Barfuß am "Tag der offenen Türme" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 14.06.2005, 07:19 (vor 7045 Tagen)

Am Sonntag, den 13.6.2005 war "Tag der offenen Türme". Über 100 Türme in der Nordschweiz waren an diesem Tag geöffnet und kostenlos zugänglich. Viele dieser Kirchtürme, Fernsehtürme, Burgtürme, Wassertürme, Mauertürme usw. sind normalerweise nicht der Öffentlichkeit zugänglich. Davon wollte ich Gebrauch machen, aber unter welchen Gesichtspunkten? Möglichst viele Türme? Möglichst die höchsten Türme? Möglichst alte Türme? Möglichst schnell rauf und runter? Nein! Möglichst barfuß!

Die nächsten Türme befanden sich ganz in meiner Nähe, nämlich in Zofingen, die ersten öffneten um 10 Uhr. Um die obige "Forderung" ausführen zu können ohne schwach zu werden, ließ ich die Schuhe gleich zu Hause und radelte los. 5 Minuten später erreichte ich den Pulverturm http://www.bez-zofingen.ch/3_unterricht/Geschichte/Stadtrundgang/08_Pulver/08_Pulver.html, ein Überbleibsel der alten Stadtbefestigung. Die hölzerne Treppe war angenehm barfuß begehbar. Auf "halber Höhe" las ich ein Schild: "Garderobe bitte hier ablegen, die Turmstube ist warm." Ich tat es nicht, T-Shirt und Hose behielt ich an. Ich war der erste Gast im Turm. Das Turmpersonal registrierte meine Barfüßigkeit nicht sichtlich.

Oben genoß ich eine ungewöhnliche Aussicht über die historische Altstadt. Mittlerweile kamen auch andere Besucher, sie kannten das Turmpersonal wohl persönlich und beachteten mich nicht. Lediglich den Kindern fiel meine Barfüßigkeit auf. Während ich die Aussicht genoß und die ausgestellten militärspezifischen Gegenstände betrachtete, klirrte ein Stockwerk tiefer ein Glas, es folgte der Schrei einer Frau, dann eine Männerstimme: "Scherben bringen Glück", dann das typische Zusammenkehrgeräusch von Glas. Ich vermute einmal, daß man nicht wegen mir extra die Scherben zusammengekehrt hatte. Als ich den Turm verließ, war von Scherben nichts mehr zu sehen.

Unten wartete ein Knabe, er schien völlig überrascht zu sein, als er mich barfuß sah. Seine Augen fielen erst auf meine Füße, dann auf seine eigenen, die unbesockt in Sandalen steckten, was aber wegen seiner überlangen Hose kaum auffiel, dann auf die alte Kanone vor dem Turm. Wollte er mich damit etwa zum Mond schießen? Der zweite Zofinger Mauerturm, der sogenannte "Strecketurm" oder "Folterturm" war nicht geöffnet. Vielleicht besser so. Er befindet sich nämlich in unmittelbarer Nähe der Polizeistation. Möglicherweise hätten die überaus prüden Zofinger Polizisten dann im dem Turm das getan, wozu er ursprünglich errichtet wurde.

Als nächstes besuchte ich den Stiftsturm der Kustorei [image], in der ein Glockenspiel gerade "Ännchen von Tharau" spielte. Früher besaß Zofingen ein Chorherrenstift, im Zuge der Reformation wurde es aber aufgehoben. Auch in diesem Gebäude mit der angenehm barfuß begehbaren Wendeltreppe aus marmorähnlichem Material war ich der erste Besucher. Der Turmwärter im schwarzen Anzug musterte mich zwar kurz von Kopf bis Fuß, dann aber fragte er mich, ob ich irgendwelche Fragen zum Glockenspiel usw. hatte. Zuletzt bat er mich, mich ins Gästebuch einzutragen, was ich auch tat (im Pulverturm tat ich das unaufgefordert, in den späteren Türmen lag nichts dergleichen aus).

Die Glocken der katholischen Kirche in Zofingen waren am Läuten, als ich kam. Wie ein wilder rannte ich die Betontreppen hoch. Wann hat man schon die Möglichkeit, sich unmittelbar neben läutenden Kirchenglocken aufzuhalten! Und dann noch barfuß! Vom freistehenden, nicht überaus schönen Kirchturm (der Turm der reformierten Zofinger Stadtkirche ist wesentlich schöner als der der katholischen Kirche) konnte ich beobachten, wie die Leute zum Gottesdienst ins Kirchenschiff gingen, ohne Ausnahme waren sie fett beschuht. Als ich wieder unten war, fragte mich der Turmwärter vor dem Eingang: "War das nicht zu laut?" Mal eine etwas andere Frage als die übliche, die sich manch ein Barfüßer schon anhören mußte: "Ist das nicht zu kalt?"

Da in Zofingen zu dem Zeitpunkt keine anderen Türme offen waren, radelte ich nach Aarau, hier was das Verwaltungshochhaus der Energieversorgung geöffnet. In diesem Turm hatte ich am wenigsten die Möglichkeit, den "Barfußvorteil" zu genießen. Keine Marmortreppe, keine Holztreppe, keine Teppichtreppe, sondern nur ein Lift, der auch noch bedient wurde. Der Liftboy (wobei er für einen "Boy" doch zu alt war, aber den Ausdruck "Fahrstuhlführer" möchte ich auch nicht gebrauchen, da ich mir unter einer solchen Person einen noch älteren Mann in Uniform, selbstverständlich mit Mütze, vorstelle) machte keinerlei Bemerkungen, auch vom sonstigen Personal nicht. Hier oben konnte man kostenlos eine Kleinigkeit essen und trinken. Auch war die Aussicht über die Stadt Aarau und zum Jura prächtig. Auf der Dachterrasse wehte ein angenehm kühler Wind. Einige Kinder starrten mich fassungslos an. Eine Familie mit 4 Kindern war auch dort, der Sohn "mußte" fette Halbschuhe, eine lange Hose und eine dicke Jacke tragen, während die Töchter in langen, ärmellosen Sonntagskleidern und Sandalen besser der Witterung angepaßt waren. Aber 2 der Töchter trugen Socken, nur die älteste nicht. Als sie mich sah, wollte sie schon die Sandalen ausziehen, aber ein giftiger Blick der Mutter hinderte sie daran.

In Aarau waren zu dieser Uhrzeit keine anderen Türme mehr zugänglich, also radelte ich in glühender Hitze (das T-Shirt mußte ich im Gepäck unterbringen, so warm war es) nach Niedergösgen [image]. Hier befindet sich eine hübsche Kirche, der Turm ist älter und stammt von einem Vorgängerbau. Aber keiner Vorgängerkirche, sondern von einem Vorgängerschloß. Daß ich hier die staubigen hölzernen Treppen unter meinen nackten Füßen genoß, kann jeder wohl verstehen. Manches Mal mußte ich auf den Treppen den Gegenverkehr vorbeilassen. Einmal hörte ich den Kommentar: "Der macht es richtig". Einige Leute (natürlich Frauen) waren auf den Treppen völlig unvorteilhaft beschuht. Ob Sandalen ohne Fersenriemen sinnvoll sind, sei mal dahingestellt. Früher hätte ich mir auch nichts dabei gedacht, Flipflops auf Turmtreppen zu tragen. Aber Flipflops mit angebrachtem hohem Absatz? Oder Stöckelschuhe? oder Schuhe mit Plateausohlen? Unmöglich! Ob wohl viele Frauen bei dem warmem Wetter in leicht ausziehbaren Schuhen ohne Strümpfe auf den Türmen anzutreffen waren, kam keine auf die Idee, sich derer zu entledigen. Während ich wieder hinunter stieg, kamen mir etliche Frauen entgegen. Ich hüpfte noch in eine Nische, um die Leute vorbei zu lassen (ansonsten hätten die Leute rückwärts wieder ein Stockwerk tiefer gehen müssen). So wartete ich, bis die letzte Frau vorbei war, dann hüpfte ich zurück auf die Treppe. "Huch! Der ist ja echt!" schrie eine Frau. Hatte die mich etwa für eine Bronzestatue gehalten? Weil ich barfuß war?

Als nächstes war die doppeltürmige katholische Kirche in Olten fällig. Dieses Bauwerk war mit Abstand das staubigste, die Fußsohlen wurden sehr grau dabei. Man konnte sogar über Bretter im Dachfirst des Kirchenschiffes auf und ab gehen, die Aussichtsplattform war direkt neben den Glocken. Im Turm mußte man über manch einen Eisenträger steigen. Dabei entdeckte ein Junge offensichtlich, daß meine Füße sich nicht in dem Sauberkeitszustand befanden, wie seine Mutter es von seinen Füßen erwartet, jedenfalls rief er: "Ihh! Der Mann hat ja ganz dreckige Füße."

Am Ufer der Aare machte ich eine Pause. Bäume schützten mich vor dem kurzen Regenschauer, während ich meine Füße im Wasser kühlte. Dabei ging der Staub "leider" wieder ab. Oder war es besser? Der nächste Kirchturm lag in Oftringen und war reformiert. Sicher ist es ungehörig, den katholischen Staub der Kirche in Olten in einem evangelisch reformierten zu verteilen. Auf dem Oftringer Kirchturm [image] saß eine ältere Frau, die sich an meiner Barfüßigkeit gar nicht störte, auch sie war höflich und sprach sogar in einer "Fremdsprache" mit mir. Auch von den übrigen Besuchern gab es nur positive Reaktionen.

Mein letzter Besuch galt der Zofinger Stadtkirche http://images.google.ch/imgres?imgurl=http://www.bez-zofingen.ch/3_unterricht/Geschichte/Stadtrundgang/03_Gewitter/Bilder/K_Turm%2520neu.jpg&imgrefurl=http://www.bez-zofingen.ch/3_unterricht/Geschichte/Stadtrundgang/04_Gloeckner/04_Gloeckner_Info.html&h=254&w=190&sz=17&tbnid=Uu7jeD3zXCMJ:&tbnh=106&tbnw=79&hl=de&start=4&prev=/images%3Fq%3Dzofingen%2Bstadtkirche%26hl%3Dde%26lr%3D%26sa%3DG. Hier gab es ein Gedränge, nur in Gruppen konnte man ganz nach oben, wo der Sigrist jeweils etwa zehnminütige Vorträge hielt über Kirche usw. Auch der Sigrist störte sich nicht an meiner Aufmachung, von den übrigen Besuchern auch nicht, lediglich ein junger Mann mit "Klaus-Kinsky-Gesicht" schien darüber nachzudenken, wie er mir schaden könnte. oder täuschte ich mich da. Erst als ich unten war und davon radelte, fragte ein Mädchen die Mutter: "Wieso ist der barfuß?" Ich radelte weiter, aber nicht direkt nach Hause, sondern erst einmal ans Ufer eines Ufers. Dort würde mich die Polizei nicht finden für den Fall, daß "Klaus Kinsky" mich angeschwärzt hätte.

Insgesamt war dieser "Tag der offenen Türme" eine wertvolle Bereicherung in meiner "Barfüßerkarriere".

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen

RSS-Feed dieser Diskussion