ich sehr ernst neheme (schließlich habe ich mir meine Religion in Freiheit ausgesucht). Shorts und andere freizügige Bekleidung erregen in jeder orthodoxen Kirche Anstoß und werden meines Wissens höchstens bei ganz kleinen Kindern geduldet. Ich selbst kann mit diesem "Dresscode" schon deshalb gut leben, weil er weitgehend meinem persönlichen Stil, den ich ohnehin auch "von selber" pflege, entspricht. der einzige Punkt, in dem sich Abweichungen ergeben, ist die Frage des Barfußlaufens bzw. des für den Altardienst als angemessen geltenden Schuhwerks. Der Pfarrer der St. Konstantin und Helena- Gemeinde wünscht geschlossenes Schuhwerk, also Slipper oder höchstens Sabots, und hier beuge ich mich eindeutig den Weisungen des Priesters, weil mir der Altardienst in diesem Falle wichtiger ist als persönliche Geschmacksfragen in puncto Kleidung (immerhin hat er nichts gegen meine Sokkenlosigkeit einzuwenden). Bei anderen Priestern ist auch der Dienst in Sandalen möglich, und an dieser Freiheit erfreue ich mich, wenn ich weiß, daß der Pfarrer an einem bestimmten Sonntag nicht da ist und ein anderer Priester die Leitung hat.
Ich fühle mich auch nicht übermäßig in meiner persönlichen Freiheit beschränkt, weil mir ja auch so noch genug Zeit fürs Barfußlaufen bleibt, und die nutze ich bekanntlich weidlich aus.
4. Gab es schon mal einen Mann mit lackierten Zehennägeln in eurer Kirche?
Nein, ich habe noch keinen mann mit lakierten Zehennägeln in unserer Kirche gesehen; ein solcher würde aber vermutlich großes Befremden unter den Gemeindemitgliedern erregen.
5. Inwieweit kannst du deine Persönlichkeit in dieser Glaubensgemeinschaft entfalten?
Bis auf die Tatsache, daß barfüßiges Erscheinen dort FÜR MICH nicht angebracht wäre, kann ich meine Persönlichkeit in dieser Glaubensgemeinschaft sehr gut entfalten; die Beziehung zum Protodiakon als meinem geistlichen Hirten (den ich mir selbst als solchen erwählt habe, weil ich ihm vertraue) und zu einigen anderen Menschen aus der Gemeinde bedeuten mir sehr viel, und ich bringe mich gern ein und arbeite mit (und gehöre daher stets zu denen, die die Kirche am frühen Nachmittag als letzte verlassen, weil es nach jeder Göttlichen Liturie zu essen und noch viel mehr abzuwaschen und aufzuräumen gibt). Ich fühle mich in der Orthodoxen Kirche weit mehr akzeptiert und zu Hause und wesentlich freier als in der römisch- katholischen Kirche, der ich früher (bis 1998) angehört hatte. Außerdem studiere ich Orthodoxe Theologie, weil ich meine Religion von ganzem Herzen liebe. Das Herz, die Herzenshaltung spielt eine große Rolle in der orthodoxen Spiritualität, es ist ein "Glauben aus dem Herzen" (so auch der Titel eines sehr empfehlenswerten einführenden Buches von Georg Galitis, Georg Mantzaridis und Paul Wiertz, 4. Aufl., München 2000)
...ich weiß, ziemlich viele Fragen, aber sie sind nicht provokant, sondern ehrlich gemeint, und ich hoffe auf deine Aufgeschlossenheit.
Bernd
Ich hoffe, daß ich Deine Fragen einigermaßen hinreichend beantwortet
habe, und ich habe sie auch nicht als provokant, sondern als interessiert und ehrlich gestellt empfunden. Wer solche Fragen stellt wie Du, bekundet aufrichtiges Interesse, und das ist weit besser, als möglicherweise unhinterfragt an irgendwelchen Vorurteilen festzuhalten.
Barfüßige Sommergrüße,
Markus U.