Bericht: Wanderung nach Zons (Hobby? Barfuß! 2)

Michael K. (BO), Stammposter, Monday, 04.07.2005, 06:09 (vor 7025 Tagen)

Eine leicht surreale Nacht: Schlaflos. Unbewegte Luft. Kurz vor drei Uhr eine Einbruchmeldeanlage eines Geschäftes ein paar Straßen weiter, die partout nicht verstummen will. Auf den Weg zum Nachsehen gemacht, unterwegs hell erleuchtete Fenster gesehen, die Stimmen von Nachbarn gehört, welche sich über die Ruhestörung beklagen. "Wir kümmern uns drum", bringt einer der längst anwesenden Polizeibeamten zwischen den Zähnen heraus, erwidert immerhin meinen Gruß mit dem Wunsch nach einer guten Nacht. Die Sirene verstummt, ein blödes Gefühl bleibt. Im Deutschlandfunk wie stets in der Nacht zum Montag experimentelle, "neu" genannte Musik, die in Verbindung mit Dunkelheit und der Erwartung einer neuen Woche bei mir regelmäßig tiefe Eindrücke hinterlässt. Da ich ohnehin wach bin, liegt die Ablenkung durch das Schreiben dieses Berichtes nahe.
Denn, a propos Radio, wer in Nordrhein-Westfalen eines trockenen Sommers vor vielen Jahren den Verkehrsfunk hörte, wurde halbstündlich mit der Meldung beglückt, dass die Rheinfähre Urdenbach--Zons ihren Betrieb eingestellt habe. Der für westfälische Ohren leicht surreale Klang von "Urdenbachzons" sicherte diesen Orten einen trockenen Platz in meinen Hirnwindungen. Was ist Zons? Ich sollte es jetzt erfahren.
Der Weg nach Zons
Barfußwanderungen sind ein Selbstläufer. Das tiefere Nachsinnen über die innere und äußere Logik dieser These würde in diese Nacht passen, sie muss jedenfalls nicht automatisch wahr sein, aber am Ende kamen doch insgesamt neun verschiedene Menschen, um bei dieser jüngsten Tour mitzumachen. Jan (NRW) hatte sie dankenswerterweise initiiert, und neben der Auswahl der Route mit der Bestellung des passenden Wetters dafür gesorgt, dass es ein gelungener rechts- und linksrheinischer Nachmittag wurde.

Zwanzig Minuten nach der vereinbarten Zeit waren mit Heinz-Josef, Eugen, Georg, Dieter (DU), Jan ES, Birgit und Jan (NRW) fast alle Erwarteten auf der repräsentativen Freitreppe des Schlosses Benrath im Süden Düsseldorfs versammelt. Michael (BN) hatte sich verfranst und stieß später an der Fähre hinzu, Rainer (DO) ging leider verschütt.

Trotz also rechnerisch-gruppendynamisch idealer Größe bildeten sich fortan meistens zwei unterschiedlich zusammengesetzte Grüppchen, die mal schneller, mal langsamer, mal lauter, mal leiser voranschritten. Zunächst setzen wir unsere blanken Sohlen auf die mild feuchten Wege des als Demonstration von Macht und Wohlstand im sterilen englischen Stil angelegten Benrather Schlossparkes, längs eines Teiches und durch ein Wäldchen. Kurz vor Erreichen des Rheinufers hätten wir die Dienstleistung einer Ich-AG in Anspruch nehmen können, wenn wir denn Schuhe getragen hätten. Unter herzhaften Gelächter posierte Jan ES mit dem Schuhputzer, der leider keinen Nagellack oder Ähnliches im Angebot hatte, sich aber erfreute zeigte, dass einige aus der Gruppe neben der guten Stimmung auch eine Spende hinterließen. "Sie sind die ersten Barfüßigen, die mir etwas geben", meinte er, und berichtete, dass dies in der Fußgängerzone Düsseldorfs anders gewesen sei.

Weiter nach links entlang der Uferstraße und durch eine Siedlung, dann in die Urdenbacher Rheinaue. Vorbei am Haus Bürgel, über einen Reiterweg. Schlammige Pfützen konnte man hier genießen und sich für den Rest des Tages die eines Erdenbewohners würdigen dunklen Ränder an den Zehennägeln holen, auch ein feiner steinloser Waldweg war im Angebot und ein Pfad mitten zwischen Weizen- und Schachtelhalmen hindurch. Kein Lüftchen wehte über die weite blassgelbe Agrarsteppe, die Wärme war erheblich, die Sonne durch Wolken gefiltert.

