Ein Himmelfahrtskommando? (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 09.05.2005, 12:12 (vor 7079 Tagen)

Nur drei Arbeitstage vor Himmelfahrt, d.h. nur 3 Tage Schuhzwang. So etwa hat sich meine Chefin ausgedrückt. Es folgen 4 arbeitsfreie Tage, folglich 4f Tage ohne Schuhzwang. Wobei ich betonen möchte, daß "kein Schuhzwang" nicht gleichbedeutend mit "Schuhverbot" ist. Daß ich mir quasi selber ein Schuhverbot auferlegt hatte, steht auf einem anderen Blatt.

Um dem schlechten Wetter der Alpennordseite zu entrinnen, nahm ich am Himmelfahrtsmorgen um 7.42 Uhr den Zug in den Süden. Auf dem Zofinger Bahnhof fiel meine Aufmachung (leichtes T-Shirt, kurze Hose und "selbstverständlich" barfuß nicht allzu sehr auf, und das bei 9°C, aber noch trocken. Da der Zug aber nach Locarno fuhr, ich aber nach Lugano wollte, mußte ich in Arth-Goldau umsteigen. Der Cisalpino am Bahnsteig gegenüber war aber ausgebucht, so daß ich auf den Nachbarbahnsteig säckeln mußte, wo ca. 20 Minuten später der nächste Zug fuhr. Beim Passieren der Unterführung hörte ich jemanden sagen: "Ein Flitzer!" Und während ich auf dem Bahnsteig wartete und ein anderer Zug gerade abgefahren war, so daß man mich vom Nachbarbahnsteig sehen konnte, rief ein Mädchen: "Papa, da ist einer MIT BARFUSS!" Aha! Soweit sind wir heute schon mit der Logik. Der "normale" Mensch wird offensichtlich mit Schuhen geboren! Wer barfuß laufen will, zieht sich "einfach" Barfüße über die Schuhe. Übrigens: hier regnete es, aber der Bahnsteig war überdacht.

Ich war übrigens der einzige ohne Schuhe im Zug, die meisten waren auch relativ winterlich (nach Alpennordseite) angezogen. Das änderte sich in Bellinzona, der ersten Station auf der Alpensüdseite. Als ich in Lugano ausstieg, war es deutlich wärmer, es fiel kaum auf, wie ich den Weg hinunter in die Innenstadt ging. Ich aber wollte Richtung Norden, möglichst dem Lauf des Flusse Cassarate folgen. Zuerst eine Straße, dann eine geschotterter Weg mit schmalem Grasstreifen. Hinter Cannobbio folgte ein ekliger "Naturparkplatz" mit Steinen und Scherben, ein Stück Straße aus baufälligem Asphalt, dann eine Straße aus feinem Sand, teilweise feucht. Hier war es angenehm zu gehen, ebenso auf dem folgenden Pfad. Es folgte ein Matschweg (teilweise 30 cm tief), der jedoch endete. Ich watete durch den Fluß, wollte am anderen Ufer weiter, aber auch hier ging es nicht. Ich kletterte die Böschung hinauf, wo fiel Sand war und einige Baumaschinen standen. Leider war dieses Gelände eingezäunt, so daß ich nicht weiterkam, sondern zum Fluß zurück mußte.

Am Fluß ging eine junge Frau mit Hund spazieren. Sie schien denselben Weg gegangen zu sein wie, mit dem Unterschied: Sie nahm keinerlei Rücksicht auf ihre Kleidung. Flipflops und ihre (ursprünglich) weiße lange Hose waren von Schlamm bedeckt. Aber ihr schien es Spaß zu machen. Für mich hörte der Spaß aber bald auf. Der Wanderweg führte über Industriestraßen aus baufälligem Asphalt hinauf nach Cadro. Als ich im Ort eine Unterführung benutzte, starrten mich drei Kinder erstaunt an, obwohl auch zwar sommerlich, aber immerhin beschuht waren. Ich folgte einem Bergweg in Richtung Alpe Bolla. Zuerst ging es noch. Dann aber wurde der Weg immer steiniger, auch nahmen die Maronis zu. Andauernd war ich dabei, die einzelnen Stacheln aus dem Fuß zu ziehen. Ich erreichte einen Bergbach, wo teilweise das Laub sehr hoch lag. Unter dem Laub floß Wasser. Hier hielt ich mich über eine halbe Stunde auf, ich brauchte die angenehme Abkühlung, turnte etwas über die Felsen. Leute, die vorbeikamen, waren nicht erstaunt, daß ich mich barfuß direkt am Bach aufhielt. Vermutlich nahmen sie an, daß ich "nur" meine fetten Wanderschuhe zum Ausdünsten ausgezogen hätte. Wer achtet schon darauf, ob neben dem abgestellten riesigen Rucksack auch Schuhe stehen.

Aber dann mußte ich weiter. Unter die Maronis mischten sich auch noch Bucheckern. Dann folgte ein Weg, auf dem ab und zu auch geländegängige Fahrzeuge verkehren, solche sind besonders unangenehm barfuß zu begehen, da die Räder der Fahrzeuge manch einen Steinbrocken aus dem Boden herausschleudern. Neben den Weg ausweichen konnte ich auch nicht. Etwa eine ziemlich auseinandergezogene Gruppe von etwa 12 Leuten überholte mich. Einige fragten mich etwas, es kam aber kein Gespräch zustande, da ich kein italienisch kann und die kein deutsch. Ich war mir aber sicher, daß es sich auf meine nackten Füße bezog. Ab und zu mußte ich mich an den Rand stellen, wenn ein geländegängiges Fahrzeug vorbeiwollte und immer ziemlich viel Staub aufwirbelte.

Ich war froh, daß irgendwann eine Asphaltstraße (Mountainbikeroute Cadro - Bre) auftauchte, dieser folgte ich immer bergab. Schließlich kam ich in Cadro an. Von einem Balkon versuchte einer erst auf italienisch mich zu fragen, dann fragte er in gebrochenem deutsch, ob er mich irgendwo hinbringen könnte. Vermutlich hat er angenommen, daß ich mir Blasen geholt hätte und nun barfuß laufen müsse, weil dieses das kleinere Übel sei. Ich aber lehnte ab. So schritt ich durch den Ort zur viel befahrenen Hauptstraße, deren Trottoir aus rauhem heißem Asphalt bestand. Eine schattige Seitenstraße ohne viel Autoverkehr erwies sich leider als Sackgasse (ohne Beschilderung, pfui), so daß ich ca 1,5 km umsonst gelaufen war. Also mußte ich weiter auf der Hauptstraße nach Dino, in der glühenden Hitze, ohne jeglichen Schatten. Autos rauschten an mir vorbei, während ich nur langsam voran kam. In der Deutschschweiz hätte garantiert irgendeiner zum Handy gegriffen und die Polizei verständigt. Hier geschah das nicht, vielleicht mit folgendem Grund: Die Tessiner sind in Sachen Autofahren fast wie Italiener, sie nehmen die Straßenverkehrsordnung nicht allzu genau. Und so einer würde sich hüten, wegen eines Barfüßers die Polizei zu rufen.

In Dino stieß ich auf das frühere Bahnhofsgebäude der längst stillgelegten Kleinbahn Lugano - Dino. Erst gab es Asphaltwege, dann folgte ein Schotterweg mit gelegentlichem Autoverkehr ohne Ausweichmöglichkeit. Nur ein kurzes Stück über eine Wiese (auf einem eingezäunten Grundstück sah ich übrigens den einzigen Barfüßer, einen etwa 30-jährigen Mann, nur mit Turnhose bekleidet, er verrichtete Gartenarbeit. Dann folgte ein echter Wanderweg, steinig, und mit Maronis und Bucheckern garniert. Er führte hinunter zu einem Fluß, den ich auf einer Brücke überquerte. Mühsam quälte ich mich vom Weg direkt an das Ufer. Hier war es angenehm kühl, da die Strahlen der Sonne (die sowieso bald untergehen würde), hier nicht ankamen. Ich hatte Hunger und Durst. Auch fehlte mir jegliche Lust, noch weiterzugehen. So entschloß ich mich, diesen romantischen Platz zum Übernachten zu nutzen.

Alles in allem ein paar schöne Strecken zum Barfußlaufen, aber längst nicht alle. Ich gebe zu: Wenn ich Schuhe dabei gehabt hätte, wäre ich schwach geworden und hätte ich sie angezogen. Nun aber mußte ich barfuß weiter. War sicher bodenloser Leichtsinn, was ich da betrieben habe. Aber sicher kein "Himmelfahrtskommando"!

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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