Samstag, 20.8.2005: Bisher habe ich noch nie barfuß eine Höhle besucht. Die in Wiehl steht mir noch bevor, nun aber bot sich die einmalige Möglichkeit, eine Höhle ganz in der Nähe zu besichtigen. Es handelt sich aber nicht um eine natürliche Höhle, sondern um eine künstliche, genauer gesagt um den Festungsdurchstich im Zuge der Stadtkernumfahrung von Aarburg. Es war nämlich ein Tag der offenen Baustelle.

Ob man mich da barfuß reinlassen würde? Die Weichen dazu stellte ich bereits zu Hause, indem ich mich entschied, keine Schuhe mitzunehmen. So radelte ich barfuß zum Aarburger Bahnhof, wo ich mein Velo abstellte. Von hier waren es gerade gut 100 Meter bis zum Informationspavillon der Baustelle. 10 Minuten später sollte eine Vorführung sein. Keiner im Pavillon reagierte auf meine nackten Füße, weder von den Zuschauern, noch von den Vortragenden: Der erste Vortragende war zufällig auch Zofinger Stadtrat, dann sprach ein Großrat und dann ein Bauingenieur, war recht interessant.

Dann folgte der nächste Teil: Eine Führung über die Baustelle. Würde mich der "Führer" ansprechen? Nein, er tat es nicht. Ich war übrigens der einzige, der keine Schuhe trug, die meisten trugen Wanderschuhe, Turnschuhe, Halbschuhe, Gummistiefel, aber niemand Sandalen. Da es in der Nacht vorher geregnet hatte, wären Gummistiefel die einzig vernünftigen Schuhe gewesen, als, wie ich feststellte, nicht das einzig vernünftige. Im Tunnel, der bergmännisch durch den Fels getrieben wurde, war zwar nicht gerade ein roter Teppich, aber immerhin ein schwarzer Filzläufer eingelegt. Obwohl es außerhalb des "Teppichs" recht steinig war, war es dank der Nässe recht angenehm zu begehen. Anderswo war Asphalt, anderswo Beton, teilweise auch Holzbretter. Also so ziemlich alles, was das Herz eines Barfüßers höher schlagen läßt.

Die Reaktionen hielten sich in Grenzen. Häufig hörte man aus einem Kindermund: "Der läuft ja barfuß!" Worauf einmal die Antwort eines Erwachsenen lautete: "Wenn er es will!" Einmal sprach auch jemand: "Der bekommt wenigstens keine dreckigen Schuhe!" Worauf ein anderer sprach: "Der bekommt dafür dreckige Füße!" An einer Ausstellungstafel auf der Baustelle sagte eine Auskunftsperson zu mir: "Sie sind aber mutig!" Worauf ich antwortete: "Ich habe keine Lust zum Schuhe putzen."

Am Ende gab es noch eine Wurst und ein Getränk kostenlos in einem Zelt. Da Aarburg nicht in den USA liegt, rechnete ich auch nicht mehr damit, daß man mich an der Theke abweisen würde. Das geschah auch nicht. Auch ein Arbeitskollege, der den Tag der offenen Tür besuchte, sagte nichts zu meinen nackten Füßen. Ich hatte einen Sitzplatz, von dem ich beobachten konnte, wie die Leute ihre Schuhe putzten oder mit dem Wasserschlauch die Gummistiefel abspritzten. Ich vermute, daß diese Einrichtung nicht extra für den Tag der offenen Tür aufgestellt wurde, sondern normalerweise dazu dient, daß Bauarbeiter nicht mit dreckigen Schuhen ins Auto müssen. Bei vielen Leuten, speziell Kindern, waren nicht nur die Schuhe vermohrt, sondern auch die Hose (letzteres passiert also nicht nur Markus U. in Österreich). Manch einer fluchte. Ich gebe zu, daß eine gewisse Schadenfreude in mir hochkam, als ich sah, wie einige sich abquälten, den "Mohr" von den Schuhen zu bekommen.

Auf dem Rückweg machte ich noch einen Umweg über Olten und Boningen, bevor ich nach Hause radelte und der Regen einsetzte. Im ganzen hat mir der barfüßige "Höhlenbesuch" sehr gefallen. Ob ich der erste Barfüßer in dieser Höhle war? Und wer wird der nächste sein? Einer, der mich gesehen hat und auf den Geschmack gekommen ist? Oder erst einer, der die "Höhle" dazu benutzt, wofür sie gedacht ist, nämlich das Städtchen Aarburg zu umfahren? Also ein barfüßiger Verkehrsteilnehmer? Da der Tunnel vermutlich nur für motorisierte Fahrzeuge zugelassen wird, wird der nächste Barfüßer im Tunnel wohl ein Autofahrer sein, also nicht ich. Es sei denn, ich schaffe mir deswegen ein Auto an. Aber nur um barfuß durch den Tunnel zu dürfen, ist mir der Preis eines Autos doch zu hoch. Bis zum 31. März 2007 habe ich noch Zeit, mir das zu überlegen. Dann soll nämlich der Tunnel dem Verkehr übergeben werden. Vielleicht haben an dem Tag aber auch Fußgänger die Möglichkeit, den fertigen Tunnel zu durchschreiten. Falls das der Fall sein sollte, dann müßte ich schon heute, welche Schuhe ich dann anziehen müßte: gar keine.

Erwartungsvolle Grüße

Michael aus Zofingen