Wanderung im Dovrefjell (Hobby? Barfuß! 2)

Bernd A, Friday, 11.03.2005, 11:47 (vor 7141 Tagen)

Im Licht der Natur

Es ist ja schon fast Tradition, dass ich in der einsamen nordischen Bergwelt, das skandinavische Fjell wochenlange Wandertouren unternehme. Viele Leute trifft man dort oben ja gewöhnlich nicht, aber wenn, dann kommt das Gespräch natürlich immer zum Thema barfuß, denn die meisten Leute möchten nicht so recht glauben, was sie sehen: Da wandert doch tatsächlich einer barfuß.
Dabei bin ich bestimmt nicht der einzige, der im Fjell barfuß wandert, 2003 traf ich sogar eine andere Fjell-Wanderin, die barfuß unterwegs war und auch Einheimische haben mir schon erzählt, dass sie oft barfuß wandern und das herrliche Naturgefühl genießen. Und ich sah auch schon des öfteren Fußspuren im Schlamm.
Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen, ich mache es immer so. Natürlich gibt es Tage, wo es in Lappland einfach zu kalt ist, um den ganzen Tag barfuß unterwegs zu sein, oder die Steine sind einfach zu scharfkantig, aber meistens ist es nur schön.
Auch im letzten Sommer war ich wieder "på tur" (deutsch: "auf Tour") im Dovrefjell in Mittelnorwegen, etwa auf halbem Weg zwischen Oslo und Trondheim.
Wie immer reiste ich mit der Bahn an und auf meine Frage, ob der Nachtzug denn in Kongsvold hält, antwortete der Zugführer: "Wenn Du dort raus möchtest, halten wir!"
Um 4:30 Uhr weckte er mich und führte mich zum "Bistrovogn". "Der Bahnsteig ist so kurz, dass nur ein Wagen hinpasst" . Ein Kaffee zum Aufwärmen, dann ging es hinaus in den Morgennebel, der die Bergwelt geheimnisvoll einhüllte.
Der Wanderpfad Richtung Reindalen beginnt direkt am Bahnhof und führte steil bergauf. Mir wurde schnell warm. Bald verließ ich die spärliche Waldzone und kam hinaus auf die freie Fläche, die für das Fjell so typisch ist. Dann ging die Sonne auf, schickte ihre ersten glutroten Strahlen durch die Nebelschwaden und heizte diese langsam weg.
Einige Pferde zogen durch das Tal, frei wie wilde Mustangs, mal trabend, mal galoppierend, ganz nach Temperament und Laune.
Frei wie ein Mustang konnte auch ich meinen Weg fortsetzen. Wer das Dovrefjell kennt, oder auch andere norwegische Bergregionen, der weiß, wie unnahbar und abweisend das Wetter dort sein kann, wie lange sich dort die Regenwolken tummeln können. Nicht so dieses Mal. Wie schon im Jahr zu vor, war es wieder ein außergewöhnlich warmer Sommer und auch bei dieser Tour spannte sich wieder ein makellos blauer Himmel über die Bergwelt, dominiert vom vergletscherten Haupt des Snøhetta, der wie ein weißhaariger Bergkönig in der weiten Landschaft thront. Und dieser weißhaarige Alte war heute mein Tagesziel, immer in meinem Blickfeld.
Gegen Mittag begegneten mir die ersten anderen Wanderer, Norweger. "Hast Du schon Moschusochsen gesehen?" Nein!" "Dort drüben ist einer!" er reichte mir sein Fernglas und deutet auf den Felsklotz, der aus einem Schneefeld herausragte, etwa einen halben Kilometer entfernt. "Das ist in Moschusochse!" Tatsächlich. Ich habe den grauen Klotz schon eine Weile gesehen, aber nachdem er sich gar nicht bewegte, hielt ich ihn doch für einen Stein. "Wir haben gestern eine Herde von 9 Stück gesehen", erzählte der Mann. Noch ein kurzer Smalltalk über das schöne Wetter und unsere Tourpläne, dann gingen wir unseres Weges.
Ich versuchte mich näher an das Tier anzuschleichen. Ich hatte extra wegen der Moschusochsen mein 600mm-Tele mitgenommen. Da dann noch der 2xKonverter dazu und mit 1200mm Brennweite kann man dann etwa erahnen, um was für ein Tier es sich handelt...
Doch ich sollte noch Moschusochsen sehen. Die Warnschilder sagen ja, dass man nicht näher als 200 Meter an sie heran soll, sie sind ja eigentlich ganz friedlich, aber wenn man den Abstand unterschreitet, den die Tiere für sicher erachten, dann..., ja, dann ist man als Mensch doch verdammt klein und wehrlos...
Ich zog meines Wegs, das Wetter genießend, den schönen ebenen, weichen Boden genießend, die Landschaft und den Weißhaarigen bestaunend und plötzlich tauchten vor mir wieder einige Felsklötze auf, keine 20 Meter entfernt, direkt auf dem Pfad. Und sie hatten lange Haare! Au weia, die sind ja verdammt nah. Eigentlich kommt man als Tierfotograf nie nahe genug heran, aber in dieser Situation zog ich mich doch lieber erst mal ganz unauffällig ein paar Meter zurück... Die Ochsen zeigten jedoch keinerlei Beunruhigung, aber sie sahen doch deutlich stärker aus als ich! Als der Abstand wieder bei etwa 50 Meter war, legte ich mein "600er-Kaliber" auf die Tiere an. Doch so richtig ruhig halten konnte ich nicht...
So nach und nach sorgten die Tiere dann wieder für den richtigen Abstand, aber ohne Panik. Es schien mehr wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, wie weit ich beim nächsten mal wegbleiben sollte.
Mittags in der Hütte in Reindalen. Ich bin ja aus Schweden gewohnt, dass die Leute in der Hütte sehr gesprächig sind und nach langen einsamen Fjälltagen dem Besucher einiges zu erzählen haben. Hier war ich zum ersten Mal in einer norwegischen Hütte. Ich trat ein und der Diaolog war dann etwa so: "Hej!" "Hej!" ich setzte meinen Rucksack ab, nahm Platz, schaute ihn an...............................Er sah aus dem Fenster hinaus......................................"Jeg gå på tur". "Ja" ........................................................" det er hyggelig her" . "Ja".............................................."bur du her?"..........."Ja"..................... er sah aus dem Fenster hinaus............. "har du set Mosjusoxer i dag?" .................................."Nej"......................."Jeg har set 7 oxer, 1 time siden på veien till her” ...............”Ja”. "Kommer oxer her till hytten?". "Ja, i går"......
Ich sah dann ein, dass der Mann nicht sehr gesprächig ist. Nur ja oder nej, ok, ich zog weiter. "har det bra!"

