Barfuß in "Gotthelfs Heimat" (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Tuesday, 29.03.2005, 14:43 (vor 7122 Tagen)

Karfreitag 2005: Seit einem Tag wußte ich, daß ich "freier Schweizer" geworden war. Was sprach dagegen, diesen Tag auch auf "freiem Fuß" zu verbringen? Sicher nicht die Pflichten als Schweizerbürger. Und sicher auch nicht das Wetter. Bei Sonnenschein und Morgentemperaturen von 12°C fiel es mir sicher nicht übermäßig schwer, Schuhe, Jacke und lange Hosen gleich zu Hause zu lassen, um dann nach Burgdorf zu Radeln. Mein Ziel war eine Barfußwanderung entlang der Emme, ich wußte von barfußfreundlichen Wegen, die sicher von den Niederschlägen der vergangenen Nacht besonders angenehm zu begehen sein mußten.

Ich wurde nicht enttäuscht: matschige Waldwege, sandige Reitwege, nasses Laub wechselten einander ab. Nur selten Asphalt oder Schotter. Die Emme war zum reißenden Strom geworden, die Kiesbänke waren total überflutet, ab und zu ein Stück Sandstrand, wo ich meine Füße im trüben Wasser kühlen konnte. Anfangs kamen mir nur wenige Leute entgegen, überwiegend Jogger und Leute mit Hunden. Immer nur freundliche Blicke. Die berühmtberüchtigten Spießer trifft man hier nicht an, die lauern lieber hinter Gardinen auf ihre ahnungslosen Opfer. Während ich gerade genüßlich durch eine Schlammpfütze watete, kam mir eine dreiköpfige Familie entgegen, die Tochter, noch im Vorschulalter, sagte: "Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhh!" Nur fünf Minuten später wieder eine Familie mit etwa gleich alter Tochter, diesmal schlurfte ich durch trockenes Laub. Diesmal eine ganz andere Reaktion: "Der läuft barfuß, darf ich auch?" "Nein! Es ist zu kalt!" war die nicht den Tatsachen entsprechende Antwort der Mutter. "Wieso darf ich nicht, wenn der das darf? Wääääääähhhhhhhhhhhh!"

Mein Weg führte über Hasle-Rüegsau und Lützelflüh (dort war der Albert Bitzius (Pseudonym: Jeremias Gotthelf) als Pfarrer tätig bis zum Wehr bei Ramsei, dann kehrte ich um. Die Leute, denen ich begegnete, waren zwar meist nicht übermäßig winterlich gekleidet, aber (von Joggern und Velofahrern einmal abgesehen) war sommerliche Kleidung doch eher selten, es war eben noch März. Für mich allerdings kein Grund, durch Versorgung des T-Shirts im Rucksack zum "noch freieren Schweizer" zu mutieren. Die Anzahl der Glotzaugen vermehrte sich dadurch aber kaum, sie blieb gering. In einem Wohnquartier nahe des Flußufers spielten Kinder, die meisten noch im Wollpullover, nur ein Mädchen auf dem Tretroller trug nur ein leichtes Sommerkleid und war barfuß. Das erste Kind, das ich dieses Jahr ohne Schuhe außerhalb von strandähnlichen Anlagen sah. Ich war halt im Emmental, einem Teil der Schweiz, in dem das Barfußlaufen noch nicht allzu unüblich ist. Wie zu Gotthelfs Zeiten!

Dank des hohen Wasserstandes führten auch die "Wassermatten" bei Burgdorf viel des kostbaren Gutes. Wer da nicht barfuß läuft, hat selber Schuld! Und so abwechselungsreich! Die riesigen Grünanlagen vor der Stadt Burgdorf war voll von Leuten, von denen einige den Schritt zum "unechten" Barfüßer geschafft hatten. Andere wiederum hatten aber auch ihre Hosen ein paar mal umgekrempelt, Schuhe und Socken (teilweise auch "Scheinsocken") behielten sie an, egal ob sie Ball spielten, Rad fuhren oder nur dort lagerten.

Mich aber zog es auch noch in die prächtige Burgdorfer Altstadt. Ich wollte die Treppen und das kühle Kopfsteinpflaster unter meinen nackten Füßen spüren. Auch hier wurde meine Aufmachung kaum registriert, lediglich eine Frau (der Sprache nach Herkunft ehemalige DDR) fragte mich: "Ist das nicht zu kalt?" "Es ist nicht zu kalt!" "Ist das gesund?" "Ja, sehr sogar!" Als ich 20 Meter entfernt war, hörte ich sie zu einer anderen Frau sagen: "Nicht mal Schuhe hat er an!" Ich kam an der Kirche vorbei, um das Polizeigebäude machte ich einen riesigen Bogen, dann folgte der Kopfsteinweg zum Schloß. Eine Katze beschnüffelte meine Füße, mehr tat sie aber nicht (vermutlich hätte sie anders reagiert, wenn ich unmittelbar nach einem langen Arbeitstag mich frisch meiner Schuhe entledigt hätte, oder mögen Katzen keinen Käse?). Ein junges paar kam den Weg hinauf zum Schloß, er in langen Jeans und Turnschuhen mit Socken, sie mit "Speckgürtel" zwischen langärmeligem Wollpullover und langer schwarzer Hose, dazu barfuß. Die Schuhe trug sie in der Hand. Auf dem Weg zurück trug sie allerdings Schuhe, vorne geschlossen, hinten offen. Vermutlich hatte sie sich vorher nur deswegen ihrer Schuhe entledigt, weil sie damit nicht die Straße bergauf gehen konnte, sondern dann nach hinten aus den Schuhen gerutscht wäre. Bergab besteht die Gefahr nicht, da drohen eher Blutergüsse an den Zehenspitzen. Vielleicht bekommt sie tatsächlich welche - und läßt beim nächsten Schloßbesuch ihre Schuhe gleich zu Hause - und schleppt ihren Begleiter beim übernächsten Mal auch ohne Schuhe mit. Nur keine Angst, ich werde das nicht der Polizei melden - ich doch nicht!

Gegen 16.30 Uhr hieß es Abschied nehmen von Burgdorf, ich benutzte den separaten Veloweg über Herzogenbuchsee nach Langenthal. Mittlerweile war es so kühl geworden, daß auch ich wieder ein T-Shirt anziehen mußte. Etwas überrascht war ich, daß mir 3 weibliche Teenager auf Fahrrädern entgegenkamen, von denen eine Flipflops trug, die anderen jedoch fette Winterstiefel. Die in Flipflops lästerte: "Ih! Der ist barfuß! Und das als Mann!" Da begreife einer die Welt! Während ich mich hinter St. Urban eine Straße berauf kämpfte und an ein paar Jugendlichen , die am Straßenrand rumstanden, vorbeikam, sagten sie: "Vorsicht! Oben steht die Schmiere! Barfuß radfahren kostet 50 Franken Buße." Ich wußte, daß sie das nicht erst meinten.

Ein schöner Karfreitag ging zu Ende, der schönste Tag des Osterwochenendes. Bei der Gelegenheit möchte ich sagen, daß es keinen Unterschied macht, ob man als Schweizer oder Deutscher sich als Wanderer oder Radfahrer durch "Gotthelfs Heimat" bewegt. Wohl aber macht es einen Unterschied, ob man diese Dinge barfuß oder fett beschuht durchführt. Barfuß bringt einfach mehr Spaß, besonders bei so schönem Wetter.

Nachösterliche Grüße

Michael aus Zofingen

RSS-Feed dieser Diskussion