Barfüßige Flucht in die Sonnenstube (Hobby? Barfuß! 2)

Michael aus Zofingen @, Stammposter, Monday, 14.03.2005, 12:07 (vor 7138 Tagen)

Samstag, 12.3.2005: Der Wetterbericht hatte weitere Niederschläge für die Alpennordseite vorausgesagt, dagegen sollte im Süden der Schweiz die Sonne dominieren, und daß bei Temperaturen von 13-15°C! Also Grund genug, am Wochenende in den Süden zu fahren. Ich wollte weg aus Zofingen, dort, wo speziell an diesem Samstag ein Schuhgeschäft den potentiellen Kunden die Möglichkeit anbot, Schuhe zu probieren, mit denen man "so gut wie barfuß" laufen kann (ich berichtete von diesem Zeitungsartikel). So was muß ich nicht haben, dann lieber "ganz" barfuß.

Das tat ich auch, als ich mit dem Fahrrad zum Bahnhof fuhr. Dank der Bewölkung in der Nacht war es nicht allzu abgekühlt, so daß mir auf der ca. 1 km langen Fahrt nicht gleich die Zehen abfroren. Da es andererseits noch recht früh und dunkel war, war die Gefahr einer Meldung an die Polizei allzu groß, auch wenn ich auch diesmal wieder "wie üblich" meine Barfüßigkeit gegen oben verlängert hatte. Als einzige Bemerkung hörte ich auf dem Bahnsteig: "Der will sicher ins Tessin in den Frühling. Als sich der Zug pünktlich um 6.41 Uhr in Bewegung setzte, warf ich noch einen schadenfrohen Blick auf das Mehrzweckgebäude am Bahnhof, das unter anderem die Post, die Kantonspolizei und auch ein paar vergitterte ausbruchsichere Appartements beherbergt.

Die Zugpassagiere waren bunt gemischt im Interregio in den Süden. Einige waren mit Skiern und dickster Winterkleidung ausgerüstet, sie wollten wohl den letzten Rest Winter erhaschen, andere wollten dagegen träumten wie ich von Tagen im warmen Süden. Auch wenn ich der einzige ohne Schuhe und in kurzen Hosen war, so gab es keinerlei böse Reaktionen, weder von den Wintersportlern, noch von den anderen. Das ist halt der Vorteil, wenn man einen Zug benutzt, der quasi "durch die Jahreszeiten" fährt wie dieser Interregio Basel-Locarno. Nördlich des Gotthards war es bewölkt, aber noch trocken. Die Landschaft war verschneit. Irgendwie doch ein Gefühl, was ich früher für schlicht undenkbar hielt. Eine Schneelandschaft gleitet vorbei, und man selbst ist im Gedanken schon im Sommer. Vor allem in Göschenen stiegen die Wintersportler aus, einige auch erst in Airolo, dann aber hatten wir den Winter endgültig hinter uns gelassen. Der Schnee auf den Feldern wurde weniger. Wer jedoch glaubte, er würde von saftig grünen Wiesen und bunten Blumen empfangen, der wurde enttäuscht. Auch südlich des Gotthards ist die Vegetation weit zurück. Grasflächen sind weitgehend braun.

"Prassima fermata: Locarno" tönte es aus dem Lautsprecher des Zuges. Ich verließ den Interregio, und mit mir etliche andere fröhliche Leute, die es nicht abwarten konnten, die Sonne zu genießen. Meine nicht allzu winterliche Aufmachung fiel am Seeufer nicht allzu auf. Ich war zwar der einzige ohne Schuhe, jedoch gab es immerhin einige, die ohne Jacke unterwegs waren, ebenso trugen einige Jogger und Radfahrer kurze Hosen. Andere Leute dagegen trotzten dem Frühlingseinbruch mit Handschuhen, Mützen und dicken Wintermänteln. Vom Seeufer führte der Weg durch die Fußgängerzone Locarnos (nur selten große Glotzaugen), dann am Ufer der Maggia Richtung Tegna. Auf einem riesigen Sandgelände hing übrigens die olympische Flagge mit der Bezeichnung "Athegna 2004". Dieser Platz wird übrigens nicht selten zum Beachvolleyballspielen benutzt, daher auch die passende Beziehung zwischen Athen und Tegna. Der Sand war warm, endlich mal was anderes unter den Füßen als nur Schnee, Asphalt usw. Ich war trotz der Wärme übrigens der einzige Barfüßer, ja Mensch auf diesem weitläufigen Platz (dafür gab es umso mehr Eidechsen und Schmetterling).