Etwas oberhalb der Hütte, etwa eine halbe Wanderstunde entfernt fand ich eine saftige Wiese mit Blumen, direkt zu Füßen des Weißhaarigen. Ein munteres Bächlein windet sich in geschwungenen Kurven plätschernd durch das Gras. Ein herrlicher Platz zum Baden und zum Zelten. Hier blieb ich über Nacht. Nach einem Bad im Bach legte ich mich in die Sonne und als es später kühler wurde, schlüpfte ich in den Schlafsack. Plötzlich hörte ich seltsame Laute. Ich sah hinaus und da waren sie wieder. Zwischen mir und dem Leitbullen waren nur die paar Meter, die der Bach breit ist. Er schien noch weniger gesprächig zu sein, als der Mann in der Hütte und er schaute mich lange, lange, lange, lange an. Und noch länger. Er stand ganz still und schaute, so wie der Mann in der Hütte zum Fenster hinaus geschaut hat. Dann senkte er sein Haupt und kratzte mit der Hufe im Gras. Sein Blick wurde noch grimmiger.... Langsam schwenkte er sein hörnerbewehrtes Haupt nach rechts, wie in Zeitlupe. Dann spannten sich seine Muskeln an, er schnellte wie ein Pfeil nach vorne, einige 100kg platschten ins Wasser des Baches, das nach allen Richtungen aufspritzte. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dann war er durch den Bach, mit Leichtigkeit überwand das schwere Tier das Ufer, Hufe trampelten, der Boden bebte, dann ein gewaltiger Aufprall, ein Krach, nur wenige Meter neben meinem Zelt krachte der gewaltige Schädel des Bullen auf den nicht minder gewaltigen Schädel eines Widersachers.
Man nehme mir bitte nicht übel, dass alle Tierfotografenerfahrung nicht ausreichte, um in dieser Situation brauchbare Bilder zu schießen....nicht zuletzt deshalb, weil es ja schon recht dämmrig war. Eigenartiger Weise passten irgendwie auch die Objektive nicht mehr so richtig auf die Kamera.....

Die Ochsen hielten sich noch eine ganze Weile auf der Wiese auf, der Kampf der Giganten wurde etwas weiter entfernt fortgesetzt, derweilen die anderen friedlich auf der saftigen Wiese grasten.