Wieder am Rheinufer, nun weiter flussaufwärts als zuvor, konnten wir uns durch die Fußprobe von der badefreundlichen Temperatur des Wassers überzeugen. Bis zur Fähre mit dem Strom. Ein wenig herumsitzen und -stehen beim Warten auf das Schiff, dann das mäßig heiße Metalldeck. In Zons angekommen über das an diesem Ende der Fähre überraschend extrem heiße Deck gehüpft, hinein in den Ort. Nächste Frage: Erst im Eiscafé erfrischen, oder erst einen Rundgang durch die Stadt? Die Hitze zollte ihren Tribut, und so kehrten wir gegen halb vier Uhr ein. Unangemeldet mit neun Personen fanden wir natürlich nicht einen ganzen freien Tisch, aber es kamen doch alle bequem zum Sitzen und zum Verzehr von Eis, Wasser, Waffeln mit Erdbeeren oder Kirschen, zu Cola und Ähnlichem.

Die Festung Zons zeichnet sich dadurch aus, dass ihre mittelalterliche Stadtmauer bis heute erhalten geblieben ist und dieses Erbe mit sichtbarem Stolz präsentiert wird. Beim Gang durch die Gassen und Straßen spürte ich jedenfalls ansatzweise den historischen Grund, auch wenn es heute kein historisches Kopfsteinpflaster mehr gibt, und empfand die Bebauung als eindeutig altmodisch. Wirtschaftswunderzeit vielleicht. Ein recht reger Ausflugsverkehr ist jedenfalls für diesen Stadtteil von Dormagen zu verzeichnen, und wer entsprechend geneigt ist, kann dort bestimmt einen erholsamen Tag verbringen.

Nach geraumer Zeit hatten wir die Pause beendet und machten wir uns wieder auf. Heinz-Josef verließ uns gen Heimat, und wir Übrigen wichen dem geschotterten Weg um die Stadtmauer mit einem unauffälligen Abstieg hinein in den früheren Stadtgraben aus. Auf dem fruchtbaren, dicht bewachsenen Boden an seinem Grund gediehen neben diversen Gräsern ein paar Brennesseln, die brennendes Interesse weckten und den Pfad antirheumatisch gestalteten. Zurück aus dem Graben, prangte das A für Anarchie an einer Wand, und wer wollte, konnte als Bürgerschreck posieren...
Kühle Wege
Wolken hatten nun länger vor der Sonne herumgehangen, das Fährendeck war, außer über dem Schiffsdiesel, deutlich kühler. Zurück ging es nicht mehr im weiten Bogen durch die Rheinaue, wie auf dem Hinweg, sondern auf kürzester Route stromabwärts. Der Grund war auf diesem Stück aber so bemerkenswert, dass alle ihn lobten: Wir konnten zunächst zwischen Sand und Lehm wählen, bis sich später beide Wege vereinigten und der glatte Lehm blieb, der mühelos und angenehmst zu nutzen ist. Seine Feuchtigkeit sorgt für die an einem solchen Tag unerlässliche Kühlung von unten. Solche Kleinode, betonte Georg, gibt es überall, man muss sie eben finden.

Zurück im Schlosspark Benrath. Vor der Freitreppe gab es noch einen Ausblick auf die nächsten möglichen Wanderungen, die Verabschiedung, und dann löste sich die Gruppe knapp sechs Stunden nach ihrer Formierung auf.

Wo bleiben eigentlich die Reaktionen der anderen Leute, werden sich vielleicht einige Leser jetzt fragen? Es gab sie natürlich, aber ich habe sie nicht beschrieben, weil ich kaum darauf geachtet habe. Ich finde, dass nach all der Zeit Barfüßigkeit immer normaler wird, und für mich lag an diesem Tag der Fokus eindeutig auf anderen Dingen, auf netter und/oder tiefgründiger Unterhaltung mit alten und neuen Bekannten, auf dem Aushaltens der Hitze, auf dem Klang eines Sonntages, an dem sich das Land vor einer ungewissen Zukunft über die Ablenkung freut. Mir hat es nach einer achtundzwanzigmonatigen Pause wieder gefallen, auch wenn sich solche Wanderungen heute anders anfühlen als damals, das Wiedersehen machte Freude, meine Erwartungen wurden noch übertroffen, und insbesondere möchte ich nochmals den beiden edlen Spendern danken. Was dem inen sin Uhl...

Es gab auch ein paar Barfußsichtungen, hauptsächlich bei Kindern, das und auch anderes, was ich vergessen habe, mögen gegebenenfalls die anderen nachhalten. Nennenswert war eine Sichtung im um einen Wagen zu kurzen, deshalb knackig vollen, Eilzug heim gen Ruhrgebiet: Ein halbes Dutzend offenbar vom Christopher Street-Day in Köln kommende Frauen Ende Dreißig/Anfang Vierzig, von denen eine wohl schon länger keine Schuhe mehr getragen hatte, so gebräunt und gepflegt, mit Straßenstaub an den Sohlen, sahen ihre Füße aus. Respekt, Respekt.

Die Nacht endet, die Vögel haben das aber noch nicht mitbekommen. Na sowas!
Michael (früher "Michael (wat)")


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