Ich wanderte weiter Richtung Intragna. Die Leute, denen ich begegnete, reagierten ausnahmslos positiv. Auch als ich durch die engen Gassen von Intragna schritt, gab es keine bösen Blicke. Etwas mehr Erstaunen erntete ich von ein paar Wanderern, als ich mich zur "Ponte Romano" hinunterbewegte. Dieser Weg war steinig und teilweise mit Maronis übersät. Bei der Gelegenheit muß ich feststellen, daß frisch gefallene, grüne Maronischalen für Barfüßer weniger unangenehm sind als solche, die den winterüberstanden haben und aus denen sich einzelne Stacheln gelöst haben. Oder sind meine Füße nur verweichlicht? Ich kletterte über Felsen und Schneereste hinunter zum Wasser, wo ich eine Weile blieb. Weiter wollte ich nicht, nicht nur aufgrund der Tatsache, daß der Wanderweg teilweise vereist war.

So wanderte ich wieder zurück nach Intragna und weiter am anderen Flußufer nach Ascona. Da diese Uferseite öfter im Schatten liegt als die andere, war hier der Untergrund deutlich kälter, ab und zu noch eine Eisfläche. Es dämmerte, als ich die Ausläufer von Ascona erreichte, viele Leute waren nicht in den Straßen der Altstadt. Aus einem Restaurant hörte ich eine Stimme: "Da draußen läuft einer barfuß." Vollends dunkel war es, als ich mich auf eine Bank am Ufer setzte. Fledermäuse flatterten dort, habe ich erstmalig 2005 beobachtet. Es war deutlich abgekühlt, so daß ich eine Jacke überziehen mußte, nach anderen "Wintersachen" hatte ich aber kein Verlangen (und nicht die Möglichkeit, da zu Hause gelassen). Ein junges Paar ging vorbei. Der Mann fragte mich erst was auf "schlecht" italienisch, was ich nicht verstand. Dann fragte er auf "gut" deutsch, ob es nicht zu kalt sei. Sie gingen weiter, worauf die Frau ihren Mann nach einer Weile fragte: "Hast du wirklich gedacht, daß das einer von hier ist? Wenn einer im Tessin gekleidet bereits jetzt so leicht ist, ist das meisten ein Deutscher oder ein Deutschschweizer."

Ich verweilte noch eine längere Zeit am Seeufer, dann schritt ich durch die Gassen der Stadt wieder Richtung Maggia. Der Sand war kalt unter meinen Füßen. An einem mir bekannten Platz rollte ich meinen Schlafsack aus. Einen ruhigen Schlaf fand ich nicht, andauernd wachte ich auf. Obwohl es windiger wurde, hielt der Schlafsack einigermaßen dicht. Die Füße blieben über Nacht warm. Früher, als ich noch nicht barfuß lief, bekam ich immer kalte Füße, wenn ich im Schlafsack übernachtete. Da lag ich nun fett beschlafsackt am Ufer der Maggia, und über mir der sternenklare Himmel des Tessins, eingerahmt von den schneebedeckten Bergen. Alles andere war in weite Ferne gerückt: Arbeit, Ärger und nicht zuletzt Schuhe!

Schöne Grüße

Michael aus Zofingen


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