Der nächste Tag. So lieblich und eben der Weg am ersten Tag war, so steinig und hart war er heute. Zunächst ging es erst mal steil bergauf, eine Klettertour auf allen Vieren, mit 30 kg auf dem Rücken, eine schweißtreibende Sache. Oben wurde ich mit einer überwältigenden Aussicht belohnt, nach Osten das Reindalen, nach Westen das Åmotdalen und im Süden des weißhaarige Haupt des Snøhetta, auf dessen Ausläufer ich mich befand. Ich machte erst mal Pause. Ein belgischer Wanderer überholte mich, von Åmotdalen her kamen zwei Frauen, ohne Gepäck, sommerlich gekleidet, wie auf einem Sommerspaziergang im Stadtpark. Sie waren Schwedinnen. Ein kurzes Gespäch, sie gehen nur nach Reindalen, um Moschusochsen zu beobachten.
Für mich ging es erst mal wieder bergab, steil bergab, über großklobiges Geröll und Schneefelder die sich auf der Nordwestflanke noch hielten. Keine angenehme Sache. Ich kam nur sehr langsam voran, mit meinem schweren Rucksack. Wie leichtfüßig, gazellenhaft, waren die beiden Schwedinnen vorhin hier heraufgehüpft. Aber sie waren halt ohne Gepäck.
Am späten Nachmittag erreichte ich die Åmotsdalshytta am gleichnamigen See. Der Wirt in Reindalen bestätigte ja schon die sprichwörtlich norwegische Wortkargheit, aber hier machte ich die Erfahrung, dass das nicht auf alle Norweger zutrifft. Schon am Eingang begrüßten mich zwei etwa 18jährige Mädels und erzählten mir, dass das Wasser im See (1300 Meter hoch gelegen!) herrlich zum Baden ist und hüpften freudestrahlend zum Wasser hinunter.
In der Hütte waren einige ältere Leute, im Rentenalter, aber topfit. Sie erzählten mir, welche Gipfeltouren sie in den kommenden Tagen geplant haben, wir unterhielten uns ausführlich in einem Gemisch aus norwegisch, deutsch und englisch. Auch die beiden Schwedinnen wohnten hier, sie hatten mich kurz vor der Hütte auf ihrem Rückweg überholt. Die Hütte war voll belegt und ich zog nach meiner Rast noch ein Stück weiter und zeltete etwa 2 km von der Hütte entfernt auf einer Insel, zu der ich durch das Wasser waten konnte. Ein erfrischendes aber nicht kaltes Bad im klaren Wasser des Bergsees rundete den Tag ab.

Der nächste Tag war wolkenverhangen, regnerisch, vor allem am Mittag. Typisches Dovrefjell-Wetter. Kalte Windböen, tiefhängende Wolken, Regenschauer. Aber auch anfänglichem Felsenterrain eine herrliche Grasebene über die man so richtig barfuß "schweben" konnte. Einige sanfte kleine Bächlein gab es zu durchqueren. Mein Zelt baute ich am Oberlauf der Jorge auf, mit Blick über die dramatische Bergwelt, mit ihren drohenden Stauwolken.

Nach einem Abstecher in ein Hochtal machte ich einen Ruhetag am Jorge, eine herrliche Landschaft mit Wissen, Sandbänken im Fluss, die zum Baden einluden, das Wetter war wieder hochsommerlich..

Noch zwei Tage Wanderung entlang des wilden Jorge mit vielen Wasserfällen und Stromschnellen, immer bergab, erst ein Pfad, später ein Fahrweg. Vorbei an idyllischen Höfen, wo der berühmte Gudbrandsdalsost herkommt, der norwegische Ziegenkäse. Hochsommerliches Wetter und Badepausen am Fluss. Einsames Sonnenbad auf weiten Hochebenen und ein schweißtreibender Abstieg nach Lesja, wo der Weg direkt am Bahnhof endet.

Der Zug brachte mich nach Stavanger, wo am nächsten Tag ein weiteres Abenteuer begann. Die Heimreise: ich war ja schon per Bahn gereist, mit dem Flugzeug, dem Auto und dem Fährschiff. Auch dieses Mal sollte es ein Schiff sein, ein Segelschiff! 110 Meter lang, 2700 qm Segelfläche, 2000 Tonnen schwer. Die russische MIR. Es passte wunderbar in meinen Reiseplan, erst wenige Tage vor Abreise habe ich die Fahrt durch Zufall gefunden und gebucht. Die MIR nahm auch in diesem Jahr am Tallships Race teil, und ich machte die letzte Etappe der Regatta mit, von Stavanger nach Cuxhaven. In den letzten Jahren hatte die MIR das Tallships Race jedes Mal gewonnen und dieses Mal? Captain Timoshkov hatte wieder großes vor und alles andere als ein Sieg wäre eine Enttäuschung für ihn. Er ist ein alter Segler, ein Seebär, ein Stratege, ein Schachspieler, ein Besessener und er MUSS gewinnen!
Ich nahm auf der MIR an einem Wetterkundekurs teil, geleitet von einem Meteorologen des DWD, doch schnell war klar, wer auf diesem Schiff der "Wetterman" ist: Timoshkov!
Doch diese Segelregatta ist eine Extrasache, ein Extrabericht. Demnächst!

Fotos vom Dovrefjell, von anderen skandinavischen Landschaften und von der Segelregatta und vieles mehr gibt’s hier:

Im Licht der Natur


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion