Segelregatta Stavanger-Cuxhaven (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A, Friday, 18.03.2005, 15:23 (vor 7133 Tagen)

Hallo,

wie versprochen nun noch ein Beitrag über die Segelregatta von Stavanger nach Cuxhaven.

Es war ja schon im letzten August und ich nahm an der Regatta teil nachdem ich eine Woche lang mit einer Herde Moschusochsen durch das norwegische Dovrefjell gezogen war.

Von der Segelregatta habe ich durch das Internet erfahren, bzw. von einem Wetterkundekurs auf dem russischen Großsegler STS MIR. Und dieser Dreimaster nahm am Cutty Sark Tallships Race teil, in 3 Etappen, von Antwerpen nach Aalborg, dann als Gemeinschaftsfahrt weiter nach Stavanger und an der letzten Etappe von Stavanger nach Cuxhaven konnte ich teilnehmen. Das Angebot passte genau in meinen Zeitplan, eine Fahrt auf einem Großsegler war schon immer mein Traum -und es war dann wirklich ein Traum!- und Wetterkunde interessiert mich ja auch. Und der Preis war auch noch in Ordnung, also, keine Frage, so schnell habe ich mich noch nie für eine Reise entschieden!

Mit der Bahn ging es von Ljesna (kleiner Ort im norwegischen Gudbrandsdalen, wo der berühmte Käse herkommt - und der Komponist Edvard Grieg) nach Oslo und mit dem Nachtzug weiter nach Stavanger. Alle Leute, die ich im Zug kennenlernte hatten das gleiche Ziel: das Tallships race! Es war wohl das Event im Sommer 04 in Norwegen überhaupt! Und die meisten waren nicht nur Besucher, Schaulustige, sondern Teilnehmer. Fast alle Schiffe nahmen Trainees mit. Rund 70 Großsegler, darunter so klangvolle Namen wie Statsrat Lehmkuhl, Alexander von Humboldt (Becks-Bier Reklame), Stadt Amsterdam, Sørlandet, Roald Amundsen und natürlich die MIR.
Ein russisches Schiff. Schon das lässt die Spannung steigen. In meiner Generation verbindet man mit Russland ja Sowjets, kalter Krieg, ständige (und vielleicht nie wirklich da gewesene) Bedrohung und anderes "Böses". So war halt unsere Erziehung bis Gorbatschow.
Doch was ich dann auf dem Schiff kennen lernte, hatte überhaupt nichts mit der Vorstellung zu tun, das waren weltoffene, interessieret junge Leute, die einen Traumjob hatten.
Und auch Captain Timoshkov, ein Mann Mitte 40, der die Sowjetzeiten auch noch miterlebte war alles andere, als ein starrköpfiger Sowjet. Absolut korrekt, aber trotzdem locker und immer für einen Spaß aufgelegt, aber nur solange die Konkurrenz weit in unserem Kielwasser segelt....
Unsere Aufgabe war es, die Wettervorhersage für das Schiff zu machen, immer für guten Wind zu sorgen. Und da hatte die Regatta ihre Probleme. Die Etappe Antwerpen - Aalborg musste abgebrochen werden, nach dem sich kein Windchen mehr regte, die Gemeinschaftsfahrt nach Stavanger fand meist unter Motorantrieb statt und auch beim Start in Stavanger blieben die Segel erst mal schlaff.
Doch so weit sind wir ja noch gar nicht, ich bin ja gerade erst in Stavanger angekommen und habe auf dem Schiff eingecheckt. Hat überhaupt nichts mit einem Check In auf einem Luxusliner zu tun. Oleg, der für die Gäste zuständig ist, wies mir die Kabine zu, d.h. eine Kajüte in einer 12er Kabine, ein Holzspind mir Vorhängeschloss, ein kleiner Tisch und 2 Stühle. Zum Mittageseen gab’s Eintopf zum Abendessen auch. Aber ich wollte ja gar keine Fahrt auf einem Luxusliner machen und "unter weißen Segeln" durften wir uns auch sonnen.
Ja das Wetter: Stavanger, Bergen: Regenhauptstädte Europas, 350 Regentage im Jahr...
Muss wo anders sein! Hier schien die Sonne, kein Wölkchen am Himmel, kein Windchen zieht, und die Temperatur: 30°C. Der heißeste Tag, der je in Stavanger gemessen wurde!
Knalle heiß war es auf dem Schiff im Hafen, knalle heiß war es in der schmucken Kleinstadt Stavanger. Das erste, was man sich in Stavanger normalerweise kauft, ist ein Regenschirm. Das erste, was ich mir in Stavanger kaufte, war eine Flasche Sonnencreme und reichlich zum Trinken...
Und alle hatten nur einen Wunsch: endlich raus aus diesem heißen Hafen, endlich Wind.
Doch Regattastart war erst am nächsten Tag. Heute gab’s erst mal eine rauschende Ballnacht, wie man sie nur erträumen kann, wenn man in Norwegen ist. Eviva Espania - nej Eviva i Norge! Und die Sonne schien wirklich bei Tag und Nacht, in jeder Beziehung.
Norwegen, verschwiegene Fjorde...? Nein, Diskomusik, barfüßiger Tanz in sommerlichen Ballkleidern, Lifemusik auf allen Schiffen, Barbecue, kühle Drinks und ein brodelnder Fjord. Tausende Norweger besuchten das Spektakel auf norwegische Art, mit kleinen oder größeren Booten, vom Angler-Ruderkahn bis zur Luxusjacht, von der Fjordseite aus. Es waren irgendwann so viele, dass die Polizei dazwischen gehen musste, damit es kein Unglück im Stavangerfjord gibt. Und dann das Abschiedsfeuerwerk, die Krönung des Abends. Stavanger in Ekstase, die sonst so kühlen und verschwiegenen Nordmänner (und -Frauen) feierten auf brasilianische Art.
Auch wenn man selbst sonst nicht so auf Rummel steht, von diesem Fest konnte man nur ergriffen sein!
Dann der nächste Tag: Die Sonne brannte! Vorbereitungen zum Start, um die Mittagszeit ging es endlich los. Doch - Null Wind, nichts, kein Lüftchen regte sich! Ein Schiff nach dem anderen zog aus dem Fjord hinaus, unter Motorkraft, einige Segel gesetzt.
Ein malerisches Bild in der sonnendurchfluteten nordischen Fjordlandschaft, die vielen Großsegler, begleitet von Tausenden kleinen Booten, deren Insassen den Start miterleben wollten.

