So was t(h)ut man(n) nicht in Zofingen (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 19.07.2005, 08:20 (vor 7010 Tagen) @ Walter (CH)

Hallo Walter!

"....es war der Kunde, der hinter mir stand. Und Du denkst also, es war der Ordnungshüter, der in Zofingen auf unsittlich bekleidete (oder eben entkleidete) Leute aufpassen muss? Da bin ich ja froh, dass ich mindestens ein T-Shirt übergezogen hatte, das ist bei mir nämlich alles andere als selbstverständlich. Vielleicht waren ihm ja meine Laufshorts (mit denen ich in der ganzen Schweiz herumreise und die eine Viertelstunde vorher selbst in der Cafeteria des Altersheims toleriert wurden) auch ein Dorn im Auge. Das heisst also in Zukunft: Nach Zofingen nur noch in langer Hose, Hemd, Krawatte, Kittel, Socken, Schuhe. Wird vielleicht noch ein Hut verlangt?"

Ob es sich wirklich um einen Ordnungshüter in Zivil handelte, kann ich nicht sagen. Nur: Welcher JUNGE Mann würde einen höflich darauf aufmerksam machen, daß Schuhe erwünscht sind? Eigentlich nur ein Besitzer oder Angestellter im jeweiligen Geschäft, in dem er tätig. Außerhalb des Geschäftes (noch dazu im fremden Hoheitsgebiet) würde er kaum jemanden ansprechen. Außer es handelt sich um einen Ordnungshüter. Das relativ neue Gebäude (es wurde anstelle des alten Güterschuppens am Zofinger Hauptbahnhof errichtet), in dem sich der Aperto-Laden befindet, beherbergt übrigens noch ganz andere Dinge: einen Kiosk, die Post, den Posten der Kantonspolizei und "selbstverständlich" das Gefängnis, das übrigens mehr als zwei Zellen besitzt. Es brauchen also keine Mörder, Brandstifter, Steuersünder usw. auf freien Fuß gesetzt werden, wenn man denjenigen, die gerne auf freiem Fuß leben, das Vergnügen nehmen will. Wenn also ein Barfüßer mit der Bahn anreist und es sogar wagt, so den Aperto oder den Kiosk zu betreten, dann kann die Polizei gleich zuschnappen und einlochern. Der Hut gehört demnächst wohl auch zur obligatorischen Kleiderordnung, aber (und das gilt nur für Männer): Beim Betreten der reformierten Zofinger Stadtkirche und vor allem der katholischen Kirche ist der Hut (und NUR dieser) abzunehmen. Einen Hut im Gottesdienst aufbehalten? So was thut mann nicht!

"Ich verlange, dass eine Untersuchung gemacht wird über die Standardbekleidung von Triebtätern (wäre doch sicher wieder eine Möglichkeit, ein paar Millionen Steuerfranken zu verlochen). Ich bin überzeugt, dass solche Leute ganz harmlos und unauffällig (also ja nicht barfuss, ja nicht in Shorts und ja nicht mit nacktem Oberkörper) herumlaufen, möglicherweise sähen sie dem einen oder andern unserer Politiker zum Verwechseln ähnlich.... "

Da der Steuerfuß der Stadt Zofingen vergleichsweise niedrig ist, würde es wohl noch drinliegen, ein paar mehr Steuerfranken zu verlochern. Ich habe mir mal Gedanken darüber gemacht, welche Art von Verbrecher häufiger durch Barfußlaufen oder/und Tragen von eher leichter Kleidung in der Öffentlichkeit auffallen als die Allgemeinheit. Und ich kam zu dem Schluß: Weder Triebtäter, noch Massenmörder, noch Brandstifter, noch Ladendiebe, noch Wirtschaftskriminelle fallen häufiger durch leichte Kleidung auf, im Gegenteil. So gut wie alle Verbrecher tragen sogar prozentual häufiger "bedeckte" Kleidung als die Allgemeinheit. Das trifft selbst für Exhibitionisten zu. Diese präsentieren sich zwar manchmal mit zu wenig gegenüber der Öffentlichkeit, das geschieht aber nur kurzzeitig. Außerhalb ihrer "Dienstzeit" sind sie meistens sogar SEHR bedeckt.

Wer ist überhaupt Schuld, daß einige Leute, speziell Polizisten, der Meinung sind, daß sich hinter einem leicht bekleideten Menschen ein Verbrecher oder einer, der aus der Klappsmühle ausgebrochen ist, steckt? Das sind die Eltern der Kinder und das ist das Fernsehen. Mir hat mal einer erzählt, daß es einen Film gegeben hat, in dem ein äußerst brutaler Kinderschänder immer kurze Hosen trug (barfuß war er vermutlich nicht). Nur: Der besagte Täter war arbeitslos, die Handlung spielte im Hochsommer im heißen Florida. Dort ist es aber nicht unüblich, bei heißem Wetter kurze Hosen zu tragen, solange dienstliche Verpflichtungen (und die hat ein Arbeitsloser ja nicht) irgendeine Anzugsordnung vorschreiben. Wenn so ein Film dann im November im deutschsprachigen Raum übertragen wird, und gerade dann taucht ein Mann im wirklichen Leben derart leicht bekleidet auf, dann wenden äußerst sensible Leute gleich den Umkehrschluß an.

"der Zofinger Schultheiss Niklaus Thut hat sich ja in der Sempacher Schlacht durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet (er soll das Zofinger Fähnchen gerettet haben, indem er es angesichts des sicheren Todes in den Mund stopfte) (war das Fähnlein so klein oder der Mund so gross??). Beweisen wir also die gleiche Tapferkeit barfüssig vor der Zofinger Hermandad! "

Niklaus Thut war in der Tat einer der Zofinger Bürger, die in der Schlacht bei Sempach ihr Leben ließen. Noch heute wird er in Zofingen als Held gefeiert, wobei man aber nicht gerne erzählt, daß Zofingen damals noch zu Habsburg gehörte und Thut GEGEN die Schweizer Eidgenossen gekämpft hat. Vor wenigen Jahren (noch während meiner Vorbarfußzeit) feierte Zofingen seinen achthundertsten Geburtstag, zu diesem Anlaß wurden im Zofinger Stadtsaal Veranstaltungen abgehalten, darunter kam auch die Familie Thut vor, eine Szene zeigte den Helden kurz vor dem Abmarsch, während Frau und Kinder (ein Junge und ein Mädchen) zurück bleiben. Selbstverständlich in der damals üblichen Kleidung (oder zumindest in der Kleidung, die man damals für üblich hielt). Mit anderen Worten: Vater und Mutter Thut waren fett beschuht, die Kinder traten barfuß auf der Bühne auf. Und das besondere: Als ich zum Stadtsaal ging, befanden sich einige der Laienschauspieler - teilweise rauchend - vor dem Gebäude, darunter auch die Thut-Kinder (nicht rauchend). Das Mädchen lief auch draußen barfuß, obwohl es an diesem trüben Septembertag nur etwa 16°C war. Dem Knaben dagegen war es wohl zu kalt draußen, er trug moderne Turnschuhe und Socken in Kombination zur historischen Kleidung.

Schöne Grüße
Michael aus Zofingen


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