Die MIR hatte die jährlich stattfindende Regatta in den letzten Jahren immer gewonnen. Doch die Konkurrenz war stark. Und das Wertungssystem ist kompliziert. Bauartbedingt schwächer Schiffe, bekommen teilweise deutlichen Zeitbonus. Die MIR gehört zu den am besten gebauten Schiffen, sie hat keinen Bonus. Doch für Captain Timoshkov zählt nur ein Ziel: Der Sieg! Er ist ein Seebär, ein erfahrener Segler, und er ist ein Stratege, ein Schachspieler. Jede Entscheidung ist genau überlegt. Sie kann auch ein Hinterhalt sein! Er spielt mit dem Wind, mit dem Schiff, mit der Konkurrenz.
Endlich der Start. Es geht so gut wie kein Wind. Die Motoren sind aus, jetzt treiben uns nur noch die Segel vorwärts. Und wie sie uns treiben! Alle anderen Schiffe scheinen still zu stehen. Die Skipper brüllen teilweise ihre Kommandos. Und die MIR zieht vorbei, auf und davon. Nur die Stadt Amsterdam kann mithalten, segelt fast parallel.
Dann die Wettervorhersage des DWD. Kai, unser Meteorologe an Bord gibt die aktuelle Situation bekannt und rät Timoshkov zu folgendem Kurs: An der Küste entlang bis zur Südspitze Norwegens und dort einen Fallwind von den Bergen nutzen, um nach Süden zu segeln. Timoshkov ist begeistert. Er rennt zu seinem Funker und lässt die Wettervorhersage allen anderen Schiffen mitteilen. Fragende Gesichter! Warum macht er das? Er hätte doch einen Vorteil...
Dann lässt er den Kurs ändern - von der Küste weg! Ein Schachzug! Ob er gut ist?
Die meisten anderen Schiffe nehmen den empfohlenen Kurs, nur einige wenige folgen uns. Sie kennen Timoshkov!

Es wurde ein malerischer Segelabend. Eine sanfte Brise, ein herrlicher Sonnenuntergang und ein ruhig und stetig dahingleitendes Segelschiff unter voller Besegelung. Ein Luxusliner begleitete zeitweise unseren Weg.
Eigentlich sollte man annehmen, das auf solch einem Schiff die meisten Leute barfuß sind, doch dem war nicht so. Auf der MIR waren nur wenige barfuß. Auf anderen, privaten und meist kleineren Schiffen schon.
Die Besatzung der MIR ist zivil. Keine Militärs. Jeder, der in Russland eine Ausbildung zum Seemann machen will, muss mehrere Monate auf einem Segelschiff lernen, das alte Seemannshandwerk kennen lernen. Somit waren die Besatzungsmitglieder, neben einigen Stammleuten überwiegend Trainees im Alter von 17 - 19 Jahren.

Es war eine ruhige, milde Nacht. Gemessene Wassertemperatur vor der norwegischen Küste: 20°C. Auch das ist ungewöhnlich warm. Die MIR machte ungefähr 5 Knoten Fahrt, teilweise auf fast 0 einschlafend.

Der zweite Tag. Wir waren inzwischen weit von der Küste entfernt auf Südwestkurs. Laut Vorhersage des DWD war kaum Wind zu erwarten, so weit im Westen.
Ich wurde durch kräftiges Schaukeln wach und ging an Deck. Ein kräftiger Nordost blähte die Segel gehörig auf. 13 Knoten Fahrt! Woher hat Timoshkov das nur gewusst?
Bald gab es Segelalarm "All hands on board!"
Kursänderung: Wir segeln genau auf England zu. Kurskorrektur nach Südost. Nun hatten wir den Wind von der Seite. Wer schon segelte, weiß, was das bedeutet: Leben auf der schiefen Ebene... Es wurde eine schaukelige Fahrt an diesem Tag. Nachdem der Wind später auf Südost gedreht hat, begannen wir zu kreuzen. Etwa alle Stunde gab es Segelalarm - Kurskorrektur.
Was macht die Konkurrenz? Stadt Amsterdam ist uns auf dem Fersen, die Norweger Christian Radich, Statsrat Lehmkuhl und Sørlandet halten mit. Der Rest: verschollen!
Wetterkapriolen am Nachmittag: Wie aus heiterem Himmel baute sich auf Steuerbordseite plötzlich eine schwarze Wolkenwand auf und sie zog in rasendem Tempo auf uns zu. Der Wind nahm schlagartig zu. Der sonst so ruhige und besonnene Timoskov zeigte Reaktion. Ohne Ankündigung gab er Segelalarm: Und das war keine Routine mehr. Es war ein Notfall. Timoshkov brüllte die Befehle in die Flüstertüte, ließ die Segel einholen.
Und dann, plötzlich. Genau so plötzlich, wie die Front gekommen war, war sie wieder weg.
Der Wind war auch weg. Die Segel, die noch oben waren, hingen wie schlaffe Säcke herunter. Entsetzt und ratlos schauten alle nach oben, auch Timoshkov und auch der Profi vom DWD.
Was war das? Waren wir im Auge eines Wirbelsturms? Auf der Nordsee? Nein, bestimmt nicht! Eine wirkliche Erklärung hatte niemand.
Nach und nach lebte wieder etwas Wind auf, brachte uns wieder leichte Fahrt, 2 Knoten, 3 Knoten. Unser neuer Kurs. Ziemlich genau nach Osten. Am nächsten Morgen wollten wir in Helgoland sein, wo die Ziellinie ist.
Gegen Abend nahm der Wind wieder zu, es sieht gut aus. Und die Konkurrenz. Amsterdam hält mit, die 3 Norweger sind etwas zurück gefallen.
Einige Bohrinsel zogen an uns vorbei, es ist schon beeindruckend, wie riesig diese Bauwerke teilweise sind.
Donnerstag Morgen. In der Nacht war Windstille, wir sind kaum weiter nach Osten gekommen. Amsterdam hat aufgeholt, wir schauten nach Achtern, ob man sie vielleicht am Horizont schon erkennen kann. Geschätzter Abstand ca. 45 Minuten. Langsam geht die Rechnerei los. Einholen kann sie uns kaum noch, aber sie hat 1 Stunde Bonus, pro Tag. Damit wäre sie vor uns. Aber, so wurde spekuliert: Die Amsterdam hatte einen Fehlstart, war zu früh gestartet. Angeblich bekommt sie deshalb eine Zeitstrafe von insgesamt 3 Stunden, damit wäre die MIR wieder auf Siegeskurs. Ob und wie viel Bonus und ob und wie viel Zeitstrafe die Amsterdam bekommt, das hatte die Juri zu entscheiden. Wir versuchten, als erstes Schiff Helgoland zu erreichen und am späten Vormittag war in der Ferne der Leuchtturm von Helgoland zu erkennen. Von anderen Schiffen war jedoch nichts zu sehen. Um 11 Uhr verkündete Captain Timoshkov über den Lautspecher: "Wie haben soeben als erstes Schiff die Ziellinie überquert. Freude! Wir waren die Ersten. Ob wir gewonnen haben, das wussten wir nicht.
Um 11:40, also 40 Minuten nach uns kam die Amsterdam an und begrüßte uns mit Kanonenfeuer. Die weiteren Schiffe waren weit hinter uns. Sørlandet und Chr.Radich wurden am nächsten Tag erwartet. Die Schiffe, die den in Stavanger vom Wetterdienst empfohlene Strecke fuhren, dümpelten noch in der Flaute am Nordende von Dänemark und mussten das Rennen abbrechen.
Wie blieben zusammen mit der Amsterdam noch vor Helgoland und fuhren am nächsten Tag per Motorantrieb in die Elbmündung nach Cuxhaven.
Die Feierlichkeiten in Cuxhaven waren nur eine müde Nummer gegen das feurige Fest von Stavanger.
Besonders peinlich: Bei unserer Ankunft wurde von der Bundesmarine Marschmusik gespielt - aus dem Radio. Als die Musik vorbei war, kam ein Beitrag über BSE, volle Lautstärke, der echte (Rinder-) Wahnsinn! Laufen hier denn nur noch Rindviecher rum?

Doch wer war nun Sieger? Das erfuhr ich erst Wochen später, aus dem Internet.
Das Tallships Race wurde gewonnen von der STS MIR, weil die Stadt Amsterdam wegen des Fehlstarts eine Zeitstrafe von 3 Stunden bekommen hat.
Eine Entscheidung am grünen Tisch, aber was soll’s, die MIR hatte ohnehin als erste das Ziel erreicht und alles andere ist reines Regelgewurschtel.

Und was hatte das alles nun mit barfuß zu tun? Sorry, nicht viel. Ich selbst war natürlich barfuß auf dem Schiff, aber die meisten anderen nicht. Beim Klettern auf den Bugspriet hat man mir das sogar aus Sicherheitsgründen untersagt.
Aber wie gesagt, andere private Schiffe sahen das nicht so eng, bzw. deren Verantwortlichen. Manche wurden ohnehin von befreundeten Freizeitseglern gesegelt. Das war dann mehr eine private Sache und nicht von Sicherheitsregeln beeinflusst. Echte Hobby-Seefahrerromantik halt.
Die meisten, der teilnehmenden Schiffe sind von privaten Investoren und Liebhabern restauriert und gesponsort